Dieser Wal droht für immer abzutauchen
Es war ein furchtbares Jahr für den Atlantischen Nordkaper. Ein Dutzend seiner Art wurde tot vor der kanadischen Ostküste aufgefunden. Jetzt geht die Angst um: Könnte der Wal schon in 20 Jahren aussterben?
Augsburg Es begann im Juni. Zuerst strandete ein Wal an der kanadischen Ostküste, dann zwei, dann sechs, dann ein Dutzend. Bis zu 18 Meter lang, 100 Tonnen schwer, einst Herrscher der Meere, nun auf Matsch und Stein gespült, der Natur ohnmächtig ausgeliefert. Der Schock war groß. Was hatte die Ungetüme hierher getrieben, in den Golf von St. Lorenz, der Neufundland vom kanadischen Festland trennt, wo täglich etliche Schiffe verkehren, hunderte Fischer Garnelen und Hummer fangen?
Atlantische Nordkaper, wie die Wale im Fachjargon heißen, gehören zu den gefährdetsten Säugetieren der Welt. Vor 80 Jahren standen die Nordkaper schon einmal kurz vor der Ausrottung. Ihre Trägheit und Vorliebe, nah an der Küste zu schwimmen, machten sie zur leichten Beute. Ihr Öl ließ nordamerikanische Häuser nachts erleuchten. Als sich 1935 weniger als 100 Nordkaper im Atlantik tummelten, verboten die Industriestaaten den Fang der Tiere. Die Nordkaper erholten sich. Vor einem Jahr schätzte das kanadische Fischereiministerium den weltweiten Bestand auf etwa 450. Dann kam der fatale Sommer.
Atlantische Nordkaper sind im Winter in den warmen Gewässern rund um Florida zu finden. Erst im Sommer wagen sie sich in den Norden, um vor den Küsten von Neuengland und Kanada Nahrung zu suchen. Nordkaper fressen vor allem kleine Krebse und Plankton. Forscher gehen davon aus, dass das einer der Gründe ist, warum sich so viele Nordkaper dieses Jahr in den Golf von St. Lorenz verirrten. Dort fanden sie ausreichend Nahrung, aber auch Frachtschiffe und Taue.
Im Oktober trafen sich Walexperten in der kanadischen Hafenstadt Halifax, um die dramatischen Ereignisse zu besprechen. Sie sandten eine deutliche Warnung aus: Jeder müsse nun seine Bemühungen verdoppeln. Ansonsten könnte der Atlantische Nordkaper schon in 20 Jahren aussterben. Die Gründe für das Walsterben sind vielfältig. Doch zwei stechen heraus. Zusammenstöße mit Frachtkähnen enden für die Tiere meist tödlich. Zudem würden sich jedes Jahr 50 Atlantische Nordkaper in Taunetzen verfangen, berichtete Meeresforscher Scott Kraus. Viele von ihnen würden ertrinken oder an ihren Verletzungen sterben. Andere schleppten die bisweilen 60 Kilogramm schweren Netze hunderte Kilometer mit. Die Bewegungsfreiheit nehme ab, der Frust zu. Das habe gravierende Folgen für die Fortpflanzung, sagte Meeresbiologin Julie van der Hoop.
Weibchen sind erst nach zehn Jahren fruchtbar. Auch danach gebären sie nur alle drei bis fünf Jahre Kälber. Stress trage dazu bei, dass diese Abstände noch länger würden, sagt van der Hoop. Heißt: Der Verlust von mehr als einem Dutzend Walen in einem Jahr lässt sich durch Neugeburten kaum auffangen.
Die kanadische Regierung hat reagiert. Noch im Sommer untersagte sie in besonders betroffenen Zonen den Fischfang. Zudem müssen Schiffe im Golf von St. Lorenz ihre Geschwindigkeit auf zehn Knoten drosseln. Ob das reicht, zeigt sich kommenden Sommer. Dann kehren die verbliebenen Nordkaper zurück in kanadische Gewässer.