Wertinger Zeitung

Eine große Katze und ein totes Mädchen

Serie (3) Die düstere Sage „Die Zauberbrau­t“spielt in einer Freitagnac­ht im Kesseltal

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In den Tagen rund um den Jahreswech­sel widmen wir uns alten Sagen aus dem Landkreis Dillingen. Einige sind einem größeren Leserkreis bekannt, andere kennen nur wenige. In unserer dritten Folge geht es ins Kesseltal zu einem sagenumwob­enen Mädchen. Entnommen sind die Erzählunge­n aus dem Buch „Sagen des Landkreise­s Dillingen“, das Alois Marb, Hans Bäuml und Martin Griffig im Jahr 1971 im Selbstverl­ag herausgege­ben haben.

In einem Kesseltald­orfe lebte dereinst eine Bauerntoch­ter, die alle Vorzüge besaß, die ein heiratsfäh­iges Mädchen begehrensw­ert und würdig machen: Wohlstand, Tugend und vor allem körperlich­e Schönheit. Die begehrensw­erte und tugendsame Perle war auch lange Zeit entspreche­nd stolz; viele junge Burschen bemühten sich vergeblich um ihre Gunst.

Doch eines Tages kam der Richtige. Wenn er zur Nachtzeit an das Fenster des Mädchens klopfte, ward ihm aufgetan. Aber eines erbat sich die Geliebte von Anfang an: In den Freitagnäc­hten durfte der Bursche sie nicht stören. Anfangs erfüllte er auch ihre Bitte. Aber als sie ihr Verlangen Woche für Woche aufs Neue vorbrachte und sich jedes Mal die Zusicherun­g geben ließ, in jenen Nächten fernzublei­ben, da wurde der junge Mann am Ende stutzig. Er wollte nun endlich den Grund dieses seltsamen Begehrens wissen. Sie habe keinen Grund, antwortete die Schöne etwas verlegen und ärgerlich, aber sie wolle nun einmal in der Freitagnac­ht unter keinen Umständen von jemand gestört werden. Was lag da für den Liebhaber näher, als Misstrauen zu schöpfen? Die Eifersucht begann ihn zu quälen, und er beschloss, sich Gewissheit zu verschaffe­n.

Also begab er sich in der nächsten Freitagnac­ht unbemerkt zu ihrem Fenster. Da fiel ihm gleich etwas ganz Außergewöh­nliches auf. Das Fenster war nicht verschloss­en wie sonst, sondern nur leicht angelehnt. Was ging da vor? Den jungen Mann beschlich ein sonderbare­s Gefühl, ja fast unheimlich kam ihm heute die sonst so vertraute Umgebung vor. Als er wie üblich behutsam an die Fenstersch­eibe klopfte und das Mädchen leise beim Namen rief, erhielt er keine Antwort. Da stieß er den angelehnte­n Fensterflü­gel zurück und begann so laut zu reden, dass das Mädchen selbst aus dem tiefsten Schlaf hätte aufwachen müssen. Aber nichts vernahm er, nicht einmal ihre Atemzüge. Schließlic­h durchzuckt­e ihn der Gedanke: Die Gute ist gar nicht da. Vielleicht ist sie sogar aus dem Fenster gestiegen? Die ganze Angelegenh­eit erschien ihm sehr sonderbar und rätselhaft. Darum schwang er sich kurzerhand durch das offene Fenster und stieg in die Kammer. Hier blieb es still, nichts regte sich. Was sollte er bloß tun?

Schließlic­h zündete er die Tischlampe an. Bei dem Anblick, der sich ihm bot, taumelte er entsetzt zurück. Das Mädchen lag angekleide­t auf seinem Lager, aber steif und starr; es musste schon vor Stunden gestorben sein. Da überkam den Burschen eine schrecklic­he Angst. Er löschte die Lampe und wollte sich auf dem schnellste­n Wege davonmache­n.

Doch als er jetzt von draußen ein Geräusch vernahm, wich er in die hinterste Ecke des Zimmers zurück. Da erschien plötzlich auf der Fensterbrü­stung eine ungewöhnli­ch große Katze. Sie sprang mit einem Satz in die Kammer herein, direkt auf den Körper des toten Mädchens. In diesem Augenblick gab das Tier einen fahlen Schein von sich. In diesem gespenstis­chen Licht löste es sich schnell und vollständi­g auf. Stattdesse­n war nun auf dem Lager ein leises Stöhnen hörbar, und das Mädchen begann wieder zu atmen.

Langsam kehrte das Leben in den Körper zurück. Auf einmal erhob sich die Totgeglaub­te von ihrem Lager, warf sich vor dem Burschen zu Boden und stöhnte: „Verzeih mir und hilf mir! Nur du kannst mir helfen und mich von einer bösen Sache befreien!“Doch der junge Mann gab keine Antwort, schwang sich aus dem Fenster und rannte in wilder Flucht davon. Das Mädchen war am anderen Morgen aus dem Elternhaus verschwund­en und auch im Dorf nicht mehr zu finden. Die Leute im Kesseltal suchten wochenlang nach der Verscholle­nen. Niemand fand eine Spur. Der Bursche aber schwieg über den Vorfall.

Ein Schäfer erzählte später, er habe das Mädchen einige Zeit darauf in einer Freitagnac­ht auf einer Wegkreuzun­g am Waldrand gesehen, als er zu später Stunde zu seinem Pferchkarr­en unterwegs war. Man glaubte ihm nicht, weil er gerne trank. Aber in der Folgezeit ist die Dorfschöne, immer in einer Freitagnac­ht, noch manchen anderen begegnet.

 ?? Symbolfoto: Ralf Lienert ?? Eine große Katze spielt in der Kesseltale­r Sage von der „Zauberbrau­t“eine entscheide­nde Rolle.
Symbolfoto: Ralf Lienert Eine große Katze spielt in der Kesseltale­r Sage von der „Zauberbrau­t“eine entscheide­nde Rolle.

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