Patienten warten stundenlang auf Krankenwagen
Engpässe sind beim Krankentransport beinahe Alltag. Ein 87-jähriger Demenzkranker musste gut sechs Stunden ausharren, ehe er aus der Klinik nach Hause kam. Die Lage hat sich zuletzt verschärft – obwohl es Warnungen gab
Augsburg Es war ein Sonntag im November. Der Vater von Helge Franke – er ist 87 und an Demenz erkrankt – litt an diesem Tag unter starken Schmerzen. Der Schmerz war so heftig, dass er nicht mehr sitzen konnte. Ein Rettungswagen brachte den Mann deshalb ins Klinikum. Dort wurde er gut drei Stunden lang behandelt. Um 14.30 Uhr hieß es, er könne wieder nach Hause. Es dauerte danach aber noch gut sechs Stunden, bis der 87-Jährige wirklich daheim war. Bis zum Abend musste er in der Notaufnahme warten, ehe ein Krankenwagen für ihn frei war.
Der 87-Jährige hatte es noch gut. Er war während der Wartezeit nicht allein. Helga Franke und eine weitere Tochter versorgten ihn mit Essen und Trinken und kümmerten sich darum, dass ihm die Windeln gewechselt wurden. Neben ihm lag an diesem Sonntag eine ältere Frau, die zurück in ein Heim gebracht werden sollte. Auch sie wartete rund sechs Stunden auf den Transport – ohne Betreuung. Essen ist für wartende Patienten tagsüber nicht vorgesehen und wird dem Klinikum auch von den Kassen nicht bezahlt. Man muss sich selbst etwas besorgen, etwa in der Cafeteria. Ihr Vater wäre dazu aber gar nicht in der Lage gewesen, sagt Helga Franke.
Das Problem ist nicht neu. Längere Wartezeiten bei Krankentransporten sind fast schon normal. Obwohl die Augsburger Hilfsorganisationen massive Bedenken geäußert hatten, wurde im Frühjahr 2015 die Zahl der Krankentransportwagen in der Region sogar reduziert. Das Personal der Krankenwagen arbeite regelmäßig am Limit, sagt Lothar Ellenrieder, der Leiter des Rettungsdienstes beim Roten Kreuz in Augsburg. Die Mitarbeiter seien von einem Patienten zum nächsten unterwegs. Sie kämen fast nicht dazu, die vorgeschriebenen Pausen einzuhalten. Auch Überstunden seien an der Tagesordnung. „Und sie bekommen den Ärger der Menschen ab, die lange warten müssen.“Ole Kaske von der Johanniter-Unfallhilfe in Schwaben sieht die Lage genauso. Er warnt: „Wir kommen an die Grenzen der Belastbarkeit.“
Für die Patienten sind die Wartezeiten nicht nur ärgerlich. In vielen Fällen ist es für sie auch eine körper- Belastung. Denn per Krankentransport werden oft chronisch kranke, häufig auch bettlägerige Patienten ins Krankenhaus oder zum Arzt gebracht und von dort wieder abgeholt. Arztpraxen sind in aller Regel überhaupt nicht darauf vorbereitet, jemanden länger zu betreuen. Sechs Stunden Wartezeit ohne Essen mögen für einen Gesunden unangenehm sein, bei einem Kranken kann das problematisch werden.
Diese Einschätzung teilen die Verantwortlichen der Hilfsorganisationen. Sie können daran aber wenig ändern. Denn die Vorgabe, wie viele Krankenwagen mit Personal bereitgehalten werden, kommt von der Politik. Die Stadt Augsburg und die Landkreise in der Region sind zu einem Rettungszweckverband zusammengeschlossen. Dort wird festgelegt, wie viele Krankenwagen benötigt werden und wo sie stationiert sein sollen. Der Zweckverband muss sich dabei aber mit den Kranliche kenkassen abstimmen. Denn die Kassen bezahlen das. Und sie wollen möglichst wenig Geld ausgeben.
Weil es sich bei Krankentransporten nicht um medizinische Notfälle handelt, halten die Kassen eine Wartezeit von rund drei Stunden ohnehin für angemessen. Auf dieser Basis haben Wissenschaftler der Universität München vor einigen Jahren das Angebot im Raum Augsburg untersucht. Sie kamen zum Ergebnis, dass es mehr als genug Krankenwagen gibt. Ihre Empfehlung lautete: Die Zahl der Krankenwagen reduzieren – und lieber mehr Rettungswagen, die auch für Notfälle ausgestattet sind, bereithalten. Rettungswagen könnten bei Engpässen auch für den Krankentransport genutzt werden. So wurde es umgesetzt.
In der Praxis zeigt sich jedoch: Die Ausnahme ist zur Regel geworden. Rund 46 000 Krankentransporte wurden im Jahr 2016 von der Augsburger Rettungsleitstelle in Auftrag gegeben. Fast jeder vierte Transport – knapp 24 Prozent – ist mit einem Rettungswagen abgewickelt worden. In der ersten Hälfte dieses Jahres zeigt sich derselbe Trend. Das ist nicht unkritisch. Denn jeder Rettungswagen, der für einen Krankentransport genutzt wird, steht für Notfälle nicht sofort zur Verfügung. „Es ist alles auf Kante genäht“, sagt Lothar Ellenrieder. „Es gibt Tage, da wäre es eng, wenn plötzlich ein größerer Notfalleinsatz reinkäme.“
Am Augsburger Klinikum ist die Situation noch einmal eine andere. Dort werden die meisten Krankentransporte über einen privaten Anbieter abgewickelt. Die Firma betreibt dazu im Klinikum auch eine eigene Leitstelle. Die durchschnittliche Wartezeit für Rücktransporte liege bei 45 bis 90 Minuten, lautet die Auskunft des Klinikums. Einzelne Ausreißer nach oben könne es geben, sie seien aber nicht Alltag. An dem Sonntag im November, als der Vater von Helga Franke behandelt wurde, seien doppelt so viele Fahrten bestellt worden wie sonst üblich. Das habe zu Engpässen geführt.
Wenn die Privatfirma die Flut an Transporten nicht mehr bewältigt, dann werden über die offizielle Rettungsleitstelle bei der Berufsfeuerwehr – hier gehen auch alle Notrufe an die 112 ein – die Hilfsorganisationen hinzugerufen. Bis deren Personal aushelfen kann, vergeht aber auch wieder Zeit. Die Hilfsorganisationen setzen mitunter sogar Ehrenamtliche ein, um den Berg von Transporten abzuwickeln. Hinter vorgehaltener Hand ärgern sich bei den Hilfsorganisationen viele über diese Situation. Der private Anbieter komme über das Klinikum an lukrative Fahrten, lautet die Kritik. Wenn es eng werde, müssten aber Rotes Kreuz, Malteser und Co. die Suppe mit auslöffeln.