Sie sind wieder da
Viele hatten das Notizbuch bereits abgeschrieben. Aber mittlerweile sind Unternehmen wie die italienische Firma Moleskine erfolgreicher denn je. Das hat auch mit den großen Versprechen zu tun, die sie den Kunden machen
Mailand Google-Kalender, NotizApp – längst werden Termine digital festgehalten und geteilt, Gedanken getippt statt in Schönschrift festgehalten. Wer braucht da noch ein Notizbuch? Und wer gibt für eine Kladde oder einen Taschenkalender schon mehr als 10, geschweige denn 25 Euro aus? Marken wie Paperblanks, Leuchtturm 1917 oder Moleskine beweisen, dass es auch im digitalen Zeitalter eine Nische für das hochwertige, scheinbar überholte Notizbuch gibt. 20 Jahre nachdem es das erste Moleskine-Notizbuch – ein kleines Schwarzes – zu kaufen gab, klettern die Umsatzzahlen des Mailänder Unternehmens immer weiter in die Höhe.
Es war Maria Sebregondi, die in den 1990er Jahren auf der Suche nach einer Geschäftsidee die Geschichte um Moleskine erfand. Wenn sie heute in ihrem Büro in Mailand über die Marke spricht, dann hört man sie überall, die vielen großen Versprechen, die Moleskine seinen Kunden macht: Kreativität, Inspiration, Einzigartigkeit, Selbstverwirklichung, Identität.
„Wir hatten den Ehrgeiz, eine kulturelle Marke zu schaffen. Das verbanden wir mit unseren Leidenschaften fürs Reisen, Geschäftemachen und für die Ästhetik“, sagt die Italienerin. „Ein Teil der Magie von Moleskine kommt auch dadurch zustande, dass der kreative Aspekt in all den Jahren durch Tausende Menschen geprägt wurde, die ihre Erlebnisse mit dem Notizbuch im Internet teilen.“
Prägend für die Marke war zunächst aber die Verknüpfung pro- minenter Namen längst verstorbener Künstler, Dichter und Denker. Moleskine wirbt damit, das Erbe des legendären Notizbuches der Künstler und Intellektuellen der vergangenen zwei Jahrhunderte zu sein – von Vincent van Gogh und Pablo Picasso bis Ernest Hemingway. Bruce Chatwin schrieb in seinem Reisetagebuch „Traumpfade“über Notizbücher namens Moleskine, die es in einer Pariser Papeterie zu kaufen gab. Sebregondi regte die Neuauflage an.
„Moleskine hat ein ganz großes Pfund: Es ist diese Geschichte, die sie aufgebaut haben, auch wenn sie nur zum Teil stimmt“, sagt Rainer Pfuhler vom Marktanalyse-Institut Rheingold. „Die Geschichte haben sie nicht so gelassen, sondern in die Neuzeit übertragen – und so eine ganze Welt für die Kreativen, Intellektuellen, Hippen geschaffen.“Und diese Welt besteht nicht mehr länger nur aus dem leeren, schwarzen Notizbuch, sondern aus Kalendern, Stiften, Brief- und Reisetaschen sowie Leseleuchten.
In der Mailänder Innenstadt gibt es mittlerweile sogar ein Moleskine Café, weitere sollen folgen. Damit mache das Unternehmen, dessen Umsatz in den ersten neun Monaten 2016 bei mehr als 95 Millionen Euro lag, die Marke noch „erlebbarer“, sagt Pfuhler. „Ich würde sagen, wir interpretieren damit den weitesten Sinn dessen, was das Notizbuch bringt: eine offene Plattform, einen Ort, an dem Kreativität und Ausdruck einen Platz haben“, meint Sebregondi.
In 20 Jahren hat sich nicht nur die Marke, sondern auch das Unternehmen weiterentwickelt. War Sebregondi zunächst mit ihren Partnern zu dritt, beschäftigt die Firma mittlerweile mehr als 250 Mitarbeiter und verkauft Produkte in 115 Ländern. Fast vier Jahre war es an der Mailänder Börse notiert, seit Januar gehört der Großteil der Anteile der belgischen Gruppe D’Ieteren. Dass das Notizbuch auch ein bisschen „old school“ist, sei keine Schwäche,
Moleskine wirbt mit einem alten Namen Das Unternehmen kooperiert mit Software Herstellern
sondern als Kontrast zur schnelllebigen Welt vielmehr die Stärke der Branche, sagt Pfuhler. In ein teures Notizbuch kritzelt man schließlich nicht. Deshalb sollten Schritte in Richtung Digitalisierung auch vorsichtig gemacht werden, rät er.
Moleskine setzt auf Kooperationen mit Software-Unternehmen wie Adobe. Sebregondi sagt: „Wir glauben an die Kraft des Papiers, aber wir schauen immer über den Tellerrand, darauf, wie wir das Papier erweitern können.“Die Seiten des neuen „smarten“Notizbuchs sind immer noch aus Papier, lassen sich aber über einen Stift ins Digitale übertragen. Noch machen diese neuen Produkte aber nur wenige Prozent von Moleskines Gewinn aus. Lena Klimkeit, dpa