Es wird höchste Zeit für Reformen in der Kirche
Jahrzehntelang haben katholische Geistliche Kinder missbraucht, die Taten wurden vertuscht. Die Bischöfe zeigen sich beschämt. Was sie jetzt tun müssen
Sollten die deutschen Bischöfe gehofft haben, sie könnten mit der von ihnen in Auftrag gegebenen und finanzierten Studie dem Missbrauchsskandal innerhalb der katholischen Kirche die Spitze nehmen, war das ein krasser Fehlschluss. Zu schockierend sind die Zahlen der Forscher, zu monströs das jahrzehntelange Verschulden einer „moralischen Institution“.
In der Kirche wurde Nächstenliebe gepredigt – und zugleich wurden Täter geschützt, Opfern wurde die Glaubwürdigkeit abgesprochen. Man hat auf andere gezeigt: Gibt es Missbrauch nicht auch in Familien, Vereinen, Schulen? Sicher – „aber in der Kirche ist er dreimal so schlimm. Er verwundet das Opfer; er macht die Kirche als Zufluchtsort unmöglich; er zerstört Gottvertrauen“. Das sagte kürzlich der neue Bischof von Hildesheim, Heiner Wilmer. Eine Erkenntnis, die sich in der Kirche noch immer nicht flächendeckend durchgesetzt hat. Zumindest daran vermag vielleicht die Studie „Sexueller Missbrauch an Minderjährigen durch katholische Priester, Diakone und männliche Ordensangehörige im Bereich der Deutschen Bischofskonferenz“nun etwas zu ändern. Sie kann weiter für das Thema sensibilisieren – und endlich mit fatalen Behauptungen aufräumen. Bei den Missbrauchsfällen handelt es sich etwa eben nicht um „Einzelfälle“. Die Studie ist ein begrüßenswerter Beitrag. Aber ihr großes Manko besteht darin, dass die Bischöfe die Aufarbeitung in wesentlichen Punkten kontrollierten. Zweifel an ihrer Aufklärungsbereitschaft sind da berechtigt.
Die Kirche hat seit Bekanntwerden hunderter Missbrauchsfälle von 2010 an hierzulande durchaus Bemerkenswertes in Sachen Prävention und Aufarbeitung geleistet – vor allem im Falle der Regensburger Domspatzen –, das aber nicht allerorten. Jetzt gibt die Studie erstmals Hinweise auf das gesamte Ausmaß des Missbrauchsskandals. Sie muss Ausgangs- und nicht Endpunkt kirchlicher Bemühungen um echte Transparenz sein.
Doch das genügt bei weitem nicht. Mehrere Bischöfe haben zuletzt ihre Beschämung eingestanden und Opfer öffentlich um Vergebung gebeten. Nun ist es an den Verantwortlichen zu handeln. Ein erster Schritt wäre es, sich einer wirklich unabhängigen NachfolgeUntersuchung nicht zu verschließen; ein zweiter, auch Missbrauchsfälle in sämtlichen Orden erforschen zu lassen. Und zwar nicht von der Täter-Institution selbst.
Vor allem müssen die Bischöfe Antworten auf Fragen finden, die die Studie aufwirft. Warum wurden mehr zölibatär lebende Priester zu Tätern als Diakone, die verheiratet sein dürfen? Wie lassen sich die Vertuscher zur Rechenschaft ziehen? Schließlich: Welche Strukturen begünstigen Missbrauch?
Auf die letzte Frage gibt es seit langem Antworten – von Wissenschaftlern wie von Geistlichen. Sie blieben bislang ohne spürbare Folgen. So streben teils junge Männer in den Priesterberuf, die emotional oder sexuell unreif sind. Sie werden dann Teil eines Männerbundes, in dem Gehorsam und strenge Hierarchien herrschen. Hinzu kommt ein verdruckster Umgang mit den Themen (Homo-)Sexualität, Einsamkeit, Alkoholmissbrauch oder Überforderung bei Geistlichen.
In einem dritten Schritt muss die Kirche Priesteramtsanwärter besser auf die Ehelosigkeit vorbereiten oder am besten den Zölibat freistellen. Sie muss offener, positiver über Sexualität sprechen, ihr Verhältnis zur Homosexualität klären. Und sie muss etwas gegen Klerikalismus unternehmen, beispielsweise durch eine stärkere Stellung engagierter Laien und Frauen in der Kirche. Es wird höchste Zeit für strukturelle Reformen. Denn nach wie vor machen sich Geistliche des Missbrauchs schuldig.
Die Studie kann nur ein Anfang sein