Schummelverdacht in der Prüfung
An der Hochschule Augsburg hatte ein Fall drastische Folgen. Tricksen Studenten mehr als früher? Die Meinungen gehen auseinander, besonders an der Uni
Die Gerüchteküche an der Hochschule Augsburg brodelte. Angeblich habe ein Student der Betriebswirtschaftslehre Unterschleif begangen, hieß es. Er habe sich im Vorhinein die Prüfungsarbeit mit den Musterlösungen besorgt. Dass an den Grüchten etwas dran sein könnte und es in der Prüfungszeit tatsächlich einen Verdachtsfall von Schummelei gegeben hat, wird auf Anfrage unserer Zeitung von der Hochschule bestätigt.
„Wir konnten es nicht zu 100 Prozent beweisen, aber vieles hat auf einen Unterschleif hingedeutet“, sagt Professor Anton Frantzke, Vorsitzender der Prüfungskommission. Doch ehe es zur Klausur kam, schöpfte die Prüfungskommission Verdacht und stellte den Studenten zur Rede. Zum Inhalt des Gesprächs wurde nichts mitgeteilt. Auch über die Möglichkeiten, vorab an eine Prüfungsarbeit mit Musterlösungen zu gelangen, wollte sich Frantzke nicht äußern. Als Folge des Gesprächs ließ sich der junge Mann jedoch freiwillig exmatrikulieren.
War das ein Einzelfall? Oder schummeln, spicken und plagiieren Studenten an der Hochschule öfter? Innerhalb von zehn Jahren sei so etwas zum ersten Mal passiert, versichert Frantzke. Bei 25 000 Prüfungen pro Semester kommt es nach seinen Erfahrungen nur zu zwei oder drei Auffälligkeiten. Es könnte auch passieren, dass manches über- sehen wird, gibt der Professor zu: „Wir sind ja keine Detektive.“Obwohl Prüfungsschummelei an der Hochschule eher selten vorkommt, gibt es laut Frantzke einige Vorkehrungen dagegen – zum Beispiel eine Software, die schriftliche Ausarbeitungen auf Plagiate überprüft. Die Studenten säßen bei den Klausuren immer weit auseinander, sodass sie nicht abschreiben können, und es seien immer Aufsichtspersonen vor Ort. Der Vorsitzende der Prüfungskommission hat jedoch auch ein Grundvertrauen in die Studierenden: „Wir wollen den Studenten nicht unterstellen, dass sie schummeln.“Schließlich sei das Verhältnis zwischen Studierenden und Dozierenden an der Hochschule viel familiärer als etwa an Universitäten mit deutlich mehr Studenten. Er vermutet, dass aufgrund des persönlicheren Miteinanders die Hemmschwelle höher sei. Wie sieht man das an der Uni Augsburg? Im Wintersemester 2017/18 wurden dort fast 65600 Prüfungen angemeldet. Auch hier sollen Anti-Spickmaßnahmen das Schummel-Risiko verringern. So müssen während der Prüfungen die Tische bis auf das Schreibzeug leer sein. Die Taschen müssen auf dem Boden stehen. Außerdem gelten Handys als unerlaubte Hilfsmittel und dürfen im Prüfungsraum nicht benutzt werden. Manchmal ist sogar das Mitführen eines Handys nicht erlaubt. Dazu werden gesonderte Ankündigungen vor Prüfungsbeginn gemacht, an die sich jeder Student zu halten hat. Um gegen Plagiat-Versuche vorzugehen gibt es auch an der Universität eine Software, die die elektronisch abgegebenen Hausarbeiten überprüft. Die Maßnahmen sind allerdings kein Garant dafür, dass keine Schummel-Versuche gestartet werden. „Wenn gespickt wird, dann ganz traditionell, etwa mit Spickzettel oder Aufkleber auf dem Lineal“, so Klaus Prem von der Pressestelle.
Dort kommt man zum Schluss, dass die Zahl der aufgeflogenen Unterschleifversuche nicht ins Gewicht fällt. Ein verstärkter Trend zum Spicken sei nicht erkennbar. Von Fakultät zu Fakultät variieren die Spickzahlen von durchschnittlich 15 pro Prüfungstermin in Massenfächern wie Wirtschaftswissenschaften bis hin zu durchschnittlich ein bis zwei entdeckten Versuchen von Unterschleif in den meisten anderen Fakultäten, so Pressesprecher Prem. Im Jahresdurchschnitt werden vier Plagiate in allen Fachbereichen entdeckt. Laut Prem seien diese wenigen entdeckten Spickversuche zu vernachlässigen.
Die geringe Zahl steht im Widerspruch zu Einschätzungen von Studierenden. In einer nicht repräsentativen Umfrage unserer Zeitung gaben sehr viele Studenten zu: Sie haben schon mal geschummelt, gespickt oder plagiiert. Als Ursprung des Übels wird oft die Umstellung der deutschen Studiengänge auf das europaweite Bachelor- und MasterSystem genannt. In den Zeiten der Diplomstudiengänge habe man mehr Freiheiten gehabt, sich die Lerninhalte auszusuchen. Heute sei alles festgelegt, es zähle nur noch die Note. Der Leistungsdruck steige und die Lerninhalte stünden teilweise in keinem sinnvollen Zusammenhang zum späteren Beruf. Christian, 20, sagt: „Ich brauche mindestens zwei Drittel von dem, was ich lernen muss, später nicht mehr. Wenn ich die Wahl habe: entweder Bulimie-Lernen oder Abschreiben und Spicken – dann ist ja klar, was ich nehme.“
Auch die Fülle der Prüfungen wird von studentischer Seite kritisiert. So könne es sogar vorkommen, dass Hausarbeiten nicht komplett gelesen werden, weil die Dozenten keine Zeit dafür hätten. Eine Studentin versuchte etwas Gewagtes, um herauszufinden, ob ihre Arbeit wirklich gelesen wird. „Ich habe mal einfach in einer Hausarbeit mittendrin ‚Penis’ reingeschrieben. Ist natürlich niemandem aufgefallen“, erzählt sie. Prem wiederum verteidigt die aktuellen Strukturen: Mit der Umstellung der Studiengänge solle das abgefragte Wissen praxisbezogener sein. Durch die Einführung einer kontinuierlichen Leistungskontrolle sei der Studienerfolg kalkulierbarer geworden. Am Ende des Studiums stehe nicht mehr der „Horror einer alles entscheidenden, unüberschaubaren Monsterprüfung“. »Meinung
Kritik an teilweise „absurden“Lerninhalten