Wertinger Zeitung

In Hamlar wird seit 40 Jahren gerockt

In Hamlar verwandelt­e sich vor 40 Jahren die Bahnhofsga­ststätte in eine Musikkneip­e. Die existiert noch immer. Vieles hat sich in der ganzen Zeit kaum verändert

- VON WOLFGANG WIDEMANN

Wenn Horst Scheidl die einstige Bahnhofsga­ststätte in Hamlar (Landkreis DonauRies) betritt, fühlt er sich wie mit einer Zeitmaschi­ne zurückvers­etzt. Beim Betreten der abgedunkel­ten Räume, die spärlich beleuchtet sind, deren Wände die Gemälde von längst verblichen­en RockmusikS­tars und Konzertpos­ter schmücken und mit jeder Menge Aufkleber teilweise zugepflast­ert sind, fühlt sich der 68-Jährige an die späten Siebziger zurückvers­etzt: „Es hat sich praktisch nichts verändert.“Scheidl hat 1978 zusammen mit einem Kumpel in Hamlar eine Rockdisco eröffnet. Vielleicht ist Musikkneip­e der bessere Begriff. Die gibt es auch 40 Jahre später noch. Die Einrichtun­g ist weitgehend die Gleiche geblieben, aus dem Lautsprech­ern kommt nach wie vor hauptsächl­ich klassische­r Rock. „Rockmusik Hamlar“lautet auch der momentane Name des Lokals.

Vor vier Jahrzehnte­n hieß der Laden noch „Nashville“. Es war die Idee eines DJs, die Disco nach der Musikstadt in den USA zu benennen. Horst Scheidl und sein Kumpel wollten damals einen Gegenpol zu den „Möchtegern-Schickimic­kiDiskothe­ken“schaffen, in denen hauptsächl­ich Schlager und Popmusik gelaufen seien, „aber nichts von Pink Floyd“. Die jungen Männer telefonier­ten Brauereien in der Region ab und fragten, ob sie geeignete Räume verpachten. In Unterbaar hatten die Rockmusik-Freunde Erfolg. Die dortige Brauerei, welche die Bahnhofsga­ststätte angemietet hatte – was übrigens auch heute noch der Fall ist – verpachtet­e diese an das Duo. Dieses baute in die Wirtsstube eine Theke. Der frühere Tanzsaal diente fortan als eigentlich­e Disco. „Zwei Tage vor der Eröffnung ging uns das Geld aus, aber wir hatten noch keine Tische“, erinnert sich der gebürtige Bäumenheim­er. Der bekam von seiner Oma 400 D-Mark: „Davon kauften wir uns Tischlerpl­atten und bauten uns die Tische selbst. Das Material für die Füße haben wir uns aus dem Wald geholt.“

Am 12. Mai 1978 startete in der Bahnhofswi­rtschaft eine neue Ära. Vor allem junge Leute seien anfangs gekommen. Das „Nashville“sei gut besucht gewesen. Mit Konzerten sei man dann in einem weiteren Um- kreis bekannt geworden. Als erste Band trat Scheidl zufolge die Band Bullfrog auf. Einen Rekordbesu­ch mit rund 400 zahlenden Gästen habe man beim Gastspiel der deutschen Krautrock-Gruppe Guru Guru verzeichne­t. „Bis aus München, Ulm und Nürnberg kamen Leute zu uns.“Im Sommer habe so mancher von Freitag auf Samstag im Auto vor dem „Nashville“übernachte­t.

Das verdiente Geld steckten die Betreiber auch in die weitere Einrichtun­g des Lokals. Dazu gehörte eine Lüftung – wobei diese kaum Wirkung zeigte, wenn der Laden voll war und kräftig geraucht wurde. Nach etwa einem Jahr stieg Scheidls Partner aus. Die alte Küche und einen Abstellrau­m verwandelt­e Scheidl, der mit seiner Familie im ersten Stock wohnte, in die „Teestube“. Er selbst machte nach einem weiteren Jahr in Hamlar Schluss: „Ich brauchte was Neues. Außerdem war ich eigentlich kein Wirt. Es war aber eine tolle Zeit.“

Es übernahm ein neuer Pächter, das Konzept blieb unveränder­t. Nur der Name änderte sich irgendwann. „Jenseitz“hieß jetzt die Diskothek. Die hatte und hat stets an drei Tagen geöffnet: mittwochs, freitags und samstags. Achim Mayinger war 17 Jahre alt, als er 1990 erstmals als DJ in Hamlar tätig war, zunächst mittwochs: „Ich fing mit 40 bis 50 Langspielp­latten an. Von jeder ein Lied, das hat für einen Abend gereicht. Mit dem Honorar habe ich gleich neue Scheiben gekauft.“Mayinger, der aus Oberndorf stammt und zwischenze­itlich in Rain lebt, ist auch heute noch regelmäßig am Mischpult. Gleiches gilt für Stefan Schmidt-Bilkenroth, 51, der ebenfalls seit Anfang der 1990er Jahre zum DJ-Team in Hamlar gehört. Damals lebte er in Gersthofen und war längst Stammgast in der Rockdisco, ehe er in dieser selbst für die Musik sorgte. Die Songs der Rolling Stones, von Led Zeppelin und Deep Purple gehören noch immer zum Repertoire. Es würden aber auch neuere Stücke gespielt, betont Mayinger: „Man geht schon auch mit der Zeit, aber bleibt im Stil.“So haben auch beispielsw­eise die Red Hot Chili Peppers oder die Fantastisc­hen 4 ihren Platz.

Die DJs merken an: „Es gibt wohl keine Disco, in der an einem Abend so viele Musikricht­ungen gespielt werden.“Denn zur Rockmusik gesellten sich Reggae, Irish Folk, Pop, Heavy und zwischendu­rch Weltmusik, etwa von Mari Buine. „Es läuft fast alles, außer Schlager und Klassik“, erklärt Schmidt-Bilkenroth, der mittlerwei­le in Donauwörth lebt. Der Betrieb der Diskothek ging im neuen Jahrtausen­d weiter – auch nach dem Rauchverbo­t in Gaststätte­n. Seit 2011 ist Tom Schmidberg­er der – inzwischen siebte – Pächter. Auch er war schon als Jugendlich­er Stammgast, arbeitete dann am Ausschank und wurde von seinem Vorgänger gefragt, ober er das „Rockmusik Hamlar“weiterführ­en wolle. Der Diplom-Geograf sagte zu – und ist nun Wirt im Nebenjob. Nach Jahren, in denen die Besucherza­hlen zurückgega­ngen seien, habe sich die Situation stabilisie­rt, berichtet der 38-Jährige.

„Bis jetzt läuft es“, sagt er. Möglich sei es nur, weil seine Frau mitspiele und das Team aus langjährig­en Mitarbeite­rn funktionie­re. DJ Stefan denkt in diesem Moment auch gleich an die Zukunft. „Bis 50 Jahre machen wir das“, sagt er mit Blick zu Schmidberg­er. An der Einrichtun­g und an der Musik in dem alten Gemäuer, an dem außen der Putz bröckelt, wird sich bis dahin wohl kaum etwas ändern. Würde nach Ansicht von Gründer Scheidl auch nicht funktionie­ren: „Das ist eine Nische.“

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MONTAG, 11. JUNI 2018
 ?? Fotos: Wolfgang Widemann ?? „Nashville“, „Jenseitz“und „Rockmusik Hamlar“– die Namen der Diskothek änderten sich, doch ansonsten blieb vieles gleich: (von links) DJ Achim Mayinger, Gründer Horst Scheidl, der aktuelle Betreiber Tom Schmidberg­er und DJ Stefan Schmidt Bilkenroth.
Fotos: Wolfgang Widemann „Nashville“, „Jenseitz“und „Rockmusik Hamlar“– die Namen der Diskothek änderten sich, doch ansonsten blieb vieles gleich: (von links) DJ Achim Mayinger, Gründer Horst Scheidl, der aktuelle Betreiber Tom Schmidberg­er und DJ Stefan Schmidt Bilkenroth.

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