Romeos Risiken
Das Fensterln zählt zu jenen bayerischen Brauchtümern, denen seit jeher eine gewisse Gefahr innewohnt. Da ist schon allein die Höhe, die es bei der Eroberung eines Schlafgemachs zu überwinden gilt. Da ist der ungewisse Zustand der Hilfsmittel (Leiter, Baum, Dachrinne), die vor dem liebestrunkenen Aufstieg zumeist keiner angemessenen Überprüfung unterzogen werden. Dazu kommen noch widrige Lichtverhältnisse – klassisch gefensterlt wird bekanntlich im Schutze der Dunkelheit. Und zu guter Letzt gibt es da noch die elterlichen Sittenwächter, die von unangemeldeten Besuchern zu nachtschlafender Zeit nicht viel halten und einen zur Tochter kletternden Romeo gerne mal auf den Boden der Tatsachen zurückholen.
Als wären das nicht schon Risiken genug, werden dem brauchtumsbewussten Liebhaber neuerdings noch weitere Hürden in den Weg gelegt. Da wären zum Beispiel die Gleichstellungsbeauftragten, die vor drei Jahren an der Uni in Passau einen Streit über einen Fensterln-Wettbewerb vom Zaun brachen, weil zu diesem nur Männer zugelassen waren. Und in Oberfranken hat in diesen Tagen ein junger Romeo Ärger mit der Polizei, weil er seiner Angebeteten auf traditionellem Wege einen Besuch abstatten wollte, die Rechnung aber ohne den Nachbarn gemacht hatte. Dieser glaubte, einen Einbrecher auf frischer Tat zu ertappen und rief die Polizei. Das Stelldichein der Verliebten war damit jäh beendet. Und der junge Mann hat eine Anzeige wegen Diebstahls am Hals. Er hatte sich die Leiter „vom Nachbarn geborgt, dann aber wenig Rückführungswille gezeigt“, wie die Polizei mitteilte. Kein Wunder, dass es Brauchtümer in der heutigen Zeit so schwer haben.