Große Gefühle
Aljona Savchenko gewinnt im fünften Anlauf Paarlauf-Gold. Der gebürtigen Ukrainerin mit Hang zum Perfektionismus gelingt mit Bruno Massot eine Weltrekordkür. Wie die Wahl-Allgäuer am Vorabend zur Attacke bliesen
Gangneung Auf ihren Männerverschleiß ist die 34-jährige Aljona Savchenko immer wieder angesprochen worden. Sie begegnete diesen Fragen stets mit einem Lächeln, ließ sich nicht provozieren und begründete ihren allzu häufigen sportlich bedingten Partnertausch damit, dass sie ein großes Ziel verfolge. Gestern Nachmittag hatte sie dieses Ziel erreicht, im Paarlauf-Finale von Pyeongchang. Ein Olympiasieg zusammen mit dem fünf Jahre jüngeren Franzosen Bruno Massot, der erst vor ein paar Monaten die deutsche Staatsbürgerschaft bekommen hatte und nun zu ihrem ganz persönlichen Goldjungen wurde.
Will man den tränenreichen Triumph des neuen deutschen EislaufTraumpaares verstehen, muss man sich Savchenkos Partner-wechseldich-Spiel ansehen: Mit Dimitri Bojenko und Stanislaw Morosow startete sie in der Ukraine, in Deutschland suchte sie elf Jahre lang mit Robin Szolkowy das Glück auf dem Eis. Zweimal gab’s Bronze – bei den Olympischen Spielen in Vancouver und Sotschi. Doch das war der ehrgeizigen Savchenko nicht genug. Sie fühlte sich selbst als unvollendet, weil sie zwar bei WM und EM Titel abräumte, bei den Spielen der große Wurf aber nie gelingen wollte. Savchenko stellte im Alter von 30 Jahren noch einmal auf Null. Nach dem WM-Gold von Saitama (Japan) trennte sie sich von ihrem Trainer Ingo Steuer, suchte sich mit Massot einen neuen Kufenmann und zog im Oktober 2014 von Chemnitz nach Oberstdorf – eine, wie sich im Nachhinein herausstellt, wichtige und richtige Weichenstellung.
Aber war der bis dato international unerfahrene Massot wirklich der richtige Partner, um das Abenteuer Olympia-Gold noch einmal anzupacken? Selbst die Verantwortlichen in der Deutschen Eislauf-Union hatten Zweifel. Sportdirektor Udo Dönsdorf ließ das gestern mit einem gehörigen Kloß im Hals anklingen, als er zurückblickte: „Alle sagten mir damals, die beiden müssten ins Ausland gehen, hier gäbe es nicht die richtigen Trainer, die die beiden formen könnten.“Doch Dönsdorf hatte auf den 51-jährigen Berliner Alexander König gesetzt – und König fortan auf seine Kinder. So nannte er „seine Aljona“und „seinen Bruno“auch gestern wieder, nachdem er sie hinter der Bande mal als Dirigent und mal als Prediger anfeuerte: „In dieser Kür war auch die ganze Power von uns Trainern hinten drinne“, sagte er im tiefsten Ber- und ergänzte zufrieden: „Heute war’n wer jut. Punkt.“
Gestern nicht so, hätte König gut hintendran hängen können, denn wegen eines groben Patzers von Massot war das deutsche Paar nach dem Kurzprogramm nur auf einem enttäuschenden vierten Rang gelegen. Noch am Abend, verrieten beide, hätten die Trainer „Attacke“ausgerufen – und ein Facebook- und Presseverbot ausgesprochen. „Wir haben uns selbst so viel Vitaminpower gegeben“, sagte Savchenko. Sie sei am Morgen aufgewacht und habe gewusst: „Heute schreiben wir Geschichte.“
Ihre Kür beginnt mit dem Symbol für Unendlichkeit. Beide strecken ihre Arme zur Seite und formen eine waagrechte Acht. In den nächsten viereinhalb Minuten folgte die perfekte Darbietung zur ergreifenden Musik aus dem Dokumentarfilm „La terre vue du ciel“(Die Erde von oben gesehen). Alle Sprung-, Wurfund Hebeelemente klappten perfekt und sorgen in der mit 8000 Zuschauern nicht ganz ausverkauften Eísarena in Gangneung für Verzückung. Auch IOC-Präsident Tho- mas Bach und Katarina Witt, die letzte deutsche Einzel-Olympiasiegerin im Eiskunstlauf, jubelten.
Am Ende der brillanten Vorstellung ließ sich die erleichterte Savchenko auf die Eisfläche fallen, Massot krabbelte zu ihr und schloss sie tief in seine Arme. Die ersten Trälinerisch
nen flossen – sogar bei Fotografen und Journalisten, die Savchenko lange begleiteten. Die Ergriffenheit wurde erst von Jubel abgelöst, nachdem auf der Anzeigetafel die KürBestnote von 159,31 Punkten aufleuchtete – noch einmal zwei Punkte besser als beim selbst aufgestellten Weltrekord (157,25) im Dezember in Japan. Dass die 13 Preisrichter ihnen wohlgesonnen waren, erkannte auch Savchenko: „Herzlichen Dank dafür – auch beim Kurzprogramm sind wir schon gut weggekommen.“Ob die Traumnote aber reichen würde, stand lange nicht fest. Erst nachdem die Weltmeister aus China, Sui Wenjing und Han Cong, sich Patzer leisteten und die Kanadier Meagan Duhamel/Eric Radford nicht fehlerfrei durchkamen, begann die Zeit der großen Gesten und Emotionen. Savchenko hatte es im fünften Anlauf geschafft, Massot im ersten. Als das Jubelpaar zur Party ins Deutsche Haus fuhr, krachte und leuchtete es am Nachthimmel von Pyeongchang. Die Koreaner feierten ihr Neujahrsfest Seollal. Da passte es, dass Savchenko und Massot – nachdem die Kür noch einmal auf Großleinwand gezeigt wurde und erneut Tränen kullerten – mit ihren Partnern Liam und Sophie sowie den Trainern zwei riesige Sektpullen köpften und im Saal verspritzten. Im Erfolgsrausch sagte Massot: „Wir können das noch besser. Nächsten Monat ist WM.“