Der Traum vom eigenen Hallenbad
Überall schließen Schwimmbäder, weil sie zu alt und zu teuer sind. Die Bürger von Mönchsdeggingen dachten sich: Es kann doch nicht sein, dass „unser Almarin“abgerissen wird. Nun richten sie es in einer beispiellosen Aktion wieder her. Denn sie haben einen
Mönchsdeggingen Das Licht brennt wieder. Acht Jahre lang war es im Almarin dunkel, jetzt flackert eine Leuchtstoffröhre nach der anderen auf. Es knackt und zischt von der Decke. Rolf Bergdolt steht am Rande des leeren Schwimmbeckens und lässt den Blick durch die Halle schweifen. „Das ist der Wahnsinn, oder?“, staunt der Orts-Chef der Deutschen Lebens-Rettungs-Gesellschaft (DLRG) in Mönchsdeggingen (Kreis Donau-Ries), die die Rettung des in die Jahre gekommenen Bades angestoßen hat. Und dann erzählt er. Und erzählt immer noch, als es in der Halle schon wieder dunkel ist; als hätte er gar nicht mitbekommen, dass die Sicherung vor Sekunden mit einem lauten Schlag herausgeflogen ist.
Von „Meilensteinen“spricht Bergdolt an diesem Tag, an dem er und seine Mitstreiter verkünden, dass sie das seit 2010 geschlossene Bad für eine Woche aus dem Dornröschenschlaf erwecken möchten – ehe das Fluchen des befreundeten Elektrikers ihn unterbricht, der in der Dunkelheit nach seinem Schraubenzieher sucht. „Den Strom zurückzubringen“, fährt Bergdolt fort, sei einer dieser Meilensteine. Es gebe noch viele weitere.
Wer das Dilemma des Almarins verstehen will, muss in die Vergangenheit eintauchen. Denn das Schwimmbad, 1975 eröffnet, teilt sein Schicksal mit so vielen anderen in Bayern. Nur wenige hundert Meter vom Bad entfernt sitzt einer, der alles über die Anfänge erzählen kann. Im Rathaus der 1400-Einwohner-Gemeinde bewahrt Bürgermeister Karl Wiedenmann Dokumente und Erinnerungen auf. Zur Zeit des Baus habe man gedacht, alles sei möglich, erzählt der Mann mit dem akkurat getrimmten, weißen Schnauzbart. Die Gemeinde war damals größer, die Wirtschaft brummte. Also entschloss man sich, ein Freizeitbad an den Ortsrand zu bauen, mit Blick über den Rieskrater. Für Bürger wie Touristen ein beliebtes Ausflugsziel. Das Außenbecken, die Saunalandschaft – Wiedenmanns Augen leuchten. „KleinParis“habe man Mönchsdeggingen damals genannt, sagt er und lacht kurz, ehe das Grinsen einer ernsten Miene weicht. Als er erzählt, dass das Bad der Gemeinde jahrelang ein Klotz am Bein gewesen sei.
Denn während der Bau eines Schwimmbads dank diverser Förderprogramme für Kommunen damals erschwinglich war, wurden die laufenden Kosten und notwendigen Sanierungen Jahrzehnte später zum Problem. Seit 2005 sind Bayerns Innenministerium zufolge 43 Hallenbäder im Freistaat geschlossen worden, weitere 44 sind von der Schließung bedroht. „Das Almarin hat bis zu 300 000 Euro Verlust im Jahr gemacht“, sagt der Bürgermeister. Der Kommune wurde das Bad zu teuer. Sie verkaufte es an einen privaten Investor, der es mit Rutschenturm und Saunadorf zum Erlebnisbad ausbauen wollte. Wenige Jahre später folgte die Insolvenz. Das Al- ging zum symbolischen Preis von einem Euro an die Gemeinde zurück. Geöffnet hat es nie wieder.
Versuche, das Bad zu retten, gab es viele. Den bisher letzten unternahm der Bürgermeister vor wenigen Monaten, als er die umliegenden Gemeinden dafür begeistern wollte, das Almarin gemeinsam zu betreiben. Ohne Erfolg. „Zum vielleicht letzten Mal vor dem Abriss“führte Wiedenmann im Oktober durchs Gebäude. Zerschlagene Scheiben, verdreckte Toiletten, die Räume von Tieren und Vandalen verwüstet – kaum einer hätte für möglich gehalten, dass das Bad je wieder öffnen würde. Nicht einmal Rolf Bergdolt.
Die Nachricht, dass das Almarin abgerissen werden soll, löste in der Region Entsetzen aus – obwohl es seit Jahren leer steht. „Jeder verbindet besondere Erinnerungen mit dem Almarin“, sagt Bergdolt. Der eine habe dort Schwimmen gelernt, der andere schwärme noch heute von der Spezialität des Bades, dem Eisbecher in der Muschel-Waffel. Bei Bergdolt ist die Verbundenheit noch tiefer verankert. Seine Eltern betrieben die Gaststätte im Bad seit der Eröffnung, er selbst stand in jungen Jahren als Badeaufsicht am Beckenrand und übernahm später die Bewirtung. Was die Menschen vielleicht sogar noch mehr bewege als die Sehnsucht, sei die Gewissheit, dass das letzte Freizeitbad der Region endgültig verschwindet.
nördlichen Donau-Ries-Kreis verbleibt mit dem sanierungsbedürftigen Hallenbad in Nördlingen nur eines, und das ist häufig von Schulen und Vereinen belegt. Auf einer von unserer Zeitung organisierten Podiumsdiskussion über die Schwimmbadnot in der Region beklagten Lehrer, dass nur wenige Schüler sich überhaupt noch sicher über Wasser halten können. Laut einer Umfrage des Instituts Forsa trifft das auf mehr als die Hälfte der Zehnjährigen zu. Für Schwimmunterricht aber fehlen die Möglichkeiten in der Region. Auch Rolf Bergdolt diskutierte mit. „Um die Situation zu verbessern, muss man auch einfach mal spinnen“, sagte er damals. Doch keiner der Anwesenden wusste, was er damit meinte.
Das ist es wahrscheinlich: einfach mal „spinnen“, was riskieren, sich engagieren. Ohne den Einsatz von Bürgern könnte das Freibad im nahen Tagmersheim nicht betrieben werden. Oder das Waldbad in Oberhausen bei Neuburg an der Donau. Oder das Naturbad im 650-SeelenOrt Osterzell im Ostallgäu. Dort haben die Bürger fast 3500 Arbeitsstunden investiert, um das 1976 erbaute Bad zu reaktivieren und dazu einen Spielplatz zu bauen. Im Sommer 2015 war Wiedereröffnung, heute ist das chlorfreie Bad beliebt und für jedermann frei zugänglich. Für die laufenden Kosten wie Wasserproben und Reparaturen kommarin men ein Förderverein mit 250 Mitgliedern sowie die Gemeinde auf. „Die Leute achten sehr auf ihr Bad“, sagt Bernhard Bucka, der Vereinsvorsitzende, der am Sonntag auch zum Bürgermeister gewählt wurde. Nun schwebt Bucka vor, die Anlage zu einer Art Generationenpark zu erweitern, vielleicht mit einem Kneippbecken.
In Mönchsdeggingen ist es vielleicht Wut, vielleicht Trotz, in jedem Fall aber Enttäuschung, die die Menschen antreibt. Enttäuschung darüber, dass in der Politik zwar viel über den Schwimmbad-Schwund gesprochen wird, aber am Ende keiner bereit sei zu helfen. „Wir wollen zeigen, dass es möglich ist, wenn man will, wenn man anpackt“, sagt Rolf Bergdolt. Die Leute hier wollen zeigen, dass ihr Schwimmbad noch lange nicht tot ist.
Michael Gumpp, auch ein Mann aus dem Ort, machte schließlich den Vorschlag, das Almarin in einer Aktionswoche vom 2. bis 8. April wieder zu öffnen, und lieferte gleich ein Konzept. Plötzlich war aus der „Spinnerei“ein Plan geworden – ein Plan mit vielen Hindernissen. Denn die Insolvenz des Investors hat Spuren im Schwimmbad hinterlassen. „Die Verwalter haben alles zu Geld gemacht, was sie im Almarin gefunden haben“, sagt Bergdolt und zeigt auf einige Löcher im Boden. Dort steckten einst Abflussgitter aus Edelstahl. Dann geht es in den KelIm ler. „Aus den Steuerungsschränken haben sie alle Platinen herausgerissen, nur weil da ein bisschen Kupfer verbaut war.“Bergdolt schluckt den Ärger hinunter. Nun müsse jedes Kleinteil ersetzt werden.
Viel schlimmer noch: Dort, wo früher ein Blockheizkraftwerk und Wasserpumpen standen, ist jetzt – nichts. Für die Aktionswoche wollen die Helfer sich die Geräte mieten. „Um ein so riesiges Gebäude zu heizen, brauchen wir eine wahnsinnige Leistung“, sagt Bergdolt. Die Initiatoren benötigen 1500 Unterstützer, die für eine Wochenkarte je 38 Euro bezahlen, um die Kosten zu decken. „Wir waren zuversichtlich, dass wir genügend Leute finden“, sagt Bergdolt, ehe er pausiert und den Kopf schüttelt. „Aber dass es so abgeht...“Innerhalb weniger Stunden registrierten sich 1000 Teilnehmer. Nach zwei Tagen musste ein Aufnahmestopp verhängt werden.
Bevor die Helfer ihren Plan publik machten, hatte Gumpps Mutter Renate das verdreckte Schwimmbecken tagelang allein geschrubbt. Jetzt, wenige Wochen später, sind fast 50 Helfer am Almarin erschienen, an einem Abend unter der Woche. Die Initiatoren haben einen Förderverein gegründet. Es gibt einen Bauleiter, der versucht, die freiwilligen Helfer vor Ort zu koordinieren, dann ein Team, das sich um soziale Medien und Homepage kümmert. Wieder andere Freiwillige telefonieren die 150 Helfer, die sich online gemeldet haben, nacheinander ab. „Ich bekomme jeden Tag dutzende Anrufe. Manche wollen helfen, die anderen spenden, das ist wirklich der Wahnsinn.“
Gerade muss Bergdolt dafür sorgen, dass ein Lkw vom Schwimmbad zur Straße kommt. Alles ist zugeparkt. Firmen aus der Region haben Container für den Müll bereitgestellt, und jetzt rückt auch noch das Fahrzeug an, das die Filteranlagen reinigt – ein Bekannter macht das kostenlos. Drinnen geht es nicht minder wuselig zu. Einige Frauen polieren die Fliesen in der Küche des Gastraums, während die Elektriker ein Gerüst aufstellen, um die Schwimmbad-Beleuchtung zu reparieren. Bergdolt greift sich von einem Tisch ein Stück Kuchen. „Manche bringen auch einfach etwas zu essen vorbei“, sagt er und beißt zu. Jeder in der Gemeinde helfe mit. „Ich bin mir sicher, in einer Stadt wäre das alles hier unmöglich.“Bauleiter Dieter Rögele biegt ums Eck und unterbricht Bergdolt. Mit einigen Fachleuten hat er sich den Außenbereich angesehen. „Den Biergarten können wir wieder in Betrieb nehmen“, sagt Rögele und nickt. Ein paar Bodenplatten verlegen, die Büsche zurückschneiden, alles gar kein Problem.
Eigentlich war der Plan ein anderer. Nur das Hallenbad und der Saunabereich sollten reaktiviert werden. Doch wegen der vielen Helfer sei das Team perfekt im Zeitplan. „Wir können sogar das Außenbecken in Betrieb nehmen“, sagt Bergdolt. Da hätten die Insolvenzverwalter offenbar die Technik übersehen, sagt er und lacht. Doch einige Meilensteine stünden noch bevor. Zur Statik des Gebäudes hätte ein Gutachter keine Bedenken geäußert, wenngleich der Bürgermeister den ausführlichen Bericht noch nicht vorliegen hat. Auch die Wasserqualität könnte ein Stolperstein werden. „Da darf es natürlich keine Kompromisse geben, die muss zu hundert Prozent stimmen.“
Ob das Almarin tatsächlich eine Zukunft hat, wagen die Mönchsdegginger nicht vorherzusagen. „Natürlich ist es unser Ziel, dass das Bad wieder dauerhaft öffnet.“Bergdolt zeichnet mit der Hand einen Kreis um das Schwimmbad. „Das alles hier zu sanieren, das werden wir nicht leisten können.“Doch dass man das Almarin mit einer finanziellen Förderung und einem guten Konzept wirtschaftlich betreiben kann, davon ist er überzeugt. „Vielleicht geht es als Genossenschaft oder als Zweckverband, aber einen Plan gibt es dafür noch nicht.“
Bergdolt nimmt die Politik in die Pflicht. Der Bund müsse sich überlegen, wie er das Bädersterben in Deutschland verhindert. Der Freistaat habe die Aufgabe, Schwimmen für Vereine und Schulen zu ermöglichen. Und der Landkreis könne die Bürgermeister an einen Tisch bringen. Wenn das Licht im Almarin dauerhaft brennen soll, müsse jeder seinen Teil beitragen.
Die Mönchsdegginger haben das schon getan. (mit anf)
Das Bad war ihr ganzer Stolz. Und dann ein Klotz am Bein Der Chef des Fördervereins sagt: Es kann klappen