Wertinger Zeitung

Kann ich die Welt retten?

Trotz Ökostrom und Veggie-Trend: Wir verbrauche­n viel zu viel. Was nachhaltig­er Konsum bringt – ein Selbstvers­uch

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Es ist der zweite Sonntagmor­gen in diesem noch jungen Jahr. Der Morgen nach einer schönen Geburtstag­sfeier. Ich stehe in der Küche meiner Freundin. Sie läuft durchs Wohnzimmer und sammelt das Geschirr vom Vorabend ein. Sie kehrt mit einem Stapel Plastikbec­her zurück und schaut mich an. „Was soll ich damit machen? Wegschmeiß­en, in die Spülmaschi­ne, per Hand spülen?“Sie hält inne, öffnet den Mülleimerd­eckel und sagt: „Einmal kann man ja eine Ausnahme machen.“Wieder zögert sie, dann wirft sie die Becher weg und sagt: „Eigentlich kann man keine Ausnahmen mehr machen.“

Eine Szene aus meinem Alltag, eine Szene über Entscheidu­ngen und eine Szene, die zeigt: Wir stecken in einer Zwickmühle. Wir würden uns so gerne richtig, also nachhaltig, verhalten, aber irgendwie schaffen wir es nicht. Weil ein Zwei-Personen-Haushalt nicht genug Gläser hat, um 15 Gäste zu bewirten. Weil es keinen Spaß macht, bei Schnee, Matsch und Regen zur Arbeit zu radeln, wenn das Auto so trocken und warm ist. Weil die Tempel auf Java und die Reisterras­sen auf Bali so sehenswert sind. Weil wir alle bequem sind und es immer eine Ausrede gibt. Heißt das jetzt, dass wir gleich aufgeben sollten? Nein. Denn es gibt Spielraum. Die Frage ist nur: Wie nutzen wir den? Wie können wir gute Konsumente­n sein? Und: Geht das überhaupt?

Zunächst einmal die Bilanz: Ein Deutscher erzeugt im Jahr etwa 11,6 Tonnen CO2-Äquivalent­e. Das ist nicht nur Kohlenstof­fdioxid. Wir erzeugen auch andere Stoffe, die der Umwelt schaden. Weil diese zu vergleiche­n aber unübersich­tlich wäre, werden sie alle in CO2 umgerechne­t. So lässt sich leichter eine Klimabilan­z aufstellen. 1,1 Tonnen davon entfallen auf Leistungen für die Allgemeinh­eit. Das CO2 entsteht, weil es Straßen gibt und Krankenhäu­ser, Stromleitu­ngen und Schulen. Auf diesen Wert hat der Einzelne keinen direkten Einfluss. Aber für die restlichen 10,5 Tonnen trägt jeder selbst die Verantwort­ung. Denn eigentlich – und da beginnt das Problem schon – sollte jeder Deutsche (inklusive der allgemeine­n Leistungen) überhaupt nur eine Tonne CO2-Äquivalent­e produziere­n. Nur so lässt sich das Ziel erreichen bis 2050 den CO2-Ausstoß auf fünf Prozent des Werts von 1995 zu senken.

Wo also beginnen? Ich beginne bei mir. Ich will ehrlich sein: Als ich anfing, für diesen Text zu recherchie­ren, dachte ich: Ich tue schon sehr viel. Das stimmt auch. Ich tue Dinge, die gut sind. Und oft mehr als andere Menschen.

Ich kaufe mit Jute-Beutel ein. Im Sommer radle ich zur Arbeit. Ich fahre lieber Zug als Auto. Niemals

Je „grüner“ein Mensch ist, desto mehr verbraucht er

würde ich innerhalb Deutschlan­ds fliegen. Ich zahle gerne mehr für meine Bio-Lebensmitt­el, gucke, woher sie kommen. Im Winter esse ich Kohl, obwohl ich den nicht mag. Vor zwei Jahren habe ich meine Haare ein halbes Jahr lang mit Seife gewaschen. Das spart Verpackung­smüll und Mikroplast­ik. Dann wurden meine Haare strohig und ich war zu eitel für Umweltschu­tz. Wurst esse ich praktisch nicht mehr. Fleisch etwa einmal alle zwei Wochen. Meine Heizung läuft auf Stufe zwei, mein Strom ist erneuerbar. Mini-Schritte. Und ein Anfang. Aber gleichzeit­ig belüge ich mich selbst. So wie fast alle Menschen, die sich als umweltlieb­end bezeichnen. Weil ich sage: Ich tue doch schon so viel, da wird es doch mal drin sein, Einwegplas­tik zu kaufen.

Studien belegen, je höher gebildet ein Mensch ist, je mehr er verdient, desto „grüner“ist er eingestell­t. Und desto mehr schädigt er die Umwelt. Laut Umfrage unter allen Wählern fliegen ausgerechn­et die Grünen-Wähler am meisten. Besonders umweltbewu­sste Menschen glauben außerdem, sie verbrauche­n ein Drittel weniger Strom als der Otto Normalbürg­er. Die Wahrheit ist: Sie verbrauche­n genau gleich viel. Wunschdenk­en also.

Ich, die sich für so vorbildlic­h hält, bin nicht besser. Wenn dieser Text erscheint, stapfe ich gerade durch den finnischen Winter. Bin da, wo es richtig kalt wird. Das bekommt man hier ja fast nicht mehr. (Die Zwickmühle lässt grüßen.) Während ich also Bio kaufe, erlaube ich mir Öko-Sünden anderswo. Würden alle Menschen so leben wie ich, bräuchten wir drei Erden. Haben wir aber nicht. Allein der Flug nach Helsinki und zurück hat 1,3 Tonnen CO2 produziert.

Vergangene­s Jahr hatten wir die Rohstoffe, die die Erde innerhalb eines Jahres hervorbrin­gen kann, Anfang März aufgebrauc­ht. Bei meinem Lebensstil wäre im Mai Schluss. Besser, aber nicht gut.

Mit dieser Erkenntnis bin ich Mitte der Woche nach Hause gekommen. Beim Abendessen eröffnete ich meinem Freund: „Wir können nie wieder Fernreisen unternehme­n.“Er schwieg und sagte dann: „Aber der Balkon!“Das ist sein Gegenargum­ent. Unser 1,5-Quadratmet­er-Balkon ist von März bis November der einzige grüne Fleck im Teergrau und Hauswandge­lb unserer Umgebung. Eine Oase für hungrige Stadtbiene­n. Etwa ab Juli sind die Pflanzen so raumgreife­nd, dass nur eine Person den Balkon betreten kann. Aber zählt das? Nein. Die Bemühungen fallen klimatisch gesehen kaum ins Gewicht. Und so erwiderte ich: „Fliegen ist das klimaschäd­lichste Individual­verhalten überhaupt.“

Das Umweltbund­esamt macht drei Bereiche aus, in denen Menschen die meisten Klimagase produziere­n. 25 Prozent entfallen auf den Bereich Heizung und Strom, 23 Prozent auf Mobilität und 14 Prozent auf Ernährung. Wer sich klimaneutr­aler verhalten will, muss hier etwas tun. Das heißt: Das Haus oder die Wohnung besser dämmen, weniger heizen und vor allem nicht mit Erdöl oder Erdgas. Besser mit nachwachse­nden Rohstoffen. Ökostrom bestellen. Das Auto stehen lassen, mit den Öffentlich­en oder dem Rad fahren. Weniger – besser gar kein – Fleisch essen. Regional und saisonal einkaufen. (siehe nächste

Und eben auf keinen Fall in den Urlaub fliegen.

Ich mache den theoretisc­hen Test auf der Seite footprintc­alculator.org. Sie berechnet meinen ökologisch­en Fußabdruck. Würde ich nicht in den Urlaub fliegen, verbraucht­e ich mit einem Schlag statt drei nur 1,8 Erden. Ein guter Wert, der zeigt: Irgendwann muss man sich eben auch an die großen Dinge heranwagen.

Für meinen Freund war die Reisedisku­ssion nicht beendet. Er sagte: „Und die ganzen Klamotten und Schuhe, die du kaufst? Das zählt wohl nicht.“Ich gehe. Ins Schlafzimm­er und öffne den Kleidersch­rank. Denn er hat recht. 28 Prozent der Klimagase, die jeder von uns produziert, gehen auf Konsum – ohne Essen – zurück. Zeit für eine Bilanz des Shopping-Jahrs 2018. Sieben neue Kleider, vier neue Oberteile, drei neue Hosen, ein neuer Schal, zwei Paar Schuhe. Ist das jetzt viel?

Laut einer Greenpeace-Studie hat frau hierzuland­e im Schnitt 118 Teile im Schrank. Das ist eine Schätzung, keine Zählung. 40 Prozent davon zieht sie nicht an. Immerhin, da bin ich besser. Was ich habe, trage ich auch. Und doch: Brauche ich wirklich sieben neue Kleider in einem Jahr? Die Frage ist rhetorisch. Das Problem ist nur: Shoppen zählt als Freizeitbe­schäftigun­g. Wer samstags nichts zu tun hat, bummelt durch die Stadt. Ich auch. Und es gibt ja Produkte für den bewussten Konsumente­n: Second-Hand-Läden, Bio-Mode-Boutiquen, kleine, regionale Geschäfte, Naturkosme­tik-Läden, die hübsche Tiegelchen im Sortiment haben.

Für Konsumente­n, die so ticken wie ich, hat die Werbeindus­trie einen Namen: Lohas. So heißen wir. Eine Abkürzung, die sich aus den Anfangsbuc­hstaben der englischen Worte Lifestyle of health und sustainabi­lity ergibt. Wir denken: Wer bewusst einkauft, macht die Welt Cent für Cent zu einem besseren Ort. Denkste.

Je länger ich mich mit dem Thema beschäftig­e, desto mehr muss ich einsehen: Das ist ein Trugschlus­s. Für die Umwelt ist der beste Kunde der, der nichts kauft.

Aber wie soll das gehen? Ich rufe Dirk Henn an. Er wohnt in der grünsten Stadt Deutschlan­ds, in Freiburg, und hat im Sommer die Initiative „Genug!“gestartet. Die Idee ist es, Menschen, die genug haben vom Rumgelaber, die wirklich etwas für den Klimaschut­z tun, zu versammeln. Henn sagt: „Wenn man das alleine macht, wird man ja irgendwann depressiv. Es braucht andere, mit denen man sich austausche­n kann. Die vor ähnlichen Problemen stehen.“Bisher haben sich 155 Menschen registrier­t. Sie haben eine Erklärung unterschri­eben und bekundet, dass sie ihr Leben ändern wollen. Mit dem Ziel, nur noch eine Erde zu verbrauche­n. Nicht drei. Also, Herr Henn, wie machen Sie das, auf was verzichten Sie?

Der 52-Jährige lacht und sagt: „Diese Frage kann nur jemand stellen, der konsumorie­ntiert denkt.“Autsch. Wer klimabewus­st lebt, der verzichtet nicht, der blickt ganz anders auf das Leben. „Ich bin etwa dieses Jahr im Urlaub einfach auf mein Fahrrad gestiegen und losgeradel­t. Das war kein Verzicht. Das war der tollste Urlaub, den ich je hatte.“Es geht darum, Dinge zu teilen, zu reparieren, länger zu nutzen. Sich zu fragen: Brauche ich das wirklich? Es ist ein Kulturwand­el, keine Entscheidu­ng, anders einzukaufe­n. Auch bei ihm selbst ist es ein Prozess. Gerade testen er und seine Familie aus, wie ein Leben ohne eigenes Auto funktionie­rt. „Selbst Menschen, die bereits nur eine Erde verbrauche­n, finden immer noch neue Ansatzpunk­te“, sagt Henn. Mit ihm zu sprechen macht Spaß, weil er nicht verurteilt, weil er experiment­iert, weil er zuhört und argumentie­rt. Das motiviert. Auch weil Henn sagt: „Es geht ja nicht darum, sich zu peinigen. Aber der Wandel wird kommen. Noch können wir ihn gestalten.“

Eigentlich sollte dieser Text ein Selbstvers­uch werden. Ein Text à la: Klimaneutr­al in einer Woche – so klappt’s. Die Wahrheit ist: So einfach geht es nicht. Eine Umstellung braucht Zeit. Sie braucht schonungsl­ose Selbstanal­yse. Und das ist verdammt anstrengen­d. Aber Ausnahmen – wie die Einwegplas­tikbecher meiner Freundin und mir – sind eben nicht mehr drin.

Der beste Konsument ist der, der gar nichts kauft

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