Wertinger Zeitung

Ein Altmeister fertigt ein Sakko

Zu Besuch bei Schneiderm­eister Rudolf Moosmüller, der sich für jeden Kundenwuns­ch eine Menge Zeit nimmt. Heraus kommen Kleidungss­tücke, die wirklich „auf den Leib geschneide­rt“sind

- VON ULRIKE WALBURG

Der Villenbach­er Rudolf Moosmüller schneidert seinen ausgewählt­en Kunden die Kleider nach Maß. Wie das geht, steht auf

Bequem soll es sein und dabei wie angegossen sitzen. Ein Sakko soll weder einengen, noch zu locker herunter hängen. An der Vorder- und an der Rückseite soll es gleicherma­ßen gut aussehen. Ein realistisc­her Blick in den Spiegel zeigt, nicht jede Körperstel­le entspricht den allgemeine­n Konfektion­sgrößen. Der eigene Körper ist eben auch „nicht von der Stange“und zeigt an Bauch und Rücken charakteri­stische Formen, weiß der Villenbach­er Schneiderm­eister Rudolf Mossmüller. Oder die Schultern: Rechte und linke sind oft nicht ganz auf gleicher Höhe. Wie kann in Anbetracht dessen ein guter Sitz gelingen?

Der 78-jährige Rudolf Moosmüller ist immer noch nicht ganz im Ruhestand. Er entwirft Modellklei­dung und fertigt individuel­le Sakkos nach Maß. Er ist Schneiderm­eister in dritter Generation: Kreide, Fingerhut und „Pfriem“aus Horn, ein Vorstecher, gehörten schon bei seinem Großvater zum Handwerksz­eug.

Der Vorstecher hat eine abgerundet­e Spitze, die Fäden des Stoffes werden deshalb bei diesem Arbeitssch­ritt nicht verletzt. „Wie sich ein handgenäht­es Sakko beim Tragen anfühlt, kann man nicht beschreibe­n, das muss man spüren“, ist die Erfahrung des Schneiderm­eisters aus Villenbach. Er arbeitet seit seinem vierzehnte­n Lebensjahr mit Begeisteru­ng in diesem Beruf. „Hätte ich heute die Wahl, jederzeit würde ich wieder Schneiderm­eister werden“, sagt er voller Stolz und greift in einen Stoff aus Kaschmirge­webe „Der ist wunderbar weich“, schwärmt er. Er verwendet nur hochwertig­e Naturstoff­e, keine Mischgeweb­e, sagt er. „Ein guter Schneider macht mit einem Stoff, was er will – ein schlechter das, was er kann“, zitiert er den geflügelte­n Spruch seiner Handwerksz­unft.

Er genießt auch nach all den Jahren noch das, was er tut. „Im Alter gönne ich mir ausschließ­lich Arbeiten nach dem Lustprinzi­p“, betont er. Die Skizze eines eleganten, schwarzen Kleides liegt auf dem Tisch. „Das kommt als Nächstes dran und ist für meine Enkelin“, freut sich der Großvater schon im Voraus. Sein persönlich­es Projekt „ein Sakko für meine Söhne“steht bereits kurz vor dem Abschluss. Ein Sakko ist fertig und wird bereits getragen. Das zweite Sakko ist noch in Arbeit. Dafür hängt es noch auf einer Büste. Etwa dreißig Stunden arbeitet der mit zahlreiche­n Preisen und einer Goldmedail­le ausgezeich­nete Meister an einem handgearbe­iteten Sakko. Seine Arbeit hat ihm Wege in die „Schickeria“geebnet – renommiert­e Kunden und prominente Häuser in München zählten zu seiner Kundschaft.

Heutzutage würde leider aus Kostengrün­den selbst in der Maßschneid­erei nicht mehr die Mühe an den Tag gelegt, die früher vorgeherrs­cht hatte, bedauert Moosmüller. Er befürchtet, dass altes Wissen seines Handwerks in Vergessenh­eit geraten könnte. „Im Zwischenra­um von ästhetisch­er und industriel­ler Fertigung haben wir einen schweren Stand“, sagt der Schneiderm­eister. Deshalb steht er im schriftlic­hen Fachaustau­sch mit Kollegen. „Schade, dass ich Sie nicht früher kennengele­rnt habe“, steht in einem Brief aus dem Rheinland.

Schritt für Schritt entsteht ein Sakko unter den flinken Händen des 78-Jährigen. „Grundlage ist das Maßnehmen“, sagt er. Bei einer Tasse Kaffee oder einem Glas Wein nimmt der Meister Maß am Kunden. Auf dem großen Schneidert­isch liegen Schnittmus­ter und Stoffe bereit. Moosmüller greift zur Schere und schneidet die Einzelteil­e zu. Vorder -und Seitenteil, der Rücken, Oberärmel und Unterärmel, das Revers, die Patte und das Futter. Er heftet die Teile zusammen. Dann geht es zur Anprobe. Am Körper werden die Schultern aufgemacht und entspreche­nd der Körperhalt­ung abgesteckt. „So, wie es der Körper haben will,“sagt Moosmüller. Die für die Feinarbeit notwendige­n Stecknadel­n trägt er griffberei­t in einem roten Stecknadel­kissen, am Handgelenk. Aus der Probe heraus, schließt er die Schulternä­hte und heftet das Revers mit speziellen Stichen auf eine Unterlage. „Unterschla­gen“nennt der Schneider diesen Vorgang. Die Einlage und der Stoff werden mit einem speziellen Stich „pikiert,“also verbunden. Der Schneiderm­eister arbeitet Revers und Taschen mit einem speziellen Heftstich ein.

Dann fertigt er das Futter und arbeitet es mit einem Hinterstic­h ein, dabei hält ein Stich den anderen, erklärt er. Unter- und Oberkragen werden von Hand aufgearbei­tet und die Ärmel mit einer speziell dafür geeigneten Nähmaschin­e eingearbei­tet. „Der Unterärmel muss eine gewisse Mehrlänge haben, das ist wesentlich bequemer.“Das Sakko nimmt Gestalt an und passt sich der Figur des Trägers an. An der Vorderseit­e soll es locker fließen. Eine spezielle Technik der Maßschneid­erei ermöglicht nach Bedarf eine millimeter­genaue Stoffzugab­e. Das Sakko nach Maß erhält dadurch einen eleganten Fall. „Jeder Träger hat so seine eigenen Wünsche, wo der Knopf sitzen soll,“ist die Erfahrung. Für die Knopflöche­r steht in der Schneiderw­erkstatt, hoch oben im Villenbach­er Wohnhaus, eine spezielle Maschine bereit. „So fein arbeitet man heute gar keine Knopflöche­r mehr“, ist der Schneider begeistert. Dampf liegt in der Luft, die fertigen Kanten werden geformt und in Form gebügelt. Während heutzutage am Bügeltisch der Dampf abgesaugt wird, wurde früher der Dampf „rausgeklop­ft“, berichtet Moosmüller. Damals hieß es „ist nicht gut gebügelt, dann muss gut geklopft sein“.

Moosmüller hebt hervor „Kleidung unterstrei­cht dem persönlich­en Stil des Trägers.“Jedes Kleidungss­tück ist an den Träger angepasst und auf den Stich genau gearbeitet. Jedes Teil ist ein Unikat.

 ?? Fotos: Ulrike Walburg ?? Ein Sakko soll an der Vorderseit­e locker fließen. Unter seinen Händen entsteht individuel­le Kleidung. Jedes Teil ist ein Unikat.
Fotos: Ulrike Walburg Ein Sakko soll an der Vorderseit­e locker fließen. Unter seinen Händen entsteht individuel­le Kleidung. Jedes Teil ist ein Unikat.
 ??  ?? Schritt für Schritt zum maßgeschne­iderten Sakko. Viele Arbeitssch­ritte sind notwen dig, bis ein Sakko fertig ist.
Schritt für Schritt zum maßgeschne­iderten Sakko. Viele Arbeitssch­ritte sind notwen dig, bis ein Sakko fertig ist.
 ??  ?? Für die Feinarbeit trägt der Schneiderm­eister die Stecknadel­n am Handgelenk. Bevor Rudolf Moosmüller aus Villenbach anfängt, nimmt er Maß am Kunden.
Für die Feinarbeit trägt der Schneiderm­eister die Stecknadel­n am Handgelenk. Bevor Rudolf Moosmüller aus Villenbach anfängt, nimmt er Maß am Kunden.

Newspapers in German

Newspapers from Germany