Stolz und Fehlurteil
IVON MICHAEL BÖHM st es der eigene Stolz? Das männliche Ego? Der Drang, recht haben zu wollen? Man weiß es nicht, was einen hin und wieder zu Taten treibt, die absehbar, angekündigt, ja zwangsläufig zum Desaster führen. Die meisten dieser Taten haben ihren Ursprung in einem „Tu das nicht, das geht nicht gut!“.
Früher war es die fürsorgende Mama, die den aufmüpfigen Sprössling davor warnte, in die Hände zu klatschen, um zu beweisen, wie toll er freihändig Fahrrad fahren kann. Natürlich steigert das mütterliche Misstrauen den kindlichen Eifer erst recht – und endet, wie zu erwarten war, mit Schmerzen auf dem Asphalt. Die Mama schimpft, der Sohn weint.
Später war es der erfahrene Basketballtrainer, der den übermütigen Möchtegernprofi davor warnt, den Ball zwischen den Beinen, hinter dem Rücken und mit größtmöglicher Lässigkeit zu dribbeln, um zu beweisen, wie toll er das Spielgerät beherrscht. Es endet, wie zu erwarten war, mit dem Hosen- auf dem Hallenboden und dem Ball in den Händen des Gegners. Der Trainer schimpft, der Spieler wird ausgewechselt.
Und heute ist es die besorgte Ehefrau, die den besserwissenden Ehemann davor warnt, den Behälter mit dem frisch gebackenen Kuchen mit nur einer Hand am Griff zu tragen, um zu beweisen, dass der Verschluss der Plastikbox doch genau für diese Art des Transports ausgelegt ist. Es kommt, wie es kommen muss: Kurz vor dem Ziel geht der Verschluss auf, die Haube löst sich und der Kuchen landet, wie zu erwarten war, mitten auf der Straße. Die Ehefrau schimpft, der Ehemann versinkt neben den Krümeln vor Scham im Boden.
Nun könnte an dieser Stelle die Moral von der Geschicht’ stehen: die Einsicht, die Lehren, das Versprechen, sich zu bessern. Oder aber eine objektive Analyse, um die Geschehnisse richtig beurteilen zu können: Da war dieses hinterhältige Schlagloch, das gemeine Foul des Gegenspielers und dieser Kuchenbehälter ist ganz offensichtlich eine einzige, plastikgewordene Fehlkonstruktion. Das hat doch alles nichts mit Stolz, Ego und Rechthaberei zu tun. Oder?