Ein galaktisches Rennen
Florian Wellbrock ist Europameister über 1500 Meter Freistil und katapultiert sich mit deutschem Rekord in die Weltspitze. Nur drei haben diese Strecke jemals schneller absolviert
Glasgow Sarah Köhler hat es auf der Tribüne einfach nicht mehr ausgehalten. 1500 Meter hatte sie mit Florian Wellbrock gezittert, war auf den letzten Metern „nur damit beschäftigt, nicht in Tränen auszubrechen“. Danach aber lief sie die Treppen hinunter Richtung Interview-Zone, wo sie ungeduldig darauf wartete, dass ihr Freund um die Ecke kommen würde. Als es dann so weit war, wollte sie ein rechtschaffener Ordner davon abhalten, auf Wellbrock zuzulaufen. Er besann sich dann aber doch eines Besseren – dann lag sich das Paar in den Armen.
Dass Köhler tags zuvor über 800 Meter Freistil ihre erste internationale Medaille auf der Langbahn verpasst hatte, dass sie, obwohl topgesetzt und top vorbereitet, beim Sieg der Italienerin Simona Quadarella nur als Vierte anschlug – die Enttäuschung schien in diesem Moment meilenweit weg zu sein. Man habe Situationen wie diese mehrfach besprochen, sagte Wellbrock. Habe geübt, konzentriert zu bleiben beim Frust des anderen. Nach Olympia 2016 und der WM 2017 war es nun an ihm, dass alles dann zusammenpasst, wenn die Besten der Branche sich zum Kräftemessen treffen.
„Es war das härteste Rennen meines Lebens“, sagte der 20 Jahre alte Wellbrock danach. Wie hart es war, zeigten auch die Zahlen, die Bundestrainer Henning Lambertz auf einem Zettel notiert hatte, den er später nur mit immer noch zitternden Händen vorzeigen konnte: Nach 200 Metern war Wellbrock schon zwei Sekunden unter der Durchgangszeit aus dem April gewesen. Damals hatte der Magdeburger seine Bestzeit um 15 Sekunden auf 14:40,69 Minuten verbessert, dabei zudem den 27 Jahre alten Rekord von Jörg Hoffmann um zehn Sekunden unterboten.
Und nun war Wellbrock also von Beginn an erneut auf Rekordkurs. „Nach 400 Metern war er schon vier Sekunden unter seiner Bestzeit, nach 800 waren es sieben“, sagte Lambertz weiter: „Da wusste ich, das wird ein galaktisches Ding!“
Bei Wellbrock selbst klang das dessen Naturell entsprechend etwas cooler. Die ersten 1000 Meter habe er schlicht an dem Ukrainer Mykhailo Romanchuk und dem Olympiasieger Gregorio Paltrinieri dranbleiben wollen, „Kraft sparen, wenn man das so sagen kann“. Als dann aber keiner von beiden attackiert habe, habe er sich halt abgesetzt.
Nachdem anschließend ein gesundheitlich angeschlagener Paltrinieri zurückfiel und mit Bronze be- gnügen musste, war es für Wellbrock ein Schlussspurt Schulter an Schulter mit dem Ukrainer. „Da ging es dann mehr über den Kopf als über die Arme“, sagte Wellbrock zu diesen finalen Metern, die ihm nach deutscher Rekordzeit von 14:36,15 Minuten seinen ersten internationa- len Titel einbrachten, 73 Hundertstelsekunden vor Romanchuk.
Eine Zeit, mit der sich Wellbrock zudem in die ewigen Top Vier dieser Strecke katapultiert hat. Nur die Olympiasieger Sun Yang, Paltrinieri und Grant Hackett sind jemals schneller geschwommen.
Dieses Fabelrennen war bereits die zweite Überraschung für die deutschen Schwimmer bei den kontinentalen Titelkämpfen im schottischen Glasgow. Schon am Abend zuvor waren Jacob Heidtmann, Henning Mühlleitner, Reva Foos und Annika Bruhn zum PremierenTitel mit der gemischten 200-Meter-Freistilstaffel gekrault.
Für diesen Erfolg hatte das gesamte Quartett am Samstagabend Bestleistungen in der Arena im Tollcross-Park dargeboten. „Die letzten 50 Meter waren nur noch Gänsehaut“, befand Heidtmann später, der seine Kollegin von der Startbrücke aus so sehr vorangebrüllt hatte, dass seine späteren Interviews vor den TV-Kameras dann doch arg heiser daherkamen: „Wir haben als Team einfach eine geile Leistung abgeliefert, da muss man nicht drumrum reden“, krächzte der 23-Jährige.