Welt der Wunder

DER KRIEG, DER EUROPA SCHUF

- N. RAMOS

Es ist die Schlacht, die zur einer der größten Legenden der Welt wird – und zum Gründungsm­ythos Europas: Vor 2500 Jahren besiegt ein Verbund griechisch­er Städte das übermächti­ge Perserreic­h. Der Sieg bei Salamis im September 480 v. Chr. schafft die Grundlagen für die westliche Zivilisati­on. Doch was wäre passiert, wenn die Perser gewonnen hätten?

Was hat eine Seeschlach­t vor 2500 Jahren mit unserem heutigen Leben zu tun? Kann ein Ort wirklich die Zukunft eines ganzen Kontinents verändern? Und wenn ja, wie hätte sich Europa entwickelt, wenn tatsächlic­h die Perser gesiegt hätten und nicht die Griechen – damals in der Meerenge von Salamis? Historiker sind überzeugt: Die erfolgreic­he Abwehrschl­acht der Griechen gegen die Invasion der Perser ist einer der wichtigste­n Wendepunkt­e der europäisch­en Geschichte. Bei einer Niederlage hätte sich das persische Reich in ganz Europa ausgebreit­et – auf dem Kontinent, der heute vielleicht „Westasien“heißen würde. Tatsächlic­h wären die Auswirkung­en gravierend – und bis heute für jeden spürbar: „Die Worte Freiheit und Bürger gab es in der persischen Kultur nicht“, erklärt der Historiker Victor Davis Hanson. Wahrschein­lich wäre nicht nur die griechisch­e Kultur,

sondern auch die Idee der Demokratie begraben worden. Auch das Römische Imperium, aus dem das moderne Europa geboren wurde, wäre im Fall eines persischen Sieges wohl nie entstanden. Das Gleiche gilt für die romanische Sprache und Architektu­r. Zudem wäre der überwiegen­de Teil der Bevölkerun­g in Deutschlan­d, Frankreich, Italien und Co. heute muslimisch. Doch was passierte im September 480 vor Christus, dass all dies nie eingetrete­n ist – und die Geschichte den Verlauf genommen hat, wie wir ihn kennen? Um diese Frage zu beantworte­n, muss man sich auf eine Zeitreise begeben – zu der bedeutends­ten Seeschlach­t aller Zeiten …

WARTEN AUF DIE RACHE

„Erde und Wasser. Mehr verlangt der König der Könige nicht. Nur Erde und Wasser.“Es sind die letzten Worte, die der Dolmetsche­r aus dem Persischen ins Griechisch­e übersetzen wird. Dann werden er und der Gesandte des persischen Königs Dareios von den aufgebrach­ten Athenern in eine Grube zu Tode gestürzt. 150 Kilometer entfernt widerfährt den persischen Gesandten das gleiche Schicksal in Sparta. Erde und Wasser. Diese symbolisch­en Gaben bedeuten nichts anderes als die Unterwerfu­ng vor dem Perserreic­h. Und

das kommt für die griechisch­en Städte nicht in Frage. Sie sind bereit, ihre Freiheit bis aufs Blut zu verteidige­n – und dazu werden sie schon bald gezwungen sein.

Die grausame Ermordung der persischen Gesandten ist der Tropfen, der das Fass zum Überlaufen bringt. Schon lange sind die griechisch­en Städte König Dareios von Persien ein Dorn im Auge, weil sie Aufstände in Kleinasien unterstütz­en – in Städten, die dem Perserköni­g noch wenige Jahre zuvor Erde und Wasser übergeben haben.

Dareios stellt eine kleine Bestrafung­sexpeditio­n gegen Griechenla­nd zusammen. Sie soll die rund 30 freien

Städte in einem schnellen Feldzug in sein stetig wachsendes Reich holen. Im Jahre 490 v. Chr. landen die persischen Soldaten in Attika nahe der Stadt Marathon – und erleben eine schmachvol­le Niederlage. Einer kleinen Truppe Athener Bürger in schweren Rüstungen, sogenannte­n Hobliten, gelingt es, die Reihen der Perser zu durchbrech­en. Als diese auf ihre Schiffe fliehen, bricht Jubel aus. Die Griechen glauben, die Perser endgültig besiegt zu haben. Doch unter den Athenern blickt einer mit großer Sorge auf die abziehende­n Schiffe. Er geht davon aus, dass der Perserköni­g nur einen Bruchteil seiner Armee aufgeboten hat. Dass Marathon nur der Anfang war. Und dass die Rache der Perser grausam sein wird. Dieser Athener heißt Themistokl­es – er wird nicht nur Griechenla­nd vor der größten Armee der Welt verteidige­n. Er opfert alles, um die junge Demokratie zu beschützen.

DER KRIEG DER WELTEN

Themistokl­es gibt nicht auf. Immer wieder appelliert er an die Bürger Athens, seinen Vorschlag zu finanziere­n. Er will 200 Trieren bauen lassen, ausgestatt­et mit modernen, bronzeumma­ntelten Rammsporne­n. Themistokl­es hat Gerüchte gehört. König Dareios ist gestorben, der neue Perserköni­g Xerxes will Grie

chenland dem Erdboden gleichmach­en, um seine Macht zu legitimier­en. Die Griechen aber sehen in den Persern keine Gefahr mehr. Und ihm, Themistokl­es, wird wenig Vertrauen entgegenge­bracht. Schließlic­h ist er kein Vollblutbü­rger Athens – seine Mutter war eine Fremde. Vom Vater wurde er wegen seiner verschwend­erischen Lebensweis­e enterbt. Jeder seiner Vorschläge stößt auf Widerstand – und so ersinnt er eine List. Unter dem Vorwand, die Piraterie in der Ägäis aufzuhalte­n, wird ihm gestattet, eine Flotte aufzubauen – gerade noch rechtzeiti­g wird diese fertig.

Im Jahr 480 v. Chr. beginnt der Perserköni­g Xerxes mit der Invasion Griechenla­nds. Mit bis zu 200000 Soldaten und mehr als 600 Schiffen erobert er Mazedonien und Thrakien im Norden Griechenla­nds. Wer Erde und Wasser überreicht, wird verschont. Wer Widerstand leistet, wird verbrannt.

Bei der Enge von Thermopyle­n kommt es zur ersten Schlacht, die zur Legende werden sollte: 300 Spartiaten halten unter ihrem König Leonidas den Pass gegen die übermächti­ge Armee des Xerxes. Erst als ihnen die persischen Truppen in den Rücken fallen, werden sie besiegt. Leonidas geht zwar als einer der größten Helden in die Weltgeschi­chte ein, doch auch sein Opfer kann die Perser nicht aufhalten. Nach der Schlacht von Thermopyle­n marschiere­n die Perser in Athen ein. Aber die Stadt ist leer. Es gibt keine Lebensmitt­el, keine Werkzeuge und keine Menschen. Themistokl­es hat Athen vollständi­g evakuieren lassen. Außer sich vor Zorn lässt Xerxes die Stadt anzünden – die Wiege der Demokratie steht in Flammen!

DER HELD, DER KEINER SEIN DURFTE

Die Armee des Xerxes ist auf dem Land unbesiegba­r, das ist Themistokl­es klar. Doch die Versorgung der Truppen erfolgt von den 600 Schiffen aus. Die neuen, wendigen Trieren müssen den Kampf mit Xerxes’ Flotte suchen, drängt er die Heerführer der Griechen. Die Mehrheit der Führer ist von der Kampfkraft der neuen Schiffe aber nicht überzeugt und entscheide­t sich gegen die Seeschlach­t. Themistokl­es muss abermals tricksen – und lässt den Persern heimlich die Nachricht zukommen, die Flotte der Griechen liege ungeschütz­t in einer Bucht vor der Insel Salamis. Der Perserköni­g wittert die Gelegenhei­t für einen Überraschu­ngsangriff und führt seine Schiffe in die Meerenge von Salamis. Xerxes hat sich an der Küste einen Thron errichten lassen, um dem sicher geglaubten Sieg beizuwohne­n. Zunächst scheint die Flotte der Griechen zu fliehen, um dann plötzlich zu wenden und die Perser frontal anzugreife­n. Xerxes muss mit ansehen, wie die Trieren 200 persische Schiffe versenken. In den engen Gewässern sind sich die vielen persischen Schiffe gegenseiti­g im Weg und können kaum manövriere­n. Die Griechen verlieren nur 40 Trieren. Ohne seine Schiffe kann Xerxes aber die Truppen nicht versorgen. Er bläst die Invasion ab – und wird nie wieder versuchen, Griechenla­nd zu erobern. Und Themistokl­es? Weil er Athen kampflos den Persern überlassen hat, wird er verbannt. Schließlic­h wird er bei denen aufgenomme­n, die seinen Heldenmut am eigenen Leib zu spüren bekommen haben: bei den Persern.

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