Wie Michelangelo & Co. Reklame für sich machten
In München ist zu sehen, wie vor Erfindung der Fotografie monumentale Malerei unter die Leute kam
München Ihre Bilder sind heute mit zwei, drei Klicks zu haben. Und wer sich gerade am richtigen Ort aufhält, kann die Werke Michelangelos oder Raffaels sogar im Original genießen. Als diese Kunst noch frisch war, hatten dagegen nur wenige das Vergnügen. Einem Maler konnte deshalb nichts Besseres passieren, als kopiert zu werden und dadurch in die Vervielfältigungsmaschinerie zu geraten. So hat sich nicht nur ein neuer Stil oder eine gestalterische Lösung verbreitet, sondern vor allem ein konkretes Werk und damit der Ruhm des Künstlers. Lorbeeren gebühren also genauso den Kupferstechern, Holzschneidern und Radierern. Erst recht, wenn ihnen das schier Unmögliche gelungen ist: nämlich Monumentalmalerei auf ein handliches Format zu schrumpfen.
In der Pinakothek der Moderne hat Kurt Zeitler von der Graphischen Sammlung gleich mehrere italienische Kirchen und Palazzi in gerade mal zwei Räume geholt, das heißt, die ganz besondere Sicht auf Wand- und Deckengemälde von Mantegna, Raffael, Michelangelo oder Tiepolo. Die Streuung solcher Blätter hatte einst beträchtliche Auswirkungen. Wenn Goethe sich über da Vincis „Abendmahl“auslässt, das er 1788 auf der Rückreise von Rom im Kloster Santa Maria delle Grazie in Mailand aus der Nähe gesehen hat, dann liegt vor ihm auf dem Schreibtisch Druckgrafik von Giuseppe Bossi.
Dabei könnte der Unterschied zwischen Wandmalerei und Grafik kaum größer sein, schon was die Farben betrifft. Und während sich ein Kirchenfresko an viele richtet, spricht der Stich den einzelnen Betrachter an, der nun etwa ein Detail aus Michelangelos Deckenprogramm der immerhin 20 Meter hohen Sixtinischen Kapelle studieren kann. Man braucht allerdings einen kurzen Moment, um Giorgio Ghisis 1570 entstandenen Kupferstich vom Propheten Jeremias mit der berühmten pigmentflirrenden Vorlage in Verbindung zu bringen. Viel aufgeräumter ist das Blatt, der vollbärtig-verzauselte Mahner vor dem Untergang Jerusalems scheint wie zurechtgebürstet, greifbar fast und mehr sinnierender Wissenschaftler denn Weissager.
Man setzt sich mit solchen Stichen freilich ganz anders auseinander, achtet beispielsweise mehr auf die Ikonografie. Wobei es natürlich auf den Ausschnitt ankommt, allein die Auswahl ist ja bereits ein interpretierender Eingriff. Mitunter schiebt sich dadurch Nebenpersonal etwas mehr in den Vordergrund, auch Druckgrafiker nehmen sich bisweilen ihre künstlerische Freiheit. Selbst die eingebüßte Raumsituation kann wieder ins Spiel gebracht werden, etwa durch ordnende Architekturelemente, wie sie Andrea Andreani zu seinem Chiaroscuro-Holzschnitt nach Andrea Mantegnas monumentalem „Triumphzug Cäsars“anbietet. Dazu müssen die losen Blätter nur durch verbindende (Papier-)Pilaster zu einer Folge montiert werden, und schon entsteht der Eindruck einer Loggia, vor der eine Parade vorbeizieht.
Wurde der Andreani-Holschnitt von den Gonzaga in Auftrag gegeben, so ließ schon Mantegna selbst Kupferstiche von seinem Hauptwerk fertigen. Ihm ging es dabei um die Demonstration seines Könnens. Das Medium war eben auch so praktisch und leicht zu transportieren – zu potenziellen Käufern, in andere Werkstätten, über die Alpen und sonst wohin.
Auch Propaganda kam so unter die Leute. Denn wenn Raffael auf einer der Stanzen im Vatikan daran erinnert, wie Papst Leo IV. durch seinen Segen ein mächtiges Feuer im benachbarten Stadtviertel Borgo löscht, kann man damit auch für den „rechten“Glauben werben. Käufer dürften aber auch fromme Rom-Pilger gewesen sein, funktionierten solche Drucke doch auch wie Souvenirs. Denn zu sehen ist u. a. die Fassade von Alt-Sankt-Peter – und die Fotografie wurde erst Jahrhunderte später erfunden.
OGrande Decorazione. Italienische Monumentalmalerei in der Druckgrafik. Bis 6. Januar in der Pinakothek der Moderne, Di. bis So. 10 bis 18, Do. bis 20 Uhr. Der Katalog ist im Deutschen Kunstverlag erschienen (58 ¤).