Deniz Yücel feiert Freiheit
Erster öffentlicher Auftritt nach Haft
Berlin Es ist wie ein herzliches Wiedersehen unter alten Freunden: 800 Gäste feiern im Festsaal Kreuzberg mit Denis Yücel seinen ersten öffentlichen Auftritt nach einjähriger Haft. Alle Tickets sind ausverkauft. Blaue und rote Luftballons sowie eine Discokugel an der Decke schmücken die Bühne in Yücels Heimatkiez. Der Abend verläuft sehr emotional in einer privaten Atmosphäre mit vielen Umarmungen und Anekdoten. Wer eine politische Generalabrechnung mit der Türkei erwartet hat, wird enttäuscht.
„Es geht mir gut. Nicht nur, weil ich ein Jahr Knast hinter mir habe, sondern auch, weil es viele Menschen gab, die hinter mir standen“, sagt Yücel nach minutenlangem Begrüßungsapplaus. „Die Autokorsos für mich waren nicht umsonst. Ob Erdogan sie mitbekommen hat, weiß ich nicht, aber mir hat es gutgetan“, sagt der Journalist mit Blick auf den türkischen Staatspräsidenten. Yücel dankt zudem seinem Anwalt Veysel Ok und seiner Frau Dilek, die er beide auf der Bühne umarmt.
Das Ende seiner Haft war für Yücel lange Zeit nicht absehbar. „Nicht einmal der Papst hätte mich da rausholen können“, sagt er. Das türkische Hochsicherheitsgefängnis Silivri sei darauf ausgelegt, „alles an Lebensfreude zu zerstören“. Der Innenhof bestehe nur aus Beton. In den Zellen seien eigene Blumen und Fotos an der Wand verboten gewesen. Das Schreiben habe ihm Kraft gegeben. „Du findest immer einen Weg. Hauptsache, man ergibt sich nicht“, so Yücel.
In seinem neuen Buch „Wir sind ja schließlich nicht zum Spaß hier“, aus dem er am Samstag gelesen hat, verarbeitet der Journalist Erlebnisse aus seiner Haft. Das Werk umfasst zudem eine Auswahl seiner Reportagen, Satiren, Kommentare und Glossen aus den vergangenen 13 Jahren, die er während der Haft zusammengefasst hat. Bereits im Polizeigewahrsam fing Yücel heimlich mit den Notizen an. Mangels geeigneter Schreibunterlagen benutzte er einfach die weißen Leerflächen im Buch „Der kleine Prinz“von Antoine de Saint-Exupéry.
Sein Anwalt Veysel Ok erzählt auf der Bühne, es sei für ihn nicht leicht gewesen, Yücel so lange in Isolationshaft zu sehen. Noch immer säßen mehr als 100 Journalisten in türkischen Gefängnissen. Sie bräuchten weiterhin Unterstützung.
„Ich fand es heute Abend wichtig, dass wir hier die Freiheit gefeiert haben, anstatt allzu politisch zu werden“, sagt eine Zuhörerin der Lesung. Die junge Frau reiste extra aus Saarbrücken an, um Yücels ersten Auftritt in der Freiheit zu erleben. Die Türkei wirft dem WeltKorrespondenten „Propaganda für eine Terrororganisation“und „Aufstachelung des Volkes zu Hass und Feindseligkeit“vor.
Im Februar 2017 hatte sich Yücel der türkischen Justiz gestellt. Er kam ohne Anklage in Untersuchungshaft in ein Gefängnis. Ihm werden Verbindungen zur verbotenen kurdischen Arbeiterpartei PKK unterstellt.
Yücel wurde dennoch im Februar aus der Haft entlassen. Der Journalist konnte mit einem Flugzeug die Türkei verlassen. Zeitgleich wurde jedoch die Anklageschrift gegen ihn erstellt. Sie stützt sich im Wesentlichen auf die Welt-Artikel, die schon für seine Untersuchungshaft herangezogen wurden. Ihm drohen zwischen vier und 18 Jahren Haft. Wann genau der Prozess in der Türkei starten soll, ist noch unklar. (dpa)