„Wir müssen gehört werden“
Bundestag Die 19-jährige Hausenerin Carina Hämmerle will etwas verändern. Über die sozialen Netzwerke startet sie eine Aktion. Ihr Ziel: Junge Menschen sollen wählen gehen
Dillingen Mit strengem Dutt, zugeknöpfter weißer Bluse und Brille spricht Carina Hämmerle zu ihren Zuhörern. Ihre Miene ist ernst, die Hände sind gefaltet. Doch die ersten Sekunden ihres Internetvideos sind nur Show. Inszeniert, um zu demonstrieren: Nicht nur spießige Menschen gehen wählen. „Ich bin kein Politik-Freak und auch kein Nerd. Ich befasse mich auch nicht täglich mit dem Thema. Aber ich gehe trotzdem wählen.“Von ihrer Generation fordert sie das Gleiche. Nur wer bei der Bundestagswahl seine Stimme abgibt, könne was bewirken, sagt sie.
Darum startet sie ein Projekt, mit dem junge Menschen über die sozialen Kanäle erreicht werden sollen. Lange sucht sie nach dem passenden Hashtag, unter dem ihre Idee laufen soll. „Da bin ich auf die Kampagne ‚Du hast die Wahl 2017‘ gestoßen.“Eine bundesweite Initiative, um am 24. September eine größtmögliche Wahlbeteiligung zu erreichen. Carina Hämmerle, die in den sozialen Netzwerken als Kiri bekannt ist, hat dasselbe Ziel. Deshalb macht sie unter dem Stichwort „#duhastdiewahl2017“einen Aufruf. Sie will,
Teil einer bundesweiten Aktion
dass so viele wie möglich ein Video hochladen. Darin sollen die Teilnehmer erklären, wieso es so wichtig ist, auf dem Stimmzettel ein Kreuz zu setzen. Genaue Anweisungen liefert sie in einem Flyer, der über ihre sozialen Kanäle verbreitet wurde. „Bis jetzt haben 30 Leute ein Video hochgeladen“, freut sich die 19-Jährige. Auch bekannte Youtuber unterstützen ihre Aktion.
Ihr eigener Clip dauert zwölf Minuten. „Wenn ich nicht wählen gehe, dann geht ein Nazi wählen, jemand, der homophob ist. Jemand, der grundsätzlich gegen alles Gute ist“, spricht sie in die Kamera, macht eine kurze Atempause und fügt hinzu: „Dann wählt der und bestimmt, was in deiner Zukunft passiert.“Ihre Stimme ist immer noch ernst. Den strengen Zopf hat sie jetzt durch eine offene Mähne eingetauscht. Hämmerle ist tätowiert und trägt ein Nasenpiercing. Sie entspricht nicht dem scheinbar gängigen Bild eines politisch engagierten Bürgers.
Knapp 2700 Abonnenten hat sie auf dem Online-Kanal Youtube. 2200 folgen ihr auf Twitter. In den sozialen Medien kommt sie gut an. Sie redet mit ihren Followern über das neue iPhone, Weisheitszähne, schneidet vor der Kamera ihre Haa- re ab, macht eine Gesichtsmaske und lässt sich tätowieren. Jetzt ist es die Bundestagswahl, die ihre Chronik bei Twitter dominiert. Viele Menschen verbreiten die Idee. Unter dem Hashtag machen sie das Projekt publik. „Ich hätte nicht gedacht, dass es so gut ankommt.“
Carina Hämmerle steckt gerade im letzten Jahr ihrer Ausbildung zur Technischen Zeichnerin bei Gartner in Gundelfingen. Dass es immer noch viele Lehrstellen gibt, für die Azubis zahlen müssen, ärgert die 19-Jährige. „Deshalb können viele nicht die Ausbildung machen, die sie wollen.“
Sie fordert, dass die Politiker mehr auf die Bedürfnisse junger Menschen schauen. Dass Taten folgen. Themen behandelt werden, die in der Gesellschaft zu wenig beachtet werden. „Und wer nicht wählen geht, pusht die rechtsextremen Parteien.“50 Prozent der Wähler sind über 50 Jahre alt. So steht es in der Statistik. „Und nur fünf Prozent sind zwischen 18 und 24.“
Als sie vergangenen Sonntag den Fernseher anschaltet, kommt ihr der Einfall. Wie viele andere verfolgt sie das TV-Duell der Kanzlerkandidaten. „Ich finde, dass keiner der beiden über Probleme und Wünsche der Jugend geredet hat.“Stattdessen hätten die üblichen Standard-Punkte auf der Agenda gestanden.
In ihrem Freundeskreis interessieren sich nicht viele für die Bundestagswahl. „Viele haben mir gesagt, dass sie nicht wählen gehen.“Schockierend für die Hausenerin. „Das geht so nicht.“Mit der Einstellung sei es unmöglich, dass die Wünsche der jüngeren Generation erfüllt würden. „Der Brexit hat uns gezeigt, was passiert, wenn man eine Wahl nicht ernst nimmt“, schreibt Hämmerle in dem Flyer, den sie auf ihrem Account veröffentlicht hat. Knapp 30 Leute haben mitgemacht. Sie stellten sich vor die Kamera und erklärten, wieso jede Stimme zählt. In den Kommentaren loben die Nutzer das Engagement der jungen Hausenerin.
Carina Hämmerle versteht die Welt der sozialen Medien. Ihre Videos sind professionell. Sie arbeitet mit Softboxen, Mikrofon und einem Stativ. Auf ihrem neusten Clip trägt sie ein T-Shirt. „Du hast die Wahl 2017“steht darauf geschrieben. „Wir müssen gehört werden“, sagt sie. „Es ist deine Stimme und es ist deine Zukunft.“