Ganz schön schräg
Es kommt selten vor, dass sich viele Designer auf ein Element festlegen. Aber auf den Modeschauen für Frühjahr und Sommer verzichtet kaum einer auf die Bluse, die eine Schulter freilegt. Asymmetrie ist der Schnitt der Saison
Echt schräg oder in Schieflage: Mit einem Element der Frauenmode für dieses Frühjahr und den Sommer lassen sich so einige Wortspiele anstellen. Asymmetrie ist eines der Trendthemen – vor allem die schräg sitzenden Ausschnitte und Ärmel mit einer freiliegenden Schulter. Das haben Frauen vor allem international renommierten Designern zu verdanken, allen voran Balenciaga. Die Pariser Firma gilt als Trendsetter in Sachen Asymmetrie. Jedoch ziehen auch viele andere Designer gerade mit. Dieser Look hat aber auch Retro-Vorbilder, wie Modeberater Andreas Rose aus Frankfurt am Main erläutert. „Yves Saint Laurent entwickelte in den sechziger Jahren seine sogenannte Mondrian-Kollektion. Nach Vorbild der Gemälde des niederländischen Malers Piet Mondrian sorgten bereits damals asymmetrische Muster für Aufsehen.“Aber die eigentliche Erfinderin des schrägen Schnitts sei Madeleine Vionnet. „Die französische Modedesignerin wurde in den zwanziger Jahren mit ihren Couture-Entwürfen berühmt.“
Aber wie es in der Mode inzwischen eben so ist: Alles kommt einmal wieder – und Asymmetrie in allen möglichen Varianten ist es in dieser Saison. „Heute ist Asymmetrie ein Teil des Modetrends, den man Dekonstruktion nennt“, erklärt Modeberater Rose. „Dabei werden Kleidungsstücke auseinandergenommen und neu zusammengesetzt, gern auch asymmetrisch.“Die Wirkung ist immer ungewöhnlich, vielfach aufgrund der klaren Linien sogar architektonisch.
„Man findet asymmetrische Linien im Frühling eigentlich überall“, sagt auch die Stilberaterin Maria Hans aus Hamburg. „Kleider, Röcke, Tops und Blusen machen den Trend mit.“Es kommt sogar zu einem quasi branchenübergreifenden Trend: die sogenannte One-Shoulder-Bluse. Bei der Fashion Week in New York für die Saison Frühjahr/ Sommer 2018 gab es kaum einen Designer, der nicht mindestens eine dieser Blusen im Repertoire hatte. „Eine solche Bluse lässt sich auch ohne viel Aufwand selbst machen, in dem man einfach ein Hemd lose knöpft, sodass es über eine Schulter nach unten rutscht“, verrät Modeberaterin Hans ihren Styling-Tipp für die kommende Saison.
Rose empfiehlt sogar: „Man kann durchaus auch ein schlichtes Herrenhemd falsch zuknöpfen, sodass eine Seite länger ist als die andere – Asymmetrie zum Selbermachen.“Besonders lässig sieht der One- Shoulder-Trend auch aus, wenn man einen weiten und kastenförmig geschnittenen Pullover trägt – und auch ihn lässig an einer Schulter herunterrutschen lässt.
Off-Shoulder-Blusen haben innerhalb des Asymmetrietrends die besten Chancen, sich flächendeckend durchzusetzen. „Das liegt daran, dass damit fast jede Frau diesen Stil mitmachen kann“, erklärt Rose. „Wichtig ist dazu aber noch etwas anderes: ein trägerloser BH nämlich. Das gilt vor allem für Frauen mit mehr Oberweite.“
Man müsse sich bewusst sein, „dass dieser Look wirklich alle Blicke auf sich zieht“, sagt Einkaufsberaterin Anette Helbig aus Hannover. „Daher sollte man als Trägerin schlank und auch nicht zu klein sein.“Sie rät, diesen Stil vor allem in der Freizeit zu tragen. Wer auch im Job die Finger nicht von schrägen Sachen lassen möchte, „sollte sie bewusst reduzieren“, ergänzt Helbig. „Eine schräge Vorderpartie bei einer edlen Bluse, dazu einen schlich- schmal geschnittenen Rock – das geht auch im Business.“Bei einem langen Kleid mit asymmetrischem Zipfelsaum sieht sie das dagegen weniger so.
„Was ebenfalls funktioniert, weil es nur gemäßigt asymmetrisch ist, sind Wickelröcke“erklärt Modeexpertin Helbig. Vor allem schmale, wadenlange Modelle liegen dabei im Trend und lassen sich toll zu weiten Blusen im Hemdenstil kombinieren.“
Allerdings kann man Asymmetrie auch ganz anders mitmachen: „Es gibt in der Saison auch viele Muster, die bewusst asymmetrisch eingesetzt werden“, erklärt Modeberateten, rin Hans. „Dazu gehört vor allem der klassische Streifen, der dadurch eine ganz neue Optik erhält.“Da Streifen bekanntlich schlank machen, wenn man sie richtig einsetzt, bekommt der schräge Trend sogar noch einen Zusatznutzen. „Auch der Biker-Zipper, also der schräg verlaufende Reißverschluss an Lederjacken, ist in dieser Saison wieder angesagt – und gibt einem Outfit rockigen Charme“, erklärt Hans.
Eine Anekdote für alle, die auf den schrägen Reißverschluss angesprochen werden. Er wurde bereits Ende der zwanziger Jahren eingesetzt und zierte die legendäre Perfecto-Motorradjacke der Gebrüder Schott. Er hatte da sogar einen ganz praktischen Nutzen. Der schräge Schnitt sorgte dafür, dass sich die Vorderteile der Jacke im geschlossenen Zustand überlappten und so besonders guten Schutz gegen den kalten Fahrtwind boten. Asymmetrie kann also durchaus auch praktische Seiten haben, optisch ist sie allemal ein Hingucker. (dpa)