Auf dem Trockenen
In Bayern will es einfach nicht mehr richtig regnen, selbst jetzt im November nicht. Ist das der Klimawandel? Wie Menschen und Tiere unter der Dürre leiden, welche finstere Prognose eine Expertin stellt und warum sogar das Bier teurer wird
Mariaberg Da steht nun also Andreas Gartmann, schaut in den nebligen Nachmittagshimmel und schüttelt den Kopf. In den vergangenen Tagen, Wochen, Monaten hat er immer wieder nach oben geblickt. Hat gehofft, gewartet. Vergebens. „So etwas habe ich noch nie erlebt“, sagt der Landwirt und wischt sich die Hände an seinem Kittel ab.
Gartmann steht auf seinem Hof in Mariaberg, einem winzigen Dörfchen auf einem Hügel, nur wenige Minuten von Kempten entfernt. Es ist klirrend kalt. Wenn Gartmann spricht, sieht man seinen warmen Atem als zarte, durchsichtige Dampfwolke vor seinem Gesicht schweben, die dann vom kühlen Herbstwind weggeweht wird. Das fahle Nachmittagslicht schwindet langsam, die Dämmerung greift nach den Wiesen und Feldern, die gleich neben Gartmanns Hof beginnen. Man hört das Bimmeln von Kuhglocken, das Blöken von Schafen, das Wummern eines Traktors. Und man sieht einen Bauer, der die momentane Situation nicht so recht fassen kann. Das, was Gartmann Kopfzerbrechen bereitet, ist das Wetter. Der Landwirt wünscht sich nur eines: Regen. Endlich Regen.
Denn der fehlt seit Monaten. „Ich habe seit August Probleme“, sagt Gartmann. Zwei Mal pro Woche fährt er hinunter nach Kempten, um dort mit einem riesigen Tank Wasser zu holen. Jedes Mal etwa 6000 Liter. „Ich brauche das Wasser, damit die Tiere etwas zu trinken haben“, sagt er.
Fürs Duschen, Abspülen und Wäschewaschen würde das Wasser aus seiner schon recht leeren Grundwasserquelle reichen – aber eben nicht für das Vieh. „Und ich kann den Tieren ja nicht sagen, dass sie weniger trinken sollen“, sagt der Landwirt und rückt seine Mütze zurecht. Etwa anderthalb Stunden ist Gartmann jedes Mal unterwegs, wenn er mit seinem Traktor zum örtlichen Wasserversorger, dem Kemptener Kommunalunternehmen, fährt. Und er weiß nicht, wie lange das noch so weitergeht.
Gartmanns Problem ist, wenn man so will, ein Symptom. Das Resultat einer höchst ungewöhnlichen Wetterlage. Und die hat Folgen. Nicht nur für den Allgäuer Bauern, sondern für das ganze Land. Für uns alle. Weil die Ernte wegen der Dürre in diesem Jahr so mau ausfiel, sind die Kartoffelpreise für die Verbraucher um mehr als die Hälfte gestiegen. Auch Gurken kosten mehr. Und sogar das Bier wird wohl teurer werden, weil auch die Hopfen- und Getreideernte mager war. Außerdem haben sich Schädlinge wegen der langen Trockenheit prächtig vermehrt, etwa die Borkenkäfer, die über tausende Fichten hergefallen sind. Das alles ist das Destillat eines einzigen Jahres. Eines Jahres, das viele Ecken des Landes ausgedörrt hat. Bayern, ja ganz Deutschland sitzt auf dem Trockenen. Es ist auch das Jahr, in dem wir so oft über den Klimawandel gesprochen haben wie selten zuvor. Bekommen wir ihn nun hautnah zu spüren?
Wann es das letzte Mal über mehrere Tage richtig geregnet hat, daran können sich viele schon gar nicht mehr erinnern. Dass das alles aber weit mehr als nur ein Gefühl ist, belegen Zahlen des Deutschen Wetterdienstes. Im Allgäu gab es in diesem Sommer 30 bis 40 Prozent weniger Niederschlag als eigentlich normal wäre. Im Norden Bayerns ist es noch dramatischer. Dort fiel etwa 80 Prozent weniger Regen.
„Etwas besser weggekommen sind die südöstlichen Bereiche Bayerns“, sagt Gudrun Mühlbacher, Meteorologin beim Deutschen Wetterdienst und Leiterin des regionalen Klimabüros München. „Aber für ganz Bayern gilt: Wir hatten eine sehr stabile Hochdruckwetterlage. Es war sehr warm. Und sehr trocken.“Das ist auch jetzt noch so. Der Herbst ist deutlich trockener, als er sein sollte.
In Mariaberg frischt der Wind auf. Das Herbstlaub tanzt auf der schmalen Dorfstraße. Gleich neben der kleinen Kirche steht der Landgasthof, ein großes Haus mit rosafarbener Holzvertäfelung. Zoran Culibrk, der Chef des Lokals, bekommt die Auswirkungen der Trockenheit deutlich zu spüren. Drei bis vier Mal in der Woche muss er an einem Hydranten, der für ihn freigegeben wurde, Wasser zapfen. „Am Freitag muss ich schauen, dass ich den Brunnen fürs Wochenende voll habe“, sagt er. Seit Anfang August hat Culibrk Probleme. Einmal war es sogar so schlimm, dass das Lokal an einem Sonntagnachmittag schließen musste. Das Wasser war aus, in der Küche stapelte sich Geschirr. „Ich würde mir wünschen, dass wir eine zentrale Wasserversorgung hätten und man Leitungen zu uns hochlegen würde“, sagt der Gastronom.
Das einzige Wasser, auf das man in den Bergen derzeit hoffen kann, ist gefrorenes. Erste zarte Schneeflocken sind schon vom Himmel gefallen, bald geht die Skisaison los. Auch die ersten Schneekanonen laufen bereits. Nur: Kann man es in diesem Winter verantworten, die Pisten zu beschneien? Angesichts der knappen Ressourcen und des hohen Wasserverbrauchs mehren sich die kritischen Stimmen, die den Pistenbetreibern unterstellen, den Wassermangel aus Profitgier zu ignorieren.
Die ganze Sache funktioniert so: Das Wasser für die Beschneiung stammt aus sogenannten Schnei- teichen. Im Frühling, wenn die Bäche wegen der Schneeschmelze viel Wasser haben, werden die Teiche gefüllt. Jetzt im Winter kann damit Kunstschnee erzeugt werden. Umweltschützer kritisieren, dass sich dieses Vorgehen gerade in einem trockenen Jahr negativ auf den Grundwasserspiegel auswirkt. Die Liftbetreiber entgegnen, dass das Wasser, wenn der Kunstschnee schmilzt, wieder in den natürlichen Kreislauf zurückgelangt. Einige kleine Skigebiete haben keine Speicherteiche und zapfen das Wasser im Winter zuweilen direkt aus den Bächen ab – das ist in diesem Jahr aber kaum möglich und wird streng kontrolliert.
Wenn man all das liest, dann könnte man der Versuchung erliegen, dieses Jahr als Ausnahme abzutun. Zu sagen, dass das Wetter eben mal verrückt spielt. Dass man nicht gleich den Teufel an die Wand malen muss und nächstes Jahr vielleicht alles wieder ganz anders sein wird. Ist das so? Oder müssen wir uns vielmehr an den Gedanken gewöhnen, dass das jetzt so weitergeht? Eine eindeutige Antwort darauf gibt es nicht. Was man aber sagen kann, ist das: „Wir wissen, dass sich im Zuge des Klimawandels das Niederschlagsgeschehen verschieben wird“, erklärt Wetter-Expertin Mühlbacher. Wie genau diese Verschiebung aussehen wird, könne man indes noch nicht genau vorhersagen. Viele Experten rechnen aber damit, dass die Regenmenge immer mehr abnehmen wird. „Wir vermuten, dass es im Sommer künftig ausgedehnte Trockenphasen geben wird. Aber wenn es dann mal regnet, dann richtig heftig.“Der Jahrhundertsommer 2003 könnte zur Normalität werden, meint Mühlbacher und fügt noch hinzu: „Aber all das sind nur Prognosen, Wahrscheinlichkeitsrechnungen.“
Sollten aus diesen Wahrscheinlichkeiten Fakten werden, hätte das gravierende Folgen für die Natur. Denn es sind beileibe nicht nur die Menschen, die unter dem Wassermangel leiden, sondern auch die Tiere. Um die kümmert sich Dirk Klos. Er steht an diesem Nachmittag bis zu den Knien im Wasser des Rottachsees, etwa 20 Autominuten von Kempten entfernt. Klos – großer Mann, graue Haare, kräftiger Händedruck – trägt eine schwarze Fleecejacke und eine dunkelgrüne Fischerhose. In seiner rechten Hand hält er einen weißen Plastikeimer. Klos greift hinein und holt eine Teichmuschel heraus, die so groß ist wie der Unterteller einer Kaffeetasse. Etwa 7000 bis 8000 Muscheln haben Klos und seine Kollegen vom Wasserwirtschaftsamt in den vergangenen Tagen gesammelt. Nötig ist das, weil der Spiegel des Stausees jeden Tag um etwa acht Zentimeter sinkt. Das Wasser wird über die Iller in die Donau geleitet, weil die derzeit enorm wenig Wasser hat. Und weil das Wasser des Flusses unter anderem als Trinkwasser oder als Kühlwasser für das Atomkraftwerk Gundremmingen genutzt wird, muss eben der Stausee angezapft werden.
Das Problem ist, dass über die zwei Zuflüsse so gut wie kein neues Wasser in den Rottachsee gelangt. Deswegen stranden viele Muscheln hilflos im Schlamm, wenn sich das Wasser nach und nach zurückzieht. „Wir sammeln sie ein, fahren raus auf den See und bringen die Muscheln wieder in tieferes Wasser“, sagt Klos und kippt den Eimer vorsichtig in einen Behälter, der in einem Schlauchboot steht. Dann stapft er zurück in den Matsch. Eigentlich sollte an der Stelle, an der Klos nun steht, alles unter Wasser sein. Doch das Ufer, an dem sich das Schilf sanft im Winterwind wiegt, ist 40 Meter entfernt. Aus dem See ist eine braune Mondlandschaft geworden.
Klos ist beim Wasserwirtschaftsamt Kempten verantwortlich für die biologische Überwachung von Seen und Flüssen. Seit 33 Jahren macht er das – die derzeitige Situation ist aber neu für ihn. „Zu dieser Jahreszeit hatten wir so etwas noch nie“, sagt er. Dann bückt er sich und hebt eine Muschel auf, deren Schale geöffnet ist. „Die hat es leider nicht geschafft.“Nachdenklich fährt er mit seinem Zeigefinger über die Muschel, streicht über die Rillen, die das Alter des Tieres verraten. „Die Muscheln sind extrem wichtig für den See. Jede filtert im Schnitt 40 Liter Wasser pro Stunde“, sagt der
Die Kartoffelpreise sind extrem gestiegen
Eine längere Regenperiode ist nicht in Sicht
Experte. Dann deutet er nach rechts. „Sehen Sie das Laichkraut?“Dort verstecken sich normalerweise die Fische.“Jetzt liegt das hellgrüne Gras wie ein schmutziger Teppich im Schlamm.
Durch den Nebel, der wie ein schweres, nasses Handtuch über dem See hängt, hört man das Röhren eines Motors. Das Boot, das die Muscheln ins tiefe Wasser gebracht hat, kommt zurück. Es wird an diesem Tag noch oft auf den See hinausfahren. Klos lässt seinen Blick über den Boden schweifen, dann geht er in die Hocke und zieht eine Muschel aus dem Matsch. „Die lebt noch“, sagt er und legt sie in einen weißen Plastikkübel.
Ralph Neumeier beobachtet die derzeitige Trockenheit mit Sorge. Neumeier ist Behördenleiter beim Wasserwirtschaftsamt Donauwörth, das für die Landkreise Neu-Ulm, Günzburg, Donau-Ries, Dillingen, Aichach-Friedberg, Augsburg sowie die Stadt Augsburg zuständig ist. „Die meisten Flüsse und Seen haben Niedrigwasser“, sagt er. Auch die Grundwasserstände leiden unter der langen Trockenheit. „Wir haben einige neue Niedrigstwerte“, sagt Neumeier. Was nun dringend nötig wäre, ist Regen. „Wir bräuchten aber eine längere Phase. Ein Tag mit intensivem Regen bringt für das Grundwasser überhaupt nichts.“
Die Chancen, dass es so kommt, stehen derzeit aber schlecht. Eine längere Regenperiode ist nicht in Sicht, sagen die Meteorologen. Bis Ende November bleibt es kalt, danach wird es wieder ein bisschen wärmer. Aber Regen? Nein.
Auch für Andreas Gartmann sind das schlechte Nachrichten. Der Landwirt aus dem kleinen Mariaberg wird wohl weiterhin mit seinem Tank in die Stadt fahren müssen, damit seine Tiere etwas zu trinken bekommen. Und er wird weiterhin oft nach oben schauen, zum Himmel. Er wird den Kopf schütteln und sich fragen: Wann regnet es endlich?