Das ist neu an den Schulen
In Bayern gibt es wieder mehr Erstklässler. Und an den Gymnasien startet offiziell das G9. Doch Kritiker sehen noch einige Punkte, an denen es hakt
München Blaue Knopfaugen, blonde kurze Haare, dreieckige Nase, ein breites Lächeln – und eine Schultüte in der Hand. Über seinem Kopf steht in blauen Großbuchstaben: „Mein erster Schultag.“So hat sich ein Bub namens Benedikt gemalt. Und so ziert er die Präsentation von Kultusminister Bernd Sibler (CSU), als der am Mittwoch seine Strategien für das neue Schuljahr vorstellt.
Eine Frage beschäftigt viele Schüler, Eltern und Lehrer gleichermaßen: Was ändert sich jetzt mit dem offiziellen Start des neunjährigen Gymnasiums? Was kommt auf uns zu? Denn wie für Benedikt beginnt am Dienstag für etwa 115 400 Abc-Schützen die Schule. Insgesamt wird es im kommenden Schuljahr etwa 1,66 Millionen Schülerinnen und Schüler in Bayern geben, 313 700 davon gehen aufs Gymnasium. Im Vergleich zum Vorjahr steigt die Zahl der Erstklässler wieder, 2017 waren es noch 112 400 Kinder gewesen.
Die wichtigste Neuerung zum kommenden Schuljahr ist die Rückkehr zum neunstufigen Gymnasi- um. Das G 8 war im Frühjahr 2017 – auch auf Druck von Eltern und Lehrern – nach 14 Jahren abgeschafft worden. Wer jetzt aufs Gymnasium wechselt, macht also regulär wieder in neun Jahren sein Abitur. Das bedeutet für die Schüler vor allem weniger Nachmittagsunterricht. Das bedeutet aber auch: Es werden Fächer und Stunden hinzukommen.
Vor allem die digitale Bildung sowie der Geschichts- und Sozialkundeunterricht sollen gestärkt werden. So wird Informatik zum Pflichtfach und Geschichte nun von den Jahrgangsstufen sechs bis elf unterrich-
Werte Initiative 20 bis 25 Jugend liche pro Regierungsbezirk werden zu Werte Botschaftern ausgebildet. Sie sollen Mitgestalter eines „ethischen Kompasses“in Zeiten von Extremismus sein und sich unter Gleichaltrigen zum Beispiel mit dem Thema Cyber mobbing beschäftigen. Starten wird die Initiative „Werte machen Schule“zum neuen Schuljahr in Oberfran ken, Schwaben und Niederbayern. tet, anstatt wie bisher bis zur 10. Klasse. Sozialkunde findet in der 11. Klasse mit zwei Wochenstunden statt. Damit berücksichtige man aktuelle gesellschaftliche Entwicklungen, erklärt das Kultusministerium, und fördere die politisch-historische Bildung. Die Stundentafel bis zur 11. Klasse steht seit Frühsommer. Die Lehrpläne für die oberen Jahrgänge müssten noch ausgearbeitet werden. Die erste 13. Klasse wird es erst im Schuljahr 2025/26 geben. Spätestens dann würden etwa 1000 zusätzliche Gymnasiallehrer benötigt. Sie werden dem Kultusminister
Deutschklassen An Grund und Mittelschulen werden alle Über gangsklassen für zugewanderte Kinder in „Deutschklassen“umbenannt. So sollen deren Deutsch Kenntnisse in al len Fächern stärker gefördert wer den. Zusätzlich gibt es vier Wochen stunden für das neue Fach „Kultu relle Bildung und Werteerziehung“, um zu vermitteln, welche Werte in Deutschland und Bayern gelten. (slor) zufolge schon in den Jahren zuvor gestaffelt eingestellt.
Den Freien Wählern ist das alles zu unkonkret. Es müsse entschieden werden, wie die Oberstufe des G9 künftig aussehen solle, sagt ihr bildungspolitischer Sprecher Michael Piazolo. Ähnliches beklagt SPDBildungssprecher Martin Güll: „Bei der Wiedereinführung des G9 stottert der Motor gewaltig.“Er erwartet künftig mehr Zulauf zum Gymnasium, vermisse aber ein pädagogisches Gesamtkonzept und kreative Ideen, wie man die gewonnene Zeit optimal nutzen könne. Auch der Ganztagsausbau müsse weiter vorangebracht werden. Der Bedarf werde steigen, nachdem am Nachmittag Unterricht wegfalle.
Noch müssen Benedikt und die anderen Abc-Schützen sich darüber keine Gedanken machen. Sollten sie einmal aufs Gymnasium gehen, können sie nach jetzigem Stand neben dem neunjährigen Weg auch eine Art Turbo-Abi wählen, ein Jahr überspringen und in acht Jahren zum Abschluss gelangen. Und der ein oder andere, sagt Sibler mit einem Augenzwinkern, „braucht vielleicht auch zehn“. »Kommentar
Endlich ist das neunstufige Gymnasium zurück, das sich eine große Mehrheit der Eltern in Bayern für ihre Kinder gewünscht hat. Endlich müssen sie nicht mehr befürchten, dass die Schülerinnen und Schüler unnötigem Stress ausgesetzt sind und die Lehrplaninhalte mehr durchgepaukt als richtig erklärt werden. Die große Herausforderung ist jetzt, das zusätzliche Schuljahr sinnvoll zu nutzen.
Wenn man sieht, welche demokratiegefährdenden Kräfte gerade in Deutschland wirken, erschließt sich von selbst, was ein alltagstauglicher Lehrplan unbedingt beinhalten muss: politische Bildung, und zwar so viel wie möglich. Der Blick auf die Geschichte sollte verknüpft sein mit Bezügen zur Gegenwart. Schüler müssen diskutieren lernen und einordnen können, was die Menschen in Deutschland im Jetzt gegeneinander aufbringt.
Lehrkräfte sind dabei mehr gefordert denn je. Es ist nämlich nicht selbstverständlich, dass Eltern ihren Kindern zu Hause politische Bildung vermitteln. Und selbst wenn sie es tun: Sie ordnen Geschehnisse in ihr Wertesystem ein und geben sie auch so weiter.
Dass Schüler sich selbst informieren, darauf kann man sich nicht verlassen. Online bewegen sie sich oft in Filterblasen, die subjektive Weltanschauungen befördern statt zu differenzieren.
Folglich muss das Klassenzimmer verstärkt der Ort sein, an dem aus Schülern selbst denkende Erwachsene werden – und keine Mitläufer.
Werteerziehung wird wichtiger