So groß ist der Einfluss der Laienrichter
An vielen Urteilen wirken ehrenamtliche Schöffen mit. In manchen Fällen können sie sogar die Berufsrichter überstimmen. Und ein Prozess kann platzen, wenn sie sich für befangen erklären – etwa, weil sie das Opfer kennen
Augsburg Die Staatsanwältin las gerade die Betrugsanklage vor. Da drehte einer der beiden Schöffen den Kopf zur Seite und flüsterte der Vorsitzenden Richterin Susanne Scheiwiller ins Ohr: „Ich glaube, es gibt ein Problem.“Der Laienrichter vermutete richtig. Weil das Betrugsopfer des Angeklagten zufällig der Arbeitgeber des Schöffen war, lag der im Prozessalltag seltene Fall der Befangenheit vor. Der Schöffe musste nach Hause geschickt, die Verhandlung ausgesetzt und ein neuer Schöffe geladen werden. Der kam nach einer halben Stunde, sodass der Betrugsfall in neuer Besetzung verhandelt werden konnte.
Die ehrenamtlichen Richter erfahren erst in der Sitzung, wer angeklagt ist und um welche Fälle es sich handelt. Zuvor erhalten sie nur eine Liste der Termine, bei denen sie im Gericht eingesetzt werden. Der Schöffe, der auf richterlichen Beschluss für befangen erklärt wurde, ist Mitarbeiter der Stadtsparkasse. Er sollte mit über einen DeutschGriechen, 45, richten, der das Geldinstitut, wie später im Urteil festgestellt wurde, betrogen hatte. Der Angeklagte hatte im April 2016 einen Kredit über rund 31000 Euro erhalten, sieben Monate lang brav seine Raten bezahlt. Dann hatte er sich mit dem Geld nach Griechenland abgesetzt, wo er einen Imbiss betrieb. Die Sparkasse brachte den Fall zur Anzeige, die Staatsanwaltschaft erwirkte einen internationalen Haftbefehl, der 45-Jährige wurde in Griechenland festgenommen und ausgeliefert. Im Prozess wurde er zu einer Bewährungsstrafe von 18 Monaten verurteilt.
Wenn Richter Urteile „im Namen des Volkes“verkünden, haben in vielen Fällen Bürger aus dem Volk, nämlich ehrenamtliche Richter, mitgewirkt. Sie sind nicht nur in Strafprozessen, wo sie Schöffen genannt werden, dabei, sondern auch in Zivil-, Arbeits-, Finanz-, Verwaltungsund Sozialgerichten. Sie haben dabei auch ein Fragerecht. Und bei Schöffensitzungen des Amtsgerichts können die beiden Laienrichter bei der Urteilsfindung den Berufsrichter sogar überstimmen. Ein Schöffe, der ja das „Volk“repräsentiert, muss absolute Neutralität wahren. Er darf sich nicht gegenüber Unbeteiligten über den Angeklagten oder das Verfahren äußern, sich nicht mit einem Angeklagten oder Zeugen treffen.
Laienrichter nicht als bloße Symbolfiguren das Volk vertreten, sondern eine entscheidende Rolle spielen können, verdeutlicht ein spektakulärer Fall, der 1988 bundesweit für Schlagzeilen sorgte. Bei einem der größten Wirtschaftsprozesse war der Finanzchef des pleite gegangenen Glöggler-Konzerns wegen Betrugs und Untreue vor dem Augsburger Landgericht angeklagt. Nach zweijähriger Verhandlungsdauer und 120 Sitzungstagen ließ eine Schöffin den Prozess abrupt platzen. Sie könne es nicht mehr mit ihrem Gewissen vereinbaren, so
sie, die Verhandlungsführung des Gerichts hinzunehmen. Daraufhin lehnten sich die drei Berufsrichter als befangen ab. Der Eklat war perfekt. Was die Schöffin genau zu ihrem ungewöhnlichen Schritt bewogen hatte, darüber konnte damals nur spekuliert werden. Denn alle Gespräche der Richter hinter verschlossenen Türen fielen unter das Beratungsgeheimnis. Viele Gerüchte machten seinerzeit die Runde.
Dass sich die Justiz ehrenamtliche Richter nicht selbst nach Gutdünken herauspicken kann, ist nachvollziehbar. Dennoch sorgten ManiDass
pulationen bei der Schöffenwahl 1985 für einen Skandal, der die Augsburger Strafjustiz Monate lang lahmlegte. Strafverteidiger Walter Rubach hatte bei einem Prozess vor der Zweite Strafkammer herausgefunden, dass auf der Vorschlagsliste der Stadt Augsburg zwar die Namen von 739 Interessenten verzeichnet waren. Tatsächlich war die Liste aber von den Fraktionen im Stadtrat gewaltig frisiert worden. Die SPD, die CSU und die CSM (damals von der CSU abgespalten) stellten nach Proporz eigene Listen auf, auf denen fast nur Parteimitglieder besagte
nannt waren. Der Bundesgerichtshof gab dem Anwalt am Ende recht: Die von den Stadtratsparteien manipulierten Listen waren rechtswidrig – die Schöffenwahl musste wiederholt werden. Die Augsburger Strafjustiz war über Monate hinweg zur Untätigkeit gezwungen.
Wer sich für das Amt des ehrenamtlichen Richters interessiert, der hat jetzt die Gelegenheit dazu, sich als Schöffe zu bewerben. Im Laufe dieses Jahres werden in Bayern wieder Schöffen für die Sitzungsperiode vom 1. Januar 2019 bis zum 31. Dezember 2023 neu gewählt.