„Sturm auf den Reichstag“
Für eine bessere Welt: Heute startet eine Großaktion in Berlin
Berlin Milo Rau gehört zu den bekanntesten, aber auch streitbarsten zeitgenössischen Theatermachern. Zuletzt sorgte der 40-jährige Schweizer mit seinem Stück „Five Easy Pieces“für Aufsehen, in dem er Kinder die Verbrechen des Kindermörders Marc Dutroux nachspielen ließ. In Berlin startet heute ein großes Projekt: Bis 5. November soll ein „Weltparlament“eine Charta für das 21. Jahrhundert erarbeiten. Für den 7. November ruft er zum „Sturm auf den Reichstag“auf.
„Der Bundestag macht internationale Politik, wird aber nicht international gewählt“, sagt Rau. „Nicht einmal ein Bruchteil der von dieser Politik betroffenen Menschen ist im Bundestag vertreten. Wir wollen das neu gewählte deutsche Parlament herausfordern – mit Ak- teuren, die bisher kein politisches Mitspracherecht haben.“In dem Weltparlament („General Assembly“), das von heute bis Sonntag in der Berliner Schaubühne am Lehniner Platz tagt, soll es um große Zukunftsfragen der Gesellschaft gehen.
Zum Beispiel: Was bedeutet politische Souveränität im Zeitalter der Globalisierung? Wie verhalten sich die Interessen der Weltbevölkerung zu den demokratischen Prinzipien der Nationalstaaten? Auch das Wasser, das Klima und die Tiere sind Thema. Rund 60 Abgeordnete sind angemeldet: Internationale Wissenschaftler, Aktivisten und Kulturschaffende – vom Erdogan-kritischen Journalisten Can Dündar bis zum russischen Theologen und TVModerator Maxim Shevchenko. Aus dem Deutschen Bundestag haben sich bis auf die AfD Vertreter aller Parteien angeschlossen, etwa Linken-Chefin Katja Kipping und der CDU-Abgeordnete Frank Heinrich.
Die Übergabe der „Charta“an den Bundestag ist am 100. Jahrestag der russischen Revolution geplant. Am 7. November 1917 hatten die Bolschewiki mit dem Sturm auf den Winterpalast in St. Petersburg die Macht in der damaligen russischen Hauptstadt übernommen. Milo Rau ruft zum Nachspiel der historischen Ereignisse auf der Wiese vor dem Reichstag auf. „Natürlich geht es nicht darum, da reinzustürmen, um wieder rausgeworfen zu werden“, sagt Rau. „Nein, wir wollen dieses Weltparlament mit einem symbolischen Bild abschließen – denn das soll erst die erste vieler Sitzungen der General Assembly sein.“(dpa)