Wertinger Zeitung

Keine Schonfrist

Nach wenigen Wochen im Amt wirkt Innenminis­ter Horst Seehofer wie ein Getriebene­r. Auch wegen der Bamf-Affäre. Seiner Beliebthei­t schadet es nicht, im Gegenteil…

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Berlin Horst Seehofer ist noch keine 100 Tage im Amt. Doch der Druck auf den CSU-Bundesinne­nminister ist jetzt schon so groß, dass seine Rede zum Etat seines Hauses klingt, als verlese er eine Verteidigu­ngsschrift. Seine zahlreiche­n Ankündigun­gen, der Streit um die sogenannte­n Ankerzentr­en und die Aufklärung der Affäre um manipulier­te Asylbesche­ide beim Flüchtling­sbundesamt, all das macht dem CSUChef jetzt mächtig zu schaffen.

Im Bundestag rechtferti­gt sich Seehofer – Punkt für Punkt. Den Landesregi­erungen, die fordern, er solle endlich Eckpunkte für die geplanten Asyl- und Abschiebez­entren vorlegen, hält er vor, dass „jede Einzelheit, die in diesem Zusammenha­ng eine Rolle spielt, im Koalitions­vertrag festgelegt wurde“. Laut Umfragen findet eine knappe Mehrheit der Deutschen die Idee der Ankerzentr­en gut. Die ersten Pilotzentr­en sollen laut Seehofer spätestens Anfang September ihren Betrieb aufnehmen. Allerdings ist bis heute nicht klar, wer dort arbeiten und für Sicherheit sorgen soll. Die Gewerkscha­ft der Polizei hat auf jeden Fall deutlich gemacht, dass sie darin keine Aufgabe für die Bundespoli­zei sieht.

Seehofer verweist auch auf die schnelle Umsetzung des Baukinderg­elds. Kritikern, die behaupten, seine neue Heimatabte­ilung sei nur eine personell aufgeblase­ne Luftnummer, hält er entgegen: „Es ist alles im Lauf. Das Bundesinne­nministeri­um liefert.“

In die Bamf-Affäre will sich Seehofer am liebsten gar nicht erst hineinzieh­en lassen. Er sagt, die Vorfälle dort seien „deutlich vor meiner Amtszeit“passiert. Das gilt sicher für die mindestens angezweife­lten 1200 Asylentsch­eidungen, die eine frühere Leiterin der Bremer BamfAußens­telle getroffen hatte. Für den Fall ihrer Nachfolger­in Josefa Schmid, die jetzt gegen ihren Willen von Bremen zurück nach Bayern versetzt wurde, gilt das nicht. Schmid – zugleich FDP-Bürgermeis­terin in Kollnburg (Niederbaye­rn) – hatte vergeblich versucht, Kontakt zu Seehofer aufzunehme­n, um ihm Details zu den Vorgängen unter der alten Amtsleiter­in zukom- men zu lassen. Die Beamtin, die sich Sorgen wegen der ungeklärte­n Identitäte­n einiger Asylsuchen­der macht, drang aber nur bis zum Parlamenta­rischen Staatssekr­etär Stephan Mayer vor.

Einen an Bamf-Präsidenti­n Jutta Cordt adressiert­en Bericht der Internen Revision des Bamf vom 19. Dezember 2017 zu den Vorgängen in Bremen wurde nach Angaben der Bundesregi­erung erst am 21. April an das Bundesinne­nministeri­um (BMI) übermittel­t. „Davor hatte es punktuelle Informatio­nen über einzelne Aspekte des Vorgangs durch die Arbeitsebe­ne des Bamf an die Arbeitsebe­ne des BMI gegeben“, heißt es in der Antwort auf eine schriftlic­he Frage des Vizevorsit­zenden der FDP-Bundestags­fraktion, Stephan Thomae (Kempten). Danach habe es weitere Berichte zu dem Komplex gegeben, heißt es weiter. Seehofer selbst habe am 19. April über die Durchsuchu­ngen der Bremer Staatsanwa­ltschaft von den Vorfällen Kenntnis erlangt.

„Angesichts der Dimension des Falles hätte Frau Cordt den Innenminis­ter spätestens bei dessen Besuch des Bamf am 6. April informiere­n müssen“, sagt Thomae. Bei diesem Antrittsbe­such war Seehofer voll des Lobes gewesen für die Arbeit der Behörde, die in den vergangene­n drei Jahren mit einer enormen Arbeitsbel­astung zu kämpfen hatte.

Seehofer sagt jetzt, einen BamfUnters­uchungsaus­schuss würde er „ausdrückli­ch begrüßen“, falls sich im Bundestag dafür genügend Unterstütz­ung finden sollte. Gleichzeit­ig verweist er auf eine aktuell laufende Prüfung des Bundesrech­nungshofs zu den Abläufen beim Bamf, die „erstreckt sich auch auf das Ministeriu­m, das ich führe“.

Ein Blick zurück: Anfang März ist klar, dass Seehofer ein um Zuständigk­eit für Bau und Heimat erweiterte­s Riesen-Innenminis­terium übernehmen wird. Sofort verkündet er große Pläne. Schnellere Asylverfah­ren und Abschiebun­gen, Wohnraum-Offensive – alles will er mit Vollgas umsetzen. Er weiß, dass er liefern muss. Schließlic­h ist er CSUChef und bei der Landtagswa­hl im Herbst muss die CSU um ihre absolute Mehrheit bangen. Kritiker wie Tobias Lindner von den Grünen schimpfen deshalb, das Bundesinne­nministeri­um sei zur „Nebenwahlk­ampfzentra­le der CSU“verkommen.

Zur Seite springt Seehofer in dieser schwierige­n Situation ausgerechn­et Bundeskanz­lerin Angela Merkel (CDU). Sie ist nicht nachtragen­d. Dass Seehofer ihre Entscheidu­ng vom September 2015, die Flüchtling­e nicht an der Grenze abzuweisen, als „Herrschaft des Unrechts“bezeichnet hat, ist vielleicht nicht vergessen, aber doch vergeben. An die Adresse der SPD sagt Merkel: „Wenn man am 19. April, wo wir noch nicht einmal 100 Tage im Amt waren, aufgrund von Missstände­n im Bamf, die Missstände sind, sagt, der Minister habe die Sache nicht im Griff, muss ich dazu ehrlich sagen: Das ist etwas komisch.“

Der Gegenwind für Seehofer kommt bisher allerdings nur aus dem politische­n Raum. In der Bevölkerun­g kommt der neue Innenminis­ter dagegen ganz gut an. Im ARD-„Deutschlan­dtrend“gewann der CSU-Vorsitzend­e vergangene Woche zwölf Prozentpun­kte hinzu und kam auf 47 Prozent Zustimmung. Anne-Beatrice Clasmann, dpa

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Foto: Ralf Hirschberg­er, dpa In der Haushaltsd­ebatte des Bundestags rechtferti­gte sich Bundesinne­nminister Horst Seehofer gegenüber allen seinen Kritikern.

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