140 Gramm, stachelig, hilfsbedürftig
Nur wenige Wochen alt, lauern auf kleine Igel jetzt besonders große Gefahren. Warum Gartenbesitzer auf Schneckenkorn verzichten sollten und was Schmeißfliegen anrichten können
Zusamaltheim Behutsam nimmt Katja von Schlippenbach ein stachliges Tierchen aus dem Karton. Anja Flittner aus Emersacker hat den kleinen Patienten mitgebracht. „Er stolperte am helllichten Tag durch meinen Garten“, erzählt sie der Tierärztin.
Zunächst hatte sie sich am Anblick des Winzlings erfreut, und sie lockte ihn mit Futter. Doch weil er selbst an ihrem frisch zubereiteten Rührei keinerlei Interesse zeigte, packte sie ihn in einen Karton, um ihn in der Kleintierpraxis in Zusamaltheim vorzustellen. 150 Gramm zeigt die Waage. Demnach muss der kleine Kerl erst drei bis vier Wochen alt sein, rechnet Schlippenbach nach. Igelbabys wiegen bei der Geburt nur zwölf bis 25 Gramm, nach vier Wochen etwa 140 bis 180 Gramm.
„Wir bekommen derzeit täglich Igel zu sehen“, berichtet Dr. Christian Umlauf, der in diesem Jahr schon etliche dieser Findelkinder untersucht und behandelt hat. Vor Kurzem konnte er einen Igel retten, der mit Fliegeneiern und Maden versetzt war. Die Maden hätten das Tier bei lebendigem Leib aufgefressen, wäre er nicht zu Hilfe gekommen. Einen anderen musste er jedoch einschläfern. Die Maden hatten sich bereits durch alle Körperöffnungen gefressen.
Da Igel zu den Wildtieren zählen, sollten sie grundsätzlich in der Natur belassen werden. Sie seien weder Haustiere noch Kinderspielzeug, weist Umlauf auf den richtigen Umgang hin. Und nicht jeder Igel benötige Hilfe. Laufen jedoch verwaiste Igelsäuglinge tagsüber außerhalb des Nestes herum, müsse sehr schnell gehandelt werden. Denn diese Situation könnte darauf hinweisen, dass die Mutter nicht mehr lebt. Nicht nur im Straßenverkehr sterben vor allem in der Dämmerung und bei Nacht derzeit zahllose Igel. Weitere Gefahren lauern in ebenerdigen Gullys und Abfluss- schächten. Jagdlustige Hunde könnten Igel ebenfalls schwer verletzen oder töten.
Dr. Katja von Schlippenbach zieht aber auch Gartenbesitzer zur Verantwortung, wenn sie sagt: „Wer giftiges Schneckenkorn streut, nimmt in Kauf, dass Igel qualvoll sterben.“Vom handelsüblichen Schneckenkorn rät sie deshalb dringend ab.
„Denn“, so Schlippenbach, „dieses Korn kann genauso Hunde und Katzen töten. Igel lieben es, Hunde auch.“Erst kürzlich sei ein Hund gestorben, der eine Packung Schneckenkorn geklaut und gefressen habe. Fatal: „Dieses Zeug schmeckt auch noch lecker.“Dabei gäbe es Alternativen, Produkte, die Eisenphosphatverbindungen enthalten.
Inzwischen haben die beiden Tierärzte den Igel-Findling gründlich durchgecheckt und mit einem Mittel gegen Flöhe und Zecken eingesprüht. Auffallend in dieser Herbst-Saison sei der übermäßige Parasitenbefall. Schlippenbach: „Viele Igel zeigen Hautprobleme“, glaubt sie, dass der nasse Sommer daran schuld sei. Einer Frau aus Wertingen, die drei Igeljunge in Obhut hat, empfahl sie deshalb Jodseife zum Schamponieren der schuppigen Haut.
Jetzt nimmt sie den stachligen Patienten wieder auf und streichelt ihn über das Hinterteil. „Ein Trick“, wie die Tierärztin schmunzelnd erklärt. So würde er sich freiwillig aufrollen und seinen Bauch freigeben. „Igel sind richtige Persönlichkeiten“, schätzt sie an den kleinen Tieren die unterschiedlichen Charaktere. Sie habe schon alles erlebt - zahme, zickige, rauffreudige und äußerst heikle Igel.
Die Kosten für die ärztliche Behandlung muss der Finder selbst tragen. Doch die halten sich in Grenzen. Tierärzte stellen lediglich die Medikamente in Rechnung. In der Kleintierpraxis in Zusamaltheim sieht man die Igelpflege als wichtigen Beitrag zum Tierschutz.