Die EU ist nicht überflüssig, aber sie muss besser werden
Es gibt gute Gründe, warum die Union trotz heftiger Krisen im Jahr ihres 60. Geburtstages nicht abgewickelt werden darf
VON DETLEF DREWES
Wer in diesen Tagen zum 60. Geburtstag der EU Bilanz zieht, beginnt üblicherweise mit den Krisen: Flüchtlinge, Euro, Staatsschulden und so weiter. Je älter die Union wird, desto länger fällt die Liste aus. Dabei tut der Blick in die Gründerzeiten gut: Es war damals nicht anders. Man lag sich über den Abbau von Zöllen, übers Geld und die gerechte Lastenverteilung in den Haaren. Als ob Streit zwischen autonomen Staaten über das richtige Miteinander nicht vergleichsweise normal wäre – in jedem Fall aber besser als alles, was die Menschen in den Jahrzehnten vor dem Beginn der europäischen Integration durchmachen mussten.
Aber je mehr Länder das Projekt zusammenfasste, umso herzlicher wurde miteinander gerungen. Miteinander zu diskutieren, wo früher bereits Panzer gerollt sind, ist und bleibt ein Verdienst – auch wenn er nach über 70 Jahren ohne kriegerische Auseinandersetzung auf dem Boden der Unionsmitglieder selbstverständlich geworden scheint. Doch reicht das, um für die EU zu werben?
„Wir werden die Europäische Union durch noch mehr Einheit und Solidarität untereinander und die Achtung gemeinsamer Regeln stärker und widerstandsfähiger machen.“Diesen vielleicht wichtigsten Satz der Erklärung von Rom haben alle 27 Staats- und Regierungschefs am Samstag unterschrieben. Niemand machte eine Fußnote oder wollte erst einmal klären, was mit Solidarität gemeint ist. Immerhin. Vielleicht haben alle eingesehen, dass eben doch vieles erreicht wurde.
Die Reibereien zwischen den Staaten mussten zunehmen, je größer die Zahl der Mitglieder und je unterschiedlicher die Interessen wurden. Dennoch hat die EU bewirkt, dass sich ihre Mitglieder heute nicht mehr gegeneinander aufhetzen lassen, so stark die Nationalisten und Extremisten auch geworden sind. Diese EU mag kein Idealfall sein, aber sie ist das einzige politische Lösungskonzept für Krisenregionen, zu denen dieser Kontinent lange gehörte.
Die Kritiker haben ja recht: Dieser Moloch ist zu unbeweglich, zu bürokratisch, zu sehr vom Egoismus der Mitgliedstaaten (auch von uns Deutschen) bestimmt. Doch dies sind Gründe, um die EU zu verbessern, nicht um sie abzuwickeln. In Rom hat man das Erste versprochen. Weil das Zweite, der britische Weg, ins Abseits führt.
Die Vereinigten Staaten von Europa sind dennoch kein erstrebenswertes Ziel, weil die Mitgliedstaaten nicht alle eine tiefe politische Integration wollen. Stattdessen dürfen die Regierungen künftig für sich entscheiden, ob sie zum harten Kern derer gehören, die schneller zusammenwachsen – oder ob sie lieber auf die Bremse treten. Mit allen Risiken. Auch auf die Gefahr hin zurückzubleiben. Sogar mit der Chance, den Anschluss zu verlieren, falls man einen Kompromiss partout nicht mittragen kann. Wer die jetzt versprochene Einheit in Vielfalt und mit starken autonomen Ländern haben will, die für Wohlstand möglichst hindernisfreien Handel miteinander treiben, der muss wissen, dass Streit und Ringen um eine gemeinsame Lösung zum Tagesgeschäft gehören.
Der Weg ist das Ziel – diese Binsenweisheit gilt auch für Europa. Dieser Staatenbund steht an seinem Geburtstag vor einem Berg von Problemen. Aber auch vor einer langen Liste an Errungenschaften. Wer weder das eine noch das andere übersieht und würdigt, kann eigentlich nur zum Schluss kommen: Gäbe es diese EU für Europa nicht, müsste man sie schaffen: Im Interesse der 503 Millionen Bürger und all derer, die um uns herum leben und von dieser Gemeinschaft profitieren.
Das Ringen um Lösungen gehört zum Tagesgeschäft