Hilfe, die Smombies kommen
Der Auto Club Europa hat auch in der Region gezählt, wie viele Fußgänger beim Überqueren einer Straße aufs Smartphone starren. Er stuft die Ergebnisse als dramatisch ein. Sind Bodenampeln die Lösung?
Region Den Kopfhörer im Ohr und den Blick nach unten gesenkt. Die Augen fixieren das Smartphone, um noch schnell eine Kurznachricht zu tippen. Dieses Bild ist keine Seltenheit im öffentlichen Raum; immer mehr Fußgänger achten scheinbar mehr auf ihr Handy als auf ihre Umgebung. Wer als sogenannter Smombie (siehe Infokasten) halb blind und halb taub durch die Gegend läuft, lebt gefährlich. Jüngster Fall ist der Tod einer 17-Jährigen, die bei einer Haltestelle in Karlsruhe die Schienen überquerte, mit einer Stadtbahn zusammenprallte und tödliche Kopfverletzungen erlitt. Nach Polizeiangaben war sie von ihrem Smartphone abgelenkt und trug Kopfhörer. Der Auto Club Europa (ACE), Deutschlands zweitgrößter Automobilklub, möchte auf die Gefahr durch Smartphones aufmerksam machen und hat deutschlandweit eine Zählung vorgenommen – auch in der Region. Das Ergebnis ist erschreckend.
Bei der Verkehrssicherheitsaktion „Finger weg – Smartphone im Verkehr“, stellte sich heraus, dass ein Viertel aller Jugendlichen (25,4 Prozent) deutschlandweit beim Überqueren einer Straße auf das Smartphone starrt. Im Landkreis Augsburg sieht es ähnlich dramatisch aus: Fast jedes fünfte Mädchen, genau gesagt 18,8 Prozent, und etwa jeder sechste Junge (15,9 Prozent) wurden gezählt. Bei den Erwachsenen sind es 8,3 Prozent der Frauen (bundesweit 14 Prozent) und 12,3 Prozent der Männer (bundesweit 16,4 Prozent). Für die Auswertung hat der ACE nach eigenen Angaben ein halbes Jahr lang das Verhalten von insgesamt 140 000 Fußgängern deutschlandweit an Zebrastreifen und Ampeln beobachtet. In der Region wurde unter anderem in Königsbrunn, Neusäß, Thannhausen und in Augsburg an der Kreuzung Karlstraße/Leonhardsberg gezählt. An der Augsburger Autobahnraststätte waren die Ergebnisse noch schlimmer. Zwei von drei Personen überquerten die Straße am Parkplatz, ohne auf den Verkehr zu achten.
Der Vorsitzende des ACE in Smombie war das Jugendwort des Jahres 2015. Der Ausdruck kombi niert die Begriffe „Smartphone“und „Zombie“. Es bezeichnet Men schen, die unbeirrt auf den Bild schirm ihres Handys starren und deshalb kaum noch ihre Umgebung wahrnehmen. (mili) Augsburg, Harald Eckart, hat an der Zählung im Landkreis teilgenommen. Bislang waren Alkohol am Steuer und überhöhte Geschwindigkeit die größten Unfallgefahren im Straßenverkehr. Nun kommt laut ACE ein dritter Risikofaktor hinzu: die Ablenkung durch das Smartphone.
Erfreulicherweise ist die Zahl der Menschen, die im Straßenverkehr getötet werden, seit Jahrzehnten rückläufig. 1970 gab es in Deutschland mehr als 21300 Verkehrstote, 2016 starben nach Zahlen des Statistischen Bundesamtes 3206 Menschen bei Verkehrsunfällen. Doch eines ist dem ACE in den vergangenen Jahren aufgefallen: Während die Zahl der getöteten Auto- und Radfahrer tendenziell abnahm, erhöhte sich die Zahl der verunglückten Fußgänger.
Verlässliche Zahlen, wie gefährlich Smartphones im Straßenverkehr sind, gibt es nicht – die Polizei führt darüber keine Statistik. Der Sprecher des Polizeipräsidiums Schwaben-Nord, Siegfried Hartmann, sagt dazu: „Es wäre von den Autofahrern blöd, wenn sie nach einem Unfall zugeben, dass sie durch das Handy oder Navi abgelenkt wurden. Wir können es deshalb oft nur vermuten.“Das Unfallrisiko sei mit der zunehmenden Anzahl an Handys gestiegen.
Aus diesem Grund wurden die Strafen für die Handynutzung am Steuer in den vergangenen Jahren erhöht. Autofahrer müssen mindestens 100 Euro Bußgeld zahlen und erhalten einen Punkt in Flensburg. Im schlimmsten Fall drohen bis zu 200 Euro plus ein Punkt plus ein Monat Fahrverbot. Radfahrer, die mit dem Handy in der Hand erwischt werden, müssen ein Verwarngeld in Höhe von 55 Euro entrichten. Und Fußgänger? Das ist nicht strafbar, sagt Hartmann: „Man muss irgendwo auch seinen gesunden Menschenverstand einschalten.“Woanders setzen die Behörden dagegen auf Strafen. Nachdem bekannt wurde, dass in den USA 6000 Fußgänger allein aufgrund eingeschränkter Wahrnehmung überfahren wurden, erließ der Bundesstaat Hawaii das Gesetz, wonach Passanten 35 Dollar Strafe zahlen müssen, wenn sie beim Überqueren einer Straße auf ihr Smartphone starren.
Von Geldstrafen hält der ACEKreisvorsitzende Harald Eckart nichts. Er appelliert an die Vernunft der Bürger. Den Einsatz von Bodenampeln, umgangssprachlich auch „Bompel“genannt, sieht er kritisch. „Das kann nicht die Lösung sein; nur wenige Verkehrssituationen sind dafür geeignet.“
Die Augsburger Stadtwerke haben im Frühjahr 2016 an der Haltestelle Haunstetter Straße sowie am Überweg in der Von-Parseval-Straße zwei solche Bodenampeln installiert, die Smartphone-Nutzer vor einfahrenden Straßenbahnen warnt, indem ihre Lichter rot blinken – Kosten pro Stück: rund 10 000 Euro.
Polizeisprecher Siegfried Hartmann sieht die Bodenampeln allerdings mit gemischten Gefühlen: „Alles, was der Sicherheit dient, ist zu unterstützen. Andererseits unterstützen diese Ampeln die Faulheit.“
Das ist ein Smombie