Kein Lautsprecher, ein Macher
Das Berliner Ensemble, Brechts ehemaliges Theaterhaus, hat einen neuen Intendanten: Oliver Reese. Dessen Karriere startete in der Region
Berlin hält die Theaterszene in diesem Jahr durch den Intendantenwechsel an gleich zwei großen Häusern in Atem: maximal laut an der Berliner Volksbühne (wir berichteten), mittlerweile ruhig am Berliner Ensemble, das Bertolt Brecht nach dem Zweiten Weltkrieg gegründet hat. Dort, im Theater am Schiffbauerdamm, endete im Sommer die Ära von Claus Peymann.
All dessen Versuche, daraus eine Schlammschlacht zu machen, widerstand der Nachfolger Oliver Reese erfolgreich. Denn immer wieder trat Peymann auf Reese verbal ein. Ein Zwerg werde ans Haus geholt, so Peymann. Aber Reese konterte nie, ließ sich auf dieses Spiel nicht ein. Nun, wenn am heutigen Donnerstag die erste Premiere am Haus ansteht – Albert Camus’ „Caligula“–, kann man sich schon die Frage stellen, wer dieser Mann ist, der so gelassen mit den ständigen Provokationen umgeht.
Anders als bei Peymann, wo der Intendant der größte Star der Bühne war, richtet Reese seinen Fokus konsequent auf die Schauspieler. Das hat er schon bei seiner letzten Station so gemacht, dem Schauspiel Frankfurt, das Reese von 2009 bis 2017 geleitet hat. Wunderbare Akteure schafften es dort, die Bühne zu immer neuen Publikumsrekorden zu führen. Und manche Schauspieler entwickelten sich zu Stars, deren Mitwirken genügte, um die Zuschauer zu locken. Am Berliner Ensemble hat Reese nun einige hochkarätige Darsteller versammelt: Constanze Becker, Stephanie Eidt, Corinna Kirchhoff, Josefin Platt, Stefanie Reinsperger – alles Darstellerinnen, die einen Abend problemlos allein tragen können. Reese, der 1964 in Schloss Neuhaus bei Paderborn geboren ist, hat am Anfang seiner Theaterkarriere in unserer Region gearbeitet. Unter dem Intendanten Bernd Wilms war er von 1991 bis 1994 Chefdramaturg in Ulm. Mit Wilms zusammen wechselte er 1994 an das Berliner Maxim-Gorki-Theater und 2001 von dort an das Deutsche Theater Berlin – jeweils als Chefdramaturg. An beiden Häusern wurde die neue Leitung vom Ensemble und den Mitarbeitern eisig empfangen. „Wessis“, die an den Ost-Theatern das Sagen hatten. Wende-Probleme, die sich an den Häusern erst legten, als die ersten Produktionen einschlägigen Erfolg hatten.
Das Berliner Ensemble möchte Reese in dem Reigen großer Berliner Theaterhäuser in die Gegenwart rücken. Zwölf von 17 Stücken in der ersten Spielzeit stammen von lebenden Dramatikern. „Uns geht es weniger um Form und mehr um Themen“, sagt Reese. Der Intendant verbeugt sich in der Stückauswahl natürlich auch vor dem Theatergründer: Brechts „Kaukasischer Kreidekreis“hat am Samstag Premiere. Und dann ist Reese noch ein besonderer Coup gelungen: Er hat Frank Castorf, den Ex-Intendanten der Volksbühne, als Regisseur gewonnen. Ganz rausgehalten hat sich Reese aus dem Getöse um die Intendantenwechsel in Berlin also doch nicht. Richard Mayr