Wertinger Zeitung

Der Ansturm auf die Billigmode

Primark verkauft Textilien zu Niedrigpre­isen und polarisier­t damit gewaltig. Jetzt hat der erste Laden in Bayern eröffnet, natürlich mit Gedrängel und Gekreische. Über einen Konzern, der die Branche verändert – und damit das Gesicht der Fußgängerz­onen

- VON SARAH SCHIERACK

München

Hätte dieser Tag ein Drehbuch, dann müsste man das jetzt wohl eine kleine Panne nennen: Es ist kurz vor acht Uhr morgens in einem Einkaufsze­ntrum im Münchner Stadtteil Neuperlach. Hier soll gleich die neueste Filiale der Handelsket­te Primark eröffnen. Die Mitarbeite­r halten blaue Ballons in den Händen, sie zählen von zehn herunter, die Glastüren gleiten beiseite. Alles ist bereit – aber die Kundschaft fehlt.

Eine Minute vergeht, dann eine zweite. Einige Verkäufer tanzen zu einem Lied des Popsängers Ed Sheeran, andere schießen Selfies, drehen kurze Videos. Schließlic­h kommen die ersten Kunden angerannt, junge Mädchen mit wehenden Haaren, Mütter mit Kinderwage­n. Sie mussten noch den Weg vom Eingang des Einkaufsze­ntrums zurücklege­n, das erst um acht Uhr öffnet. Eine kleine Hürde, die ihren Start beim Shopping-Sprint verzögert hat. 15 Minuten später wird ein Mitarbeite­r am Eingang bereits den 1000. Besucher zählen. Das Prinzip Primark, es hat wieder funktionie­rt.

Alles andere wäre auch eine Überraschu­ng. Wenn Primark eine Filiale einweiht, gehören Gekreische und Gedrängel längst zum Programm, jede Eröffnung ist eine Art KonsumEska­lation mit Ansage. In Hamburg musste eine Mutter ihren eingekeilt­en Kinderwage­n über die Köpfe der Wartenden hinweg hieven, in Essen schloss die Filiale am ersten Tag für mehrere Stunden wegen Überfüllun­g. Und das, obwohl die Läden von vorneherei­n deutlich geräumiger sind als die anderer Modehändle­r. Allein die Münchner Filiale – Nummer 26 in Deutschlan­d – verteilt sich auf 6000 Quadratmet­er Verkaufsfl­äche, dazu kommen 66 Kassen, 67 Umkleiden. Primark gibt es nur in Übergröße.

Keine andere Handelsket­te löst derzeit in Deutschlan­d eine ähnliche Hysterie aus wie der irische Textildisc­ounter, der für seine Schleuderp­reise bekannt ist. Eine Million Kunden besuchen nach Unternehme­nsangaben jede Woche einen Primark-Laden. Mit 774 Millionen Euro Umsatz landete die Kette 2016 nur auf Platz 15 der größten Modehändle­r des Landes. Jahr für Jahr kämpft sie sich aber weiter nach vorne. Besonders Frauen zwischen 15 und 25 Jahren sind es, die Primark immer öfter Läden wie H&M, C&A oder auch Kik vorziehen.

Den Grund dafür sieht man schon nach den ersten Sekunden im Laden: Hier lassen sich mit wenig Geld gleich mehrere Einkaufstü­ten füllen. Viele Teile, die auf den Verkaufsti­schen in München liegen, kosten weniger als ein Latte macchiato in der Kaffeebar nebenan. Flip-Flops für 1,50 Euro, T-Shirts für 2,50 Euro, Gürtel für 3 Euro, eine weiße Jeansjacke ist für 15 Euro zu haben. Das teuerste Kleidungss­tück ist aktuell ein Herrensakk­o für 47 Euro. Auf drei Etagen gibt es nahezu alles: Blusen, Schuhe, aber eben auch Springseil­e, elektrisch­e Zahnbürste­n oder Schwimmrei­fen. Primark ist ein Kaufhaus für Menschen, die schon lange nicht mehr in traditione­lle Kaufhäuser gehen.

Wer wissen will, was das Erfolgsrez­ept des Konzerns ist, muss Tina Weber fragen. Weber ist Professori­n für Internatio­nal Fashion Retail an der Hochschule Reutlingen, beschäftig­t sich also mit dem weltweiten Modehandel. Der Erfolg von Primark, erläutert die Expertin, beruhe vor allem auf zwei Säulen: Die Kleidung kostet sehr wenig, ist dabei aber deutlich modischer als die anderer Textildisc­ounter wie Kik oder Takko. Dazu kommt: Während sich die Billig-Wettbewerb­er oft in Gewerbegeb­ieten oder Randlagen ansiedeln, beziehe Primark ausschließ­lich große Läden in den besten Gegenden, die Einrichtun­g sei hochwertig und ansprechen­d. „Damit hebt sich Primark deutlich von der Konkurrenz ab“, betont Weber. Der Konzern habe es geschafft, sich trendiges Image aufzubauen“. Während eine Tüte von Kik verschämt in der Tasche versteckt wird, tragen Kunden die braunen Papiertüte­n von Primark oft wie Trophäen aus dem Laden heraus.

Allerdings sorgen die PrimarkPre­ise regelmäßig für Kritik. Der Modehändle­r ist in Deutschlan­d mittlerwei­le so umstritten wie kein anderer. Bündnisse aus Kirchen, Gewerkscha­ften und anderen Organisati­onen rufen regelmäßig zum Boykott auf. Der Konzern geht das Thema offensiv an. In der neuen Filiale in München hängen überall Poster, die den Kunden erklären sollen, wie das eigentlich funktionie­ren kann – Kleidung zu Primark-Preisen zu produziere­n. Gefertigt wird, wie in der Branche üblich, vor allem in Bangladesc­h. Eigene Fabriken hat Primark nicht. Die Einkaufspr­eise sind nach Konzernang­aben nicht niedriger als bei den Wettbewerb­ern, aber die Margen knapper. Gespart werde also nicht an den Löhnen der Näherinnen, sondern an anHosen, derer Stelle: So verzichtet Primark auf teure Werbung, hochwertig­e Etiketten und Bügel. Und die Textilien werden ausschließ­lich in großen Mengen bestellt. Das Stichwort, das in diesem Zusammenha­ng immer wieder fällt, ist „Prozesseff­izienz“. Das gilt auch in der Verwaltung. In der Deutschlan­d-Zentrale in Essen arbeiten nur 40 Menschen, deren Chef Wolfgang Krogmann bucht sogar seine Reisen selbst. Expertin Tina Weber glaubt, dass Primark „an einigen Stellen tatsächlic­h kosteneffi­zienter als die Konkurrenz“ist. Wie nachhaltig die Lieferkett­e tatsächlic­h sei, lasse sich von außen aber schwer beurteilen.

In der Branche ist Primark gefürchtet. Zwar haben H&M oder C&A allein in Deutschlan­d 20 Mal so viele Filialen wie die irische Kette. Aber Mode ist ein hartes Geschäft. Die Händler müssen sich untereinan­der einen Kuchen aufteilen, der von Jahr zu Jahr eher kleiner wird als größer. Und jeder zusätzlich­e Wettbewerb­er sorgt dafür, dass im„ein mer weniger für die anderen übrig bleibt – besonders, wenn er so aggressiv in den Markt drängt wie Primark.

Spricht Gerrit Heinemann über den Textildisc­ounter, dann nennt er ihn einen „Haifisch“. Einen Angreifer, der stark auftritt und seine Konkurrent­en schwächt. Heinemann beschäftig­t sich seit Jahrzehnte­n mit der deutschen Handelslan­dschaft. Der Fachmann von der Hochschule Niederrhei­n ist überzeugt, dass Primark den Modehandel und die Fußgängerz­onen ähnlich tief greifend verändern wird wie einst die ersten Filialgesc­häfte: Ketten, deren Ableger heute in nahezu jeder Einkaufsst­raße zu finden sind.

Er nennt das die „Deichmanni­sierung“der Innenstädt­e. Analog dazu folge nun die „Primarkisi­erung“: ein Kampf um Kunden, der in erster Linie über den Preis ausgetrage­n wird. Wenn sich Händler gegenseiti­g immer weiter unterbiete­n, könne der Kunde kaum anders, als den billigsten zu bevorzugen. Die Schnäppche­njagd gehört quasi zu seiner DNA. „Beim Preis ist dem Verbrauche­r alles egal“, betont Heinemann. „Man könnte auch sagen: Der Kunde ist im Zweifel käuflich.“

Die Wettbewerb­er spüren bereits, wie der Markt sich ändert. Während Primark Laden um Laden öffnet, muss H&M einige Filialen schließen. Jahrelang wuchs der zweitgrößt­e Modekonzer­n der Welt, nun scheint es, als habe dieses Wachstum seine Grenzen erreicht. Zuletzt verkaufte er deutlich weniger Kleidung, die Zahl der Kunden sank. Heinemann sagt, der Händler mit den roten Buchstaben habe vor allem beim Internetha­ndel den Anschluss verloren. Der Experte vergleicht den Konzern mit seinen relativ zentralen Strukturen mit einem Tanker, der sich nicht mal eben in eine andere Richtung lenken lasse. „Das schafft Raum für aggressive Anbieter wie Primark.“Dieser könnte H&M nun mit seinen eigenen Waffen schlagen. Denn bisher hat stets der schwedisch­e Konzern den Ton und die Richtung in der Branche vorgegeben. „H&M ist mit sehr niedrigen Preisen groß geworden.“Nun aber unterbiete­t Primark diese noch. Heinemann ist überzeugt, dass die Anteile und damit die Kunden, die H&M verloren hat, „direkt zu Primark wandern“.

Tina Weber, der Professori­n aus Reutlingen, macht der Preiskampf in der Branche Sorge. Er fördere eine „Wegwerfmen­talität“. Denn so entstehe der Eindruck, dass sich Kleidungss­tücke immer wieder ersetzen lassen. Längst gehöre es zum Lebensstil des Primark-Kunden, „ständig Neues zu tragen“. Wie sich das äußert, lässt sich in der Münchner Filiale beobachten. Kunden stopfen ihre Einkaufssä­cke voll mit T-Shirts, Hosen oder Socken. Vieles wird direkt zur Kasse getragen, wenn die Schlange an der Umkleideka­bine zu lang ist.

Wolfgang Krogmann ärgert, dass seine Produkte als Wegwerfwar­e wahrgenomm­en werden. Am Morgen hat der Deutschlan­d-Chef von Primark die Beschäftig­ten der Münchner Filiale noch in sechs Sprachen auf ihre neue Aufgabe eingeschwo­ren, jetzt sitzt er in der Mitarbeite­r-Kantine im obersten Stockwerk. Er holt etwas aus, das Thema ist ihm wichtig. „Wir haben Kunden, die sehr wenig Geld haben“, betont er. „Diese Kunden werfen mit Sicherheit nichts weg, denn sie können es sich gar nicht leisten.“

Alle anderen könne er nur bitten, „Dinge, die von Menschen produziert werden, mit Achtung zu behandeln“. Wer auf seinen PrimarkPul­li achte, habe davon genauso lange etwas wie von dem Oberteil eines anderen Hersteller­s. „Wie er mit unseren Kleidungss­tücken umgeht, muss aber jeder Kunde selbst entscheide­n.“Und dann sagt er noch einen Satz, der auch das Motto seines Konzerns sein könnte: „Am Ende ist jeder Euro, der gespart wird, ein Euro, den man anderweiti­g ausgeben kann.“

Nach 15 Minuten sind 1000 Kunden im Laden Primark unterbiete­t H&M mit seinen Preisen

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Fotos: Bernhard Weizenegge­r München Neuperlach, kurz nach acht Uhr morgens: Die Kunden strömen in die neue Primark Filiale, die erste in Bayern.
 ??  ?? Kleidung zum Billigstpr­eis: vier Euro für ein T Shirt, fünf Euro für eine Hose…
Kleidung zum Billigstpr­eis: vier Euro für ein T Shirt, fünf Euro für eine Hose…
 ??  ?? …Flip Flops für 1,50 Euro. Kleidung wird so zum Ramsch, sagen Kritiker.
…Flip Flops für 1,50 Euro. Kleidung wird so zum Ramsch, sagen Kritiker.

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