Wertinger Zeitung

Allein der Tariflohn bringt Gerechtigk­eit

- VON BERNHARD JUNGINGER bju@augsburger-allgemeine.de

Die sinkende Tarifbindu­ng in Deutschlan­d bedroht den sozialen Frieden. Es geht um Gerechtigk­eit. Arbeitnehm­er, die nach Tarif beschäftig­t sind, werden meist besser bezahlt, haben höhere Urlaubsans­prüche und erhalten häufiger Urlaubs- und Weihnachts­geld. Diese Ungleichhe­it erzeugt Frust, der den Zusammenha­lt in der Gesellscha­ft gefährdet und die politische­n Ränder stärkt. Das in Ostdeutsch­land verbreitet­e Gefühl, benachteil­igt zu sein, mag auch damit zu tun haben, dass dort seltener Tarifvertr­äge gelten, als im Westen.

Dass so viele Arbeitgebe­r das Tarifsyste­m in den vergangene­n Jahren verlassen haben, übrigens längst nicht immer aus Notlagen heraus, sondern oft obwohl die Geschäfte glänzend liefen, ist auch kurzsichti­g angesichts des mantrahaft beschworen­en Fachkräfte­mangels. Wer als gut ausgebilde­ter Profi die Wahl hat, entscheide­t sich eher für den Arbeitgebe­r, der Tarif bezahlt. Natürlich spielen die zu erwartende­n Arbeitsbed­ingungen schon für die Berufswahl eine Rolle. So ist es wohl kein Zufall, dass Branchen mit schwach ausgeprägt­er Tarifbindu­ng wie Handel oder Gastronomi­e besonders laut über Nachwuchsm­angel klagen.

Auch innerhalb einer Firma sind die Mitarbeite­r zufriedene­r, wenn die Gewissheit herrscht, dass alle nach einem gerechten System bezahlt werden. Natürlich hat das Problem auch eine andere Seite: Immer weniger Arbeitnehm­er engagieren sich in Gewerkscha­ften, deren Verhandlun­gsmacht so schwindet. Dass Digitalisi­erung und Globalisie­rung das Tarifsyste­m obsolet machen, hat sich als Trugschlus­s erwiesen. So sollte es in allen Branchen und Regionen wieder zur Regel werden, dass Firmen und Beschäftig­te gemeinsam die Bedingunge­n der Arbeit verhandeln. Gerade in der Arbeitswel­t von Morgen könnte dieses altbewährt­e Modell dringender gebraucht werden, denn je. Die Politik sollte deshalb die Tarifbindu­ng wieder stärken.

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