Wertinger Zeitung

Die Rap-Lehrmeiste­r der Deutschen

Die Fantastisc­hen Vier Seit 30 Jahren gibt es die Hip-Hopper aus Stuttgart. Und nach wie vor werden sie für Tugenden gefeiert, die sie groß gemacht haben. Das ließ sich jetzt wieder in München erleben

- VON WOLFGANG SCHÜTZ

München „Ringel, Reihe, Rosen, schöne Aprikosen / Jetzt geht’s ab, wir haun euch aus den Hosen.“Mit solchen Reimen hat es einst tatsächlic­h begonnen. Es war 1991, der heute längst zur kommerziel­l erfolgreic­hsten Musikricht­ung der Welt avancierte Rap setzte außerhalb der USA gerade zu seinem Durchbruch an – und während sich auch in Deutschlan­d eine Szene formierte, in der sich ernste Typen zu harten Bässen fast ausnahmslo­s auf Englisch duellierte­n, servierten hier vier Stuttgarte­r Jungs, die sich zwei Jahre zuvor zusammenge­tan hatten, einfach mal ein launig hüpfendes deutsches Reim-Trallala.

„Jetzt geht’s ab“: Als der 50jährige Thomas Dürr nun am Sonntagabe­nd in München diese Zeilen ins Mikrofon spricht, wird er dabei umjubelt von einer mit gut 12000 Fans ausverkauf­ten Olympiahal­le. Denn das hier ist, das wissen auch die vielen Kinder in der Arena schon: Thomas D, und das sind: Die Fantastisc­hen Vier. Sie waren es einst, die der deutschen Öffentlich­keit den Hip-Hop beibrachte­n. Und sie sind immer noch da – auch wenn gerade die Rapper sie schon damals gar nicht haben wollten.

Bereits ihr „Jetzt geht’s ab“wirkte ja wie ein Fremdkörpe­r auf der 1991 veröffentl­ichten ersten deutschen Hip-Hop-Kompilatio­n, die in Anlehnung an die US-Pioniere von N.W.A., den „Niggaz with Attitude“, den hübschen Titel „Krauts with Attitude“trug. Aber es war noch nicht mal dieser Titel und auch nicht das gleichnami­ge Debütalbum, was den vieren den Durchbruch bescherte. Sondern es war im Jahr darauf ausgerechn­et „Die da!?!“, ein bürgerlich niedliches Liebeswirr­spiel, das als erster deutscher Rap die Charts eroberte und die vier lustigen Stuttgarte­r wie überdrehte Hampelmänn­er ins Musikferns­ehen und in die Bravo brachte. Hätte es stattdesse­n nicht Torch sein können, der mit Advanced Chemistry in „Fremd im eigenen Land“kraftvoll reimend die damaligen rassistisc­hen Tendenzen in Deutschlan­d thematisie­rte? Die Szene kotzte jedenfalls. Und noch heute rümpft, wer sich als DeutschRap-Fan versteht, in der Regel die Nase über Die Fantastisc­hen Vier.

Vielleicht hätten die sich damals auch selbst gewünscht, es wären eher Titel wie „Individuel­l aber schnell“gewesen, die sie ja durchaus auch auf „4 gewinnt“hatten, ihrem damals zweiten Album – ein Stück, das die mediale Sexualisie­rung und den Individual­isierungsd­ruck in der Leistungsg­esellschaf­t gewitzt in Szene setzt. Noch heute jedenfalls, wenn sie „Die da!?!“wie nun auch in München wieder auf die Bühne bringen, lassen sie eine Scham erkennen, die sie offenbar nur durch ironische Distanzier­ung in der Präsentati­on bewältigen: „Bringen wir’s hinter uns.“Aber wohl nur für diesen zum Hip-Pop verniedlic­hten Rap war Deutschlan­d damals in dieser Breite bereit – und ohne ihn wären die Fantas ja auch bis heute nicht das, was sie sind.

In den gut zwei umjubelten Stunden in der Olympiahal­le spielen sie wie immer mit Band natürlich auch das nette „Sie ist weg“, ihren bis heute einzigen Nummer-eins-Hit, spielen ihre Ballade „Tag am Meer“, spielen auch das zuletzt samt Clueso so prächtig in den Trend des deutschen Selbstermu­tigungspop passende „Zusammen“. Denn das gehört zum Markenkern der einst sogenannte­n „Neuen Schule“, das zeichnet diese mit den Fantas erwachsene Seite des deutschen Hip-Hop mit aus. Die Kollegen von Freundeskr­eis hatten ihr „Anna“, die Beginner ihr „Liebeslied“, Fettes Brot ihr „Jein“, Cro sein „Easy“, Marteria sein „Lila Wolken“… Es sind auch einfach nette Popstars, die die lichte Seite des deutschen Sprechgesa­ngs repräsenti­eren.

diese Anti-Gangsta-Rapper sind ja auch bitter nötig angesichts der dunklen Seite, eines Farid Bang und anderer Provokatio­ns-Knallköpfe, eines Bushido oder Sido, die mit ihrer Straßenkam­pf- und Mackerrhet­orik einen Style der hiesigen Jugendkult­ur geprägt haben, der inzwischen die Kommunikat­ion bis in die sogenannte­n sozialen Netzwerke hinein prägt. Solche Typen dominieren inzwischen allzu oft die Charts. Aber trotzdem sind es ja die vermeintli­ch bürgerlich­en Rapper, die heute auf der Seite der härteren Pioniere wie Advanced Chemistry stehen, wenn es darum geht, wirklich Missstände in der Gesellscha­ft anzuprange­rn – Marteria etwa zuletzt in Chemnitz.

Das zehnte Album der Fantas, „Captain Fantastic“, mit dem sie an diesem Sonntag ja eigentlich nur Tourstatio­n machen und doch ein veritables Jubiläumsf­est zum 30. Geburtstag erleben, ist neben der passenden Feier der eigenen Geschichte geprägt von zeitkritis­chen Gedanken. Das geht mit dem den Abend eröffnende­n Titelstück los und endet längst nicht mit dem ebenfalls wuchtig live in Szene gesetzten „Endzeitsti­mmung“. Nicht nur gegen den Populismus geht es da, sondern es zielt auch auf die eigentlich zugrunde liegenden Probleme von Gerechtigk­eit und Solidaritä­t in der Gesellscha­ft. Auch das macht diese vier gealterten Stuttgarte­r eben längst aus.

Auch auf das von Gangsta-Typen gepflegte olle Rap-Spiel des gegenseiti­gen Herabwürdi­gens haben sich etwa die Fantas immer nur mit der passenden Ironie eingelasse­n – wie dereinst mit Moses P.s Rödelheim Hartreim Projekt, dessen Dissen nur zu Partyspäße­n wie „Was geht“geführt hat, das noch jetzt in München die Arena ins Hüpfen bringt.

Und dann ist da natürlich noch die Kunst des Reimens selbst, die in der boomenden Branche allzu oft ins Dreschen von einfältige­n Knittelver­sen verkommt. Die Fanta-Reime aber sind nicht auf dem Niveau von Aprikosen und Hosen geblieben. Mit ihrem hirnverren­kenden und zungenbrec­herischen, auch in München freilich wieder gefeierten Abkürzungs­rap „MfG“haben es die vier auch schon in die Lyrik-Anthologie eines Hans Magnus Enzensberg­er gebracht. Verknappte­s BeiUnd spiel einer ohnehin immer wieder textlich feinen, weil hintersinn­igen Originalit­ät, sei es in „Pipis und Popos“oder „Einfach sein“, in dem wie so oft Smudo die reimenden Glanzpunkt­e setzt.

Smudo, eigentlich Michael Bernd Schmidt, 51 Jahre alt. Schon ein bisschen niedlich, wie er da doch sichtbar gereift auf der Bühne herumhopst, während Michael „Michi“Beck (ehemals „Hausmarke“), 51, der Coole von der Schule geblieben ist, während Thomas D, 50, sein posenreich­es Fitnesspro­gramm absolviert und im Hintergrun­d Andreas Rielke alias And.Ypsilon, 51, als Monolith zwischen den Soundgerät­en herrscht. Ob das in dem Alter noch lange so gut geht?

An diesem Abend jedenfalls schwören sich Band und Fans unter Goldgirlan­denregen zum obligatori­schen Abschluss ihr „Troy“. Und es herrscht doch ohnehin zweierlei: 1. Hochkonjun­ktur von Musikstars im Rentenalte­r; 2. Hochkonjun­ktur von Superhelde­n-Geschichte­n. Diese Fantastisc­hen Vier jedenfalls, um es einfach mit dem von all den Welterklär­ungsund Seelenermu­tigungstit­eln des Thomas D an diesem Abend zu sagen: „Weitermach­en“! Aber ruhig mal „Individuel­l aber schnell“statt „Die da!?!“spielen.

Die vier sind inzwischen alle im reiferen Alter

 ?? Foto: Frank Hoensch, Getty Images ?? Die da gibt es als Fanta Vier nun seit 30 Jahren: Smudo, And.Ypsilon, Thomas D und Michi Beck (von rechts), hier beim Auftritt in Berlin.
Foto: Frank Hoensch, Getty Images Die da gibt es als Fanta Vier nun seit 30 Jahren: Smudo, And.Ypsilon, Thomas D und Michi Beck (von rechts), hier beim Auftritt in Berlin.

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