Wahlsieger Weil ermahnt die SPD
Der erfolgreiche Niedersachse kritisiert die Bundespartei und erklärt, warum es in Hannover anders lief als im Bund
Berlin Stephan Weil und die Bundes-SPD – das ist ein kompliziertes Verhältnis. Am Tag nach seinem Wahl-Triumph ist der alte und nach menschlichem Ermessen auch künftige Ministerpräsident von Niedersachsen nach Berlin gekommen. Am Morgen zeigt er sich zwar bei einem kurzen Fototermin gemeinsam mit Parteichef Martin Schulz und weiteren Mitgliedern des Präsidiums im Willy-Brandt-Haus. Doch seine eigentliche Pressekonferenz hält er dann nicht in der Parteizentrale, wie es Landespolitiker nach wichtigen Wahlen üblicherweise tun – sondern allein, im Haus der Bundespressekonferenz.
Fragen nach den Gründen dafür weicht Weil aus – doch das Signal ist klar: Dieser Erfolg hat seine Väter in Niedersachsen – und nicht etwa in Berlin. Weil will sich nicht von den Genossen im Bund vereinnahmen lassen, die doch nach all den Wahlschlappen so dringend ein Erfolgserlebnis brauchen. Stattdessen lobt er die „geschlossene Mannschaftsleistung“seines Landesverbands, die gezeigt habe, dass die SPD auch Wahlen gewinnen könne – „wenn man es richtig macht“. Wenn Weil, der für seine norddeutsch-zurückhaltende Art bekannt ist, das sagt, ist das als schwere Kritik zu verstehen. Aus dem Umfeld Weils heißt es, dass er mit der SPD-Kampagne zur Bundestagswahl überhaupt nicht einverstanden war. Und zwar nicht mit Martin Schulz als Kanzlerkandidat, sondern mit dessen Beratern aus der als zerstritten geltenden Mannschaft in der Parteizentrale – die er wohl deshalb meidet.
Das positive Ergebnis der SPD in Niedersachsen sei das Ergebnis jahrelanger solider Politik im Land, betont der 58-Jährige. Im Bundestagswahlkampf habe die SPD zu einseitig auf das Thema Gerechtigkeit gesetzt – eine Vision für die Zukunft aber vermissen lassen. Die Partei, so Weil, habe es versäumt, „die real existierenden Sorgen von Millionen Bürgern ernst zu nehmen“. Themen wie die Missstände im Gesundheitsund Pflegebereich oder die Probleme der ärztlichen Versorgung im ländlichen Raum habe die SPD nicht ausreichend besetzt.
Eine Erneuerung könne aber nur gelingen, wenn die SPD lerne, den Menschen wieder besser zuzuhören. In seinem Wahlkampf habe er kaum klassische Kundgebungen abgehalten, dafür bei zahlreichen sogenannten Bürgerversammlungen nach den konkreten Anliegen der Menschen gefragt. Was seine eigene politische Zukunft betrifft, gibt sich Weil gewohnt zurückhaltend. Auch ohne ein hohes Parteiamt gehe er davon aus, dass seine Meinung künftig in der Bundespartei angemessen wahrgenommen werde. Martin Schulz halte er für den richtigen Mann an der Parteispitze, „mit seiner hohen Integrationskraft“sei er der richtige Mann, um den nötigen Erneuerungsprozess zu leiten.
Gleichzeitig macht Weil klar: Die SPD muss sich seiner Meinung nach auch personell erneuern. Welche Rolle er selbst dabei spielen könnte, will der kühle Norddeutsche nicht diskutieren. Einen Ruf als Kanzlerkandidat befürchte oder erwarte er jedenfalls nicht. Für ihn drehe sich jetzt zunächst einmal alles darum, in Niedersachsen bald eine Regierung zu bilden. Gern hätte er mit den Grünen weiterregiert, doch nachdem diese deutlich verloren haben, reicht es dafür nicht. Dass es in Niedersachsen zu der im Bund favorisierten Jamaika-Koalition von CDU, FDP und Grünen kommen, dass die SPD am Ende leer ausgehen könnte, das befürchtet er nicht: „Da gibt es in Niedersachsen zu große Vorbehalte zwischen diesen Parteien.“Bliebe entweder eine Große Koalition seiner SPD mit der CDU – oder eine Ampel zusammen mit FDP und Grünen. Das schließen die Liberalen derzeit zwar aus, doch Weil kündigt Gespräche mit allen im Landtag vertretenen Parteien außer der AfD an.
Mit Weils Wahlsieg ist eine Ablösung des gescheiterten Kanzlerkandidaten Martin Schulz als Parteichef zumindest vorerst vom Tisch. Der sagt nach einer Vorstandssitzung im Willy-Brandt-Haus, vom Erfolg in Niedersachsen dürfe sich die Bundespartei nicht blenden lassen – es stehe eine Durststrecke in der Opposition bevor. Um aus der Krise zu kommen, so Schulz, müsse die SPD zur „Fortschrittspartei“werden.