Verliebt in die Herausforderung
David Lagercrantz wurde „literarischer Vampirismus“vorgeworfen, als er die Millennium-Serie fortschrieb. Nun erscheint der nächste Band – der Erfolg ist gewiss
Wäre dies ein Roman, man würde vielleicht sagen: irgendwie unglaubwürdig, die ganze Story. Es stirbt der Autor einer Kriminalserie, bevor der erste Band erscheint. Die Serie wird zu einem Welterfolg, der Verlag und die Familie wollen das Werk trotz des entschiedenen Widerstandes der Lebensgefährtin weiterführen und verpflichten einen Kollegen, der mit einer Biografie eines Fußballers berühmt wurde und von sich selbst sagt: „Ich bin kein Leser von Kriminalromanen. Ich bin es nie gewesen.“Die Fangemeinde schreit „Sakrileg“, liest dann dennoch: Band vier wird ein Riesenerfolg, mehr als sechs Millionen Mal verkauft. Zwei Jahre später folgt Band fünf…
Echt jetzt? Echt jetzt! „Verfolgung“heißt dieser fünfte Band, mit dem der Schwede David Lagercrantz die Millennium-Serie des verstorbenen Stieg Larsson um den nächsten Plot erweitert hat und der vor wenigen Tagen erschien. Diesmal fallen der Rummel und das Getöse nicht ganz so groß aus wie bei Band vier, als selbst Lagercrantz, 55, erschrak und gerne kopfschüttelnd darauf hinwies: „Es ist doch nur ein Buch.“
Warum aber tut sich das ein Schriftsteller an? Das Werk eines anderen fortzuschreiben? „Literarischen Vampirismus“zu betreiben, wie sich eine schwedische Literaturkritikerin empörte? „Ich habe mich in die Herausforderung verliebt“, sagt David Lagercrantz. Ein Jahr lang verinnerlichte er die drei Erfolgsbände von Larsson, dann wag- te er sich an die Fortsetzung, schlief schlecht, hatte Heidenangst: „Ich wusste, ich musste ein gutes Buch schreiben.“Band fünf war im Vergleich dazu also Kindergeburtstag! Die Anerkennung als Schriftsteller hatte Lagercrantz jedoch schon vor diesem Experiment gewonnen. Seine Biografie über den Fußballer Zlatan Ibrahimovic war in Schweden ein Bestseller, zuvor hatte er unter anderem bereits einen hochgelobten Roman über den Mathematiker Alan Turing geschrieben. Er möge diese Persönlichkeiten, die auf Widerstand treffen, so wie auch die MillenniumsHeldin Lisbeth Salander. „Und ich liebe es, wenn ich mit einem anderen Universum kollidiere.“Was auch sein Lebensweg zeigt: Lagercrantz, verheiratet mit einer Journalistin, drei Kinder, entstammt einer angesehenen Familie, sein Vater war einer der bekanntesten Literaturkritiker des Landes.
Er liebe wie sein Vater diese feine, alte Literatur, sagt Lagercrantz, aber den gleichen Weg habe er nicht gehen wollen. Stattdessen wurde er erst einmal Polizeireporter bei einer Boulevardzeitung, bevor er sich der Schriftstellerei zuwendete. Seine Schwester, die Schauspielerin Marika Lagercrantz, formulierte das Familienmotto einmal wie folgt: „Sei erfolgreich oder gehe unter.“Klingt auch schon wieder nach Roman. Über den aktuellen sagt David Lagercrantz fast schon bescheiden: „Ich habe so gut geschrieben, wie ich eben zu schreiben vermag.“Der Erfolg ist gewiss. Stefanie Wirsching