Eine Dynastie im Untergang
Noch residiert die Unternehmerfamilie Laurent mondän in ihrer Villa in Calais. Doch der Zerfall ist unaufhaltsam… Michael Haneke, Meisterregisseur der Abgründe, seziert ihn mit überraschender Leichtigkeit
Näher an einer Farce war Michael Haneke mit seinen Dramen von Zerfall und Vergletscherung des europäischen Bürgertums nie als nun bei „Happy End“. Man muss diesen Film nicht unbedingt als Farce verstehen, dazu sind die Personen viel zu komplex und intim gezeichnet, ihre Darsteller viel zu menschennah. Wie bei Franz Kafka, dessen „Schloss“Haneke eine sehr treue Adaption widmete, könnte man angesichts des dargestellten Grauens auch in Gelächter ausbrechen.
Wenn man sich trauen würde. Hier jedenfalls gibt es Szenen, in denen ein kosmisches Lachen über die Menschen unserer Zeit widerhallt: das Unglück, das ausgelöst wird, weil jemand zur Unzeit auf ein DixiKlo geht, das Meerschwein, das mit Antidepressiva gefüttert wird, eine Familie, in der der Selbstmordversuch zum bevorzugten Kommunikationsmittel wird, der todessehn- süchtige alte Mann, der mit seinem Rollstuhl nur bis zur Hüfte in den Atlantik gelangt...
In Calais kämpft die Unternehmerdynastie Laurent ums Überleben von Firma und Familie. Noch residiert man stilvoll: in der Villa, mit nordafrikanischem Dienstpersonal und einem Rest großbürgerlicher Contenance. Doch die Welt der Laurents ist dem Untergang geweiht – und ihr Vergehen schert den Rest der Welt kein bisschen. Mit den Laurents gehen vermutlich der alte, dynastische Kapitalismus, die bürgerliche Gesellschaft, Europa und natürlich das Abendland zugrunde. Vielleicht haben sie aber auch bloß den Anschluss verpasst in ihrer destruktiven Abhängigkeit voneinander.
In dieses Un-Idyll kommt die zwölfjährige Eve (Fantine Harduin), Tochter aus Thomas’ erster Ehe, nach einem Suizidversuch der Mutter. Natürlich geben sich alle mehr oder weniger Mühe, ein neues Mitglied in die Familie aufzunehmen, deren Zerfall indes eher beschleunigt als aufgehalten wird. Was bleibt, ist nur die Unfähigkeit, über das eigene Unglück zu sprechen.
Es ist das wiederkehrende Motiv dieses Films: Ansätze, miteinander zu reden, die in Verstummen oder Verzweiflung enden. Das liegt nicht nur an ökonomischen und emotionalen Gegebenheiten; von Anfang an sehen wir die Figuren auch als Gefangene ihrer Räume. In jeder Einstellung erforscht Haneke die Dialektik zwischen dem Menschen und seiner Umwelt. Der Smartphone-Film, die SMS-Nachrichten, die Youtube-Collage – werden bei ihm als Mittel der Erzählung und zugleich als Bilder der Entfremdung eingesetzt. Wenn die Menschen hier über ihre digitalen Maschinen kommunizieren, sind sie immerhin noch ehrlicher, als wenn sie körperlich beieinander sind.
Thomas hat ein heimliches Verhältnis mit einer Musikerin, was zur einzigen, aber ausgesprochen dramatischen Musikszene des Films führt. Wie in „Die Klavierspielerin“ist Musik hier ganz und gar kein Trostpflaster, schon eher das Aufbrechen einer Wunde. „Happy End“ist kein Film katastrophischer Engführung, sondern einer der Auffächerung. Viele Geschichten stecken in dieser Familienaufstellung, die prominent besetzt ist mit Isabelle Huppert, Jean-Louis Trintignant und Franz Rogowski. Immer wieder gibt es Verweise, Andeutungen und Assoziationen. Man könnte „Spiel“dazu sagen. All das und der ungewohnte Raum, den wie immer die traumhafte Beziehung zwischen Regie und Schauspiel gewährt, macht, dass „Happy End“ein Film von überraschender Leichtigkeit ist. Ein wenig wirkt es, als sei er zugleich ein Abschluss und ein Neuanfang. (epd)
Ein Interview mit Michael Haneke lesen Sie im Wochenend Journal.