Klagender Ton der Trompete
Der große Jazzer Tomasz Stanko ist tot
Warschau Wenn wichtige Jazzmusiker gehen, stirbt ein Teil des Jazz. Aneinandergereiht stehen sie da als das faszinierende Bild einer Musikgattung, die Basies, Ellingtons, Coltranes ... Und jetzt auch Tomasz Stanko.
Kein Superstar im klassischen Sinn. Eher ein Künstler vom Typus „tragende Säule“. Aber dem polnischen Trompeter ist zu verdanken, dass der europäische Jazz in seinem zwanghaften Emanzipationsbestreben nicht die letzten US-Wurzeln kappte. Es oblag Stanko, eine Brücke zwischen dem Melos der Weichselgeister und Nordlichter, der Folklore der Slawen, Sizilianer, Basken, der urbanen Bop-Anonymität der Westküstenstädte und dem leidvollen Blues der Südstaaten zu bauen. Der 1942 im karpatischen Rzeszów geborene hagere Mann vereinte all diese Pole, ohne sie zu glätten und ihrer Identität zu berauben.
Sein Ton war so eindringlich wie wenige im Jazz. Geheimnisvoll klagend, lüstern schneidend, heiß und kalt. Seine Kompositionen erzählten Geschichten, die in Warschau oder New York spielten und von Einsamkeit, Liebe, Horror, Protest handelten. Stanko galt als „Man in Black“, als einer, der die Dunkelheit liebte. Wie Kafka, Poe und seine Landsleute Chopin und Polanski beseelte ihn der Drang nach Mystischem, Geheimnisvollem, dem Ausloten von Bewusstseinsgrenzen. Der Meister des Morbiden ließ sich von Ornette Coleman die Ohren öffnen und von Miles Davis sowie Chet Baker inspirieren. Stanko spielte mit Cecil Taylor, Manu Katché, Mark Turner und Enrico Rava. Seine Plattenfirma ECM war ihm lange künstlerische Heimat, in der er bedeutende Alben veröffentlichte: „Balladyna“, „Litania“, „December Avenue“. In Warschau ist Stanko nun 76-jährig nach kurzer Krankheit gestorben. (rk-)