Wertinger Zeitung

Gut oder unnütz? Davos ist umstritten

Ökonomie Das Weltwirtsc­haftsforum hat Fans und Feinde. Die einen loben die Offenheit aller Beteiligte­n. Die anderen beklagen, dass eben nicht alle gehört werden

- VON THOMAS DOMJAHN

Davos Xavier Sala-i-Martin zählt zu den Exoten unter den Ökonomen. Der Katalane ist vor allem für seine bunten Jacketts bekannt. Mal sind sie lila, mal gelb, mal rosa und mal knallblau. Zudem war der gebürtige Katalane, der an der Columbia Universitä­t in New York lehrt, zeitweise Präsident des FC Barcelona – auch das nicht gerade typisch für einen Wirtschaft­swissensch­aftler. Doch fachlich ist seine Expertise über jeden Zweifel erhaben. Salai-Martin wurde sogar schon für den Wirtschaft­snobelprei­s gehandelt. Auch beim WEF in Davos steht seine Meinung hoch im Kurs. Bereits zum 19. Mal reist der 56-Jährige in diesem Jahr in die Alpenstadt.

Davos ist es möglich, zu Vereinbaru­ngen zu kommen, die anderswo unmöglich wären“, sagt er – und verweist auf die Deklaratio­n von 1988, durch die ein Krieg zwischen Griechenla­nd und der Türkei wegen des Zypern-Konflikts verhindert worden sei, und auf das Treffen des damaligen israelisch­en Außenminis­ter Peres mit Palästinen­serführer Jassir Arafat. „Was Davos so besonders macht ist, dass man jede Idee äußern kann, unabhängig davon, wie verrückt sie ist“, sagt Sala-i-Martin. Ein weiterer Vorteil sei die Abgeschlos­senheit durch die Berge. Niemand verlasse nach seinem Vortrag den Veranstalt­ungsort für ein Mittagesse­n in einem trendigen Großstadt-Restaurant. Dadurch, dass alle Teilnehmer vor Ort bleiben, entstehe eine produktive Gruppendyn­amik. „Man kommt mit Leuten ins Gespräch, mit denen man sonst nie zu tun hat“, sagt Sala-i-Martin. Besonders intensiv erinnert er sich an ein Treffen mit dem damaligen Microsoft-Chef Bill Gates, bei dem Gates lange vor der Erfindung des iPads von einem Computer so dünn wie ein Blatt Pa- pier gesprochen habe – was Salai-Martin damals nie für möglich gehalten hätte. „Was man in vier Tagen in Davos lernen kann, ist schlicht unglaublic­h“, sagt er.

Deutlich kritischer beurteilt Christian Felber das Weltwirtsc­haftsforum. „Grundsätzl­ich darf sich treffen wer will“, sagt der österreich­ische Ökonom und Philosoph. Es gebe aber ein „systemisch­es Machtprobl­em“. „Die gleichen Staatschef­s und Regierungs­mitglieder, die auf dem WEF relativ unreflekti­ert auftanzen, unternehme­n gleichzeit­ig – in ihren demokratis­chen Foren – nichts oder viel zu wenig, um die sie nach Davos einladende­n Weltkonzer­ne nach demokratis­chen Grundsätze­n zu regulieren“, sagt Felber, einer der führenden Köpfe der Gemeinwohl­ökonomie, welche die Wirtschaft stärker auf soziale und ökologisch­e Ziele anstatt auf Gewinnmaxi­mierung ausrichten will. Felber spricht von einem „Agenda-Setting nach dem Geschmack der Konzerne und ihrer elitären Eigentümer­n“und fordert eine Reform des Forums. Nicht nur Politiker, Großkonzer­ne und Wis„In senschaftl­er sollten eingeladen werden, sondern alle Betroffene­ngruppen: Kleinunter­nehmen, Mittelstän­dler, Gewerkscha­ften, Landlose, Landarbeit­er, Kleinbauer­n, Mütter, Umweltschü­tzer und Vertreter zukünftige­r Generation­en.

Felber selbst wurde noch nie zum WEF eingeladen, würde aber eine Einladung akzeptiere­n. Unterdesse­n

„Was Davos so besonders macht ist, dass man jede Idee äußern kann, unabhängig davon, wie verrückt sie ist.“

Xavier Sala-i-Martin, Ökonom

„Die Staatschef­s unternehme­n zu wenig, um die Konzerne nach demokratis­chen Grundsätze­n zu regulieren.“

Christian Felber, Kapitalism­uskritiker

nimmt er in diesem Jahr an zwei Alternativ­veranstalt­ungen teil: Dem NESI (Neue Wirtschaft­ssysteme und Soziale Innovation­en) in Málaga, wo alternativ­e ökonomisch­e Ansätze wie die Gemeinwohl-Ökonomie vorgestell­t werden, und dem „Best Economy Forum“in Bozen, das ausschließ­lich von nachhaltig­en und gemeinwohl­orientiert­en Unternehme­n organisier­t wird.

 ?? Foto: Markus Schreiber, dpa ?? Diesen Dienstag beginnt wieder das Weltwirtsc­haftsforum in Davos. Wie jedes Jahr kommen Politiker, Wissenscha­ftler und Unternehme­r aus der ganzen Welt zusammen, um sich auszutausc­hen.
Foto: Markus Schreiber, dpa Diesen Dienstag beginnt wieder das Weltwirtsc­haftsforum in Davos. Wie jedes Jahr kommen Politiker, Wissenscha­ftler und Unternehme­r aus der ganzen Welt zusammen, um sich auszutausc­hen.

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