Adalbert Stifter: Prokopus (3)
Da hatten die alten Heiden, als sie die Waren durch das enge Tal von den oberen Landen zu den unteren säumten – es war nicht viel, aber doch etwas: Leder, Wolle, Waffenzeug, Eisen und dergleichen –, da hatten sie hier notwendig ihren Lagerplatz, sie kochten sich das Essen, fütterten die Tiere ab und hielten eine Weile Rast. Da hat dann einmal einer ein Haus gebaut, um vor schlechtem Wetter zu schützen: denn die Menschen sind nach und nach empfindlich geworden, wie sich die Fruchtbarkeit dieses Landes hervorgetan hat und ihnen verschiedene Bequemlichkeiten verschaffte. Das war das uralte Haus der grünen Fichtau, wo sie kommen, ihren Schutz haben und alles erlangen, was sie bedürfen. In später Zeit ist dann auf dem roten Felsen gebaut worden: zuerst ein weniges, wo man die Rotbuchen reutete, dann mehr, dann die ganze Mauer um den Berg und dann die Gebäude auf den verschiedenen Stellen der Felsen. Sie haben oben forstgewirtschaftet und
wir herunten. Wir sind dazumal, ehe ihr euch eure Hütten und Dinge in den Tälern herum bautet, die einzigen zwei Häuser in der Fichtau gewesen, der Rothenstein und die grüne Fichtau. Von uns kam manchmal einer hinauf, wenn wir etwas abzuführen und zu entrichten hatten; sie kamen herab, wenn einer eine Stärkung oder sonst einen Labetrunk bedurfte. Sie haben nach und nach die Gebühren und die Untertänigkeit des umliegenden Landes erhalten; wir haben unsere Gelegenheit erweitert, haben gebaut und eingerichtet und verschiedene Ertragswerke begonnen. So ist es mit den zwei Häusern. Sie waren fortaus aufrecht und gut. Wenn das Grafenamt nicht wäre, das sie in den Zeitläufen erhalten haben, und wenn das höhere Alter unseres Hauses nicht wäre, so wären wir in den andern Dingen gleich – und es könnte, wenn sonst nichts hinderte, ohne Aufenthalt geschehen, daß einmal ein Scharnast eine Jungfrau aus der grünen Fichtau zum Weibe begehr- te und, wenn er sie erhielte, sie auf seinen Berg mitnähme.“
„Nun, der Wirt der grünen Fichtau ist stolz genug“; sagte mit Lachen eine Stimme aus den Umstehenden. „Ja, ja, Sebastian“, antwortete der Vater Romanus, „du hast recht. Wir haben immer unsern Stolz gehabt. Und haben wir denn nicht Ursache dazu? Wir sind eine ehrenhafte Familie, sitzen mitten im Walde und treiben in verschiedenen Dingen unsere vorzügliche und anständige Nahrung. Kein Haus ist dem unsern gleich als etwa die Hasenmühle, welche auch schon seit Christi Geburt bestehen soll.“
Er hatte, während er diese und die obigen Worte sprach, sein Barett wieder aufgesetzt; denn während der ganzen Zeit des Mahles war er unbedeckt dagestanden, und die Sonne hatte auf seine weißen Haare niedergeschienen. Aber diese dichten weißen Haare mochten keinen Sonnenstrahl durchlassen und mochten so manchen Sonnenstich und Regenguß in den langen Jahren gewohnt worden sein. Die Leute, welche er gerufen hatte, waren indessen an ihre Arbeit gegangen. Die Mutter Ludmilla stand derselben in Ruhe und Freundlichkeit vor, und die wirklich wunderschöne Tochter legte hie und da selber Hand an und versüßte den Leuten die Arbeit durch gutherzige Blicke und durch zutrauliche Worte. Auch kamen zu den Menschen, die ohnehin auf der Gasse der grünen Fichtau standen, noch mehrere, die an verschiedenen Stellen des Tales gewesen waren und den Zug der Fremden angeschaut hatten.
„Gott grüße dich, Schmied Eberhard von Sarau“, sagte Vater Romanus zu einem Ankommenden, „was willst du haben, was können wir dir geben?“
„Den alten, du weißt schon“, antwortete der Ankommende.
„Und dir auch, Gervas, nicht wahr, es wird gut tun?“sagte der Wirt zu einem andern. „Ja, ja“, antwortete dieser. „Wie steht das Getreide draußen in der Au?“fragte Romanus weiter, nachdem er die Befehle wegen des Weines in das Haus hineingerufen hatte.
„Es steht im ganzen schon gut“, antwortete Gervas, der Aubauer, „der Weizen bebuscht sich, das Korn nimmt sich empor, und es wird schon recht sein, wenn der Frühling weiterkommt.“
„Ja, wenn das Wetter schön bleibt“, sagte der Schmied. „Wird schon, wird schon“, antwortete Vater Romanus. „Das verstehst du nicht, Eberhard, der du immer in der Hitze deiner Esse stehst; aber ich bin gestern bei meinen Schäfern an der Grahnsseite oben gewesen, da stiegen die Widder unabläßlich höher und härten sich, was jedesmal ein Zeichen der anrückenden Wärme ist. Da kömmt der Riemmeister von Perklas auch, seht nur – seht – seht!“
„Ja, da kömmt er“, erwiderte der Angeredete, indem er näher herzutrat, „da kömmt er, weil er ohnehin etwas in Prigliz zu tun hat und sich deswegen heute eine kleine Weile genommen hat, um zugleich den Brautzug zu sehen. Gebt mir von Eurem Siebensteiner etwas, Vater Romanus.“
„Du sollst ihn haben, Nikolaus, aber da muß ich selber hineingehen“, antwortete der Wirt. „Setzt euch nieder, Männer, hier an dem Gesträuche steht schon ein Tisch; das andere wird alles sogleich auch in Ordnung sein.“
Bei diesen Worten wendete er sich um und ging in das Haus hinein.
„Was gibt es denn Neues draußen im Lande?“fragte der Schmied den Riemmeister, indem sich die Männer gemächlich an dem von Vater Romanus bezeichneten Tische niederließen.
„Nicht viel“, antwortete der Gefragte, „die Säumer werden morgen nicht kommen. Im Asang sind dreizehn Packpferde abbestellt worden, weil man sie braucht, um in etlichen Tagen die Brautgüter durch das Tal zu befördern.“
Bei diesen Worten legte er seinen ledernen Schnallensack und seinen langen Stock ab und setzte sich sehr bequem zu den andern Männern an den Tisch. „Brautgüter gehen denn diese auch durch die Fichtau?“fragte ein Mann, der sich mit ungeschlachten Gliedern nicht weit von dem Tische auf die Gassenbank des Hauses niedergelassen hatte.
„Freilich, Tiburius“, antwortete der Riemmeister; „wenn es einen andern Weg auf den Rothenstein gäbe, glaubst du denn, die Herren würden alle einer hinter dem andern durch die Fichtau geritten sein?“Der Vater Romanus war indessen wieder herausgekommen, und hinter ihm ging ein Bube, welcher auf einem Brettchen die Weine trug, die die Männer bestellt hatten. Er tat vor jedem sein gehöriges Glas hin und ging mit dem Brettchen wieder fort.
„Nun, so hat der Rothenstein wieder sein Weib“, sagte, Romanus, „er hat lange genug um sie gefreit: nun hat er sie. Ich kenne sie seit früher Zeit. Ich bin an dem Tage auf dem Stauenfels gewesen, an welchem sie geboren wurde. Es war das Jahr, wo der große Komet an dem Himmel stand, darauf das Korn so klein und mehlreich wurde und der Wein so ergiebig. Warte – es muß jetzt sechzehn Jahre sein – siebzehn – achtzehn ist es.