Strafe für den Ungehorsam
Stephen Greenblatt weiß, weshalb der Mythos die westliche Kultur geprägt hat wie kaum eine andere
München Man nehme einen Mann, eine Frau, eine Schlange und einen Baum: Aus diesen Zutaten und ein paar Zeilen im Buch Genesis der Bibel hat sich nach Darstellung des US-Bestsellerautors Stephen Greenblatt der wohl „mächtigste Mythos der Menschheit“entwickelt. „Diese Story“, schreibt der aus einer streng jüdischen Familie stammende Pulitzer-Preisträger, „hat über Jahrhunderte geprägt, wie wir über Verbrechen und Strafe, über Moral, Tod, Schmerz, Arbeit, Muße, Gemeinschaft, Ehe, Geschlecht, Neugier, Sexualität und über das Wesen des Menschseins denken.“
In seinem neuen Buch „Die Geschichte von Adam und Eva“lädt der Renaissance-Experte zu einer spannenden Reise durch Theologie, Philosophie, Literatur und Kunst. Greenblatt greift tief in die Geschichte der Mythen: Die Erzählung vom ersten Sündenfall entstand im babylonischen Exil der Juden im sechsten Jahrhundert vor Christus, wo die Versklavten den heiligen Texten der Babylonier begegneten. Ein ganzer Himmel voller launischer und rachsüchtiger Götter wurde da aufgespannt: Götter, die Menschen aus Lehm schufen und sie in einer Flut wieder vernichteten – aus Eifersucht, oder einfach, weil sie ihnen zu laut wurden.
Das alles weckte in den Juden die Sehnsucht nach einem eigenen Ursprungsmythos, nach einer Geschichte, die die Frage beantworten konnte, warum Gott die Versklavung seines Volks nicht verhindert hatte. Der Unterschied: Der jüdische Gott war ein einziger, gerechter Herrscher, der nicht aus Willkür vernichtete, sondern aus gerechter moralischer Empörung strafte. Adam und Eva mussten büßen, weil sie ungehorsam waren und sein wollten wie er.
Greenblatt macht Lust darauf, die Genesis noch einmal genau zu lesen. Wie kann es sein, dass Gott seinen Geschöpfen verbietet, den Unterschied zwischen Gut und Böse zu erkennen? Und wie konnte er Adam und Eva den Tod androhen, die doch im Stand der Unschuld lebten und gar nicht wissen konnten, was das bedeutete?
Bis weit in die frühe Neuzeit hinein beanspruchte die Kirche, die Schöpfungsgeschichte sei wortwörtlich wahr. Besonders einflussreich erwies sich die Interpretation des Kirchenvaters Augustinus: Adam und Eva vererbten die Schuld nach seiner Interpretation auf dem Weg des sexuellen Verlangens auf die ganze Menschheit. „Menschliche Sünde“, schreibt Greenblatt, „ist eine sexuell übertragbare Krankheit.“Auch bildende Kunst und Literatur verschafften der Geschichte großen Einfluss.
Doch mehr und mehr wurde der Mythos entzaubert. Als Kolumbus 1493 mit der Nachricht heimkehrte, er habe in Westindien Menschen entdeckt, die ohne Scham und völlig nackt umherliefen, ließ sich die Frage nicht unterdrücken: Waren auch diese Menschen Nachkommen von Adam und Eva? Und warum hatte Gott sie von Scham verschont?
Der französische Philosoph Voltaire wendete seine Kritik an der Erzählung in eine generelle Kritik am Gottesglauben: Warum wollte er nicht, dass der Mensch Gut und Böse erkennt, fragte er. Der Christengott oute sich als Herrscher, der seine Schäflein in Unwissen zu halten versuche. Spätestens seit der Aufklärung im 18. Jahrhundert, so der Autor, hat die Geschichte ihren Welterklärungsanspruch wieder verloren. Christoph Arens, kna
Stephen Greenblatt: Die Geschichte von Adam und Eva. Siedler, 448 S., 28 ¤