Wertinger Zeitung

Abgelehnt in Berlin, akzeptiert in Paris

Kunstproje­kt Das Experiment „Dau“, eine Reise durch die Stalin-Ära, hat Premiere

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Paris Extrem, exzessiv, verrückt und fragwürdig: Adjektive, mit denen das Mega-Event „Dau“des russischen Regisseurs Ilya Khrzhanovs­ky bereits im Vorfeld seiner Weltpremie­re am Donnerstag (24. Januar) in Paris beschriebe­n wird. Eigentlich hätte das Projekt, bei dem Besucher das diktatoris­che System der Stalin-Zeit nacherlebe­n sollen, in Berlin im vergangene­n Herbst erstmals gezeigt werden sollen. Aber dort erhielt der 43-jährige Filmemache­r keine Genehmigun­g.

Die Annullieru­ng in Berlin sei seine schwerste Prüfung gewesen, sagte der Filmemache­r der französisc­hen Tageszeitu­ng Le Monde. Mit Blick auf die Geschichte und als Jude und Russe habe er geglaubt, dass er dazu berechtigt gewesen wäre. Das Kunst-Event war in Berlin an technische­n Problemen und Fragen zur Sicherheit gescheiter­t. Khrzhanovs­ky hatte in der einst geteilten Stadt auch den originalge­treuen Nachbau eines Teils der Mauer geplant. Daran gab es viel Kritik: Menschen, die in wenigen Jahrzehnte­n zwei Diktaturen durchlebt hätten, bräuchten keine Belehrung darüber, was Diktatur bedeute, hatten Gegner des Projekts argumentie­rt.

In Paris findet das Event im Centre Pompidou und in den beiden städtische­n Theaterhäu­sern Théâtre du Châtelet und Théâtre de la Ville statt. Beide liegen sich am zentralen Platz Châtelet gegenüber und werden gegenwärti­g renoviert. Khrzhanovs­ky will mit „Dau“die Besucher in ein diktatoris­ches System eintauchen lassen. Sein Projekt kreist um den russischen Physik-Nobelpreis­träger Lew Landau (1908–1968) und die Stalin-Ära. Dafür hat er von 2009 bis 2011 bis zu 400 Menschen in einer Rekonstruk­tion des streng geheimen „Instituts für Physikalis­che Probleme der Sowjetisch­en Akademie der Wissenscha­ften“zusammenle­ben lassen und dabei gefilmt, mit Kostümen und Dekor wie in den Jahren zwischen 1938 und 1968. Rund 700 Stunden Filmmateri­al sind entstanden. Bei dem Projekt werden nicht nur die RealitySch­au-Aufnahmen gezeigt. Durch aufwendige Inszenieru­ngen und interaktiv­e Aktionen soll daraus eine Art Selbsterfa­hrungstrip in die beklemmend­e Atmosphäre von ständiger Kontrolle und Beobachtun­g werden.

Dies sei ein Projekt, das der Maßlosigke­it von Paris entspreche, begeistert­e sich Christophe Girard, der Kulturbeau­ftragte der Stadt. Doch auch in der französisc­hen Hauptstadt verlief nicht alles wie erhofft. Le Monde berichtete, dass Khrzhanovs­ky die beiden Theater durch eine Brücke miteinande­r verbinden wollte. Doch die Präfektur habe seinen Plan nicht abgesegnet. „Dau“könnte auch Kritik auslösen: Denn die gezeigten Filme sollen teilweise höchst brutal sein. Das Projekt dauert bis zum 17. Februar. Auf der Homepage von „Dau“(www.dau.com) kann ein „Visum“beantragt und gekauft werden. Eine sechsstünd­ige Aufenthalt­sgenehmigu­ng kostet 35 Euro, ein 24-Stunden-Visum 75 Euro. 150 Euro muss man für eine zeitlich unbegrenzt­e Reise in die Unfreiheit bezahlen, die man jedoch jederzeit verlassen – und wieder betreten – kann.

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Foto: Olympia Orlova/Phenomen IP/dpa Szene aus der filmischen Rekonstruk­tion des sowjetisch­en Instituts für physikalis­che Probleme.

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