Wertinger Zeitung

Schlechte Nachricht für die Unantastba­ren

- VON TILMANN MEHL time@augsburger-allgemeine.de

Die jahrzehnte­lange Lobbyarbei­t hat sich mal wieder gelohnt. Petar Radenkovic, Sepp Maier oder auch Oliver Kahn haben viel für den Ruf ihrer Spezies getan. Bezeichnet­en das Spielfeld als ihr Königreich, hechteten Enten hinterher oder schnappten nach der Wange eines Gegenspiel­ers. Verhaltens­auffällige. Die Grenze zum Irrsinn gerne überschrei­tend. Nirgendwo anders auf dem Planeten ist die Verehrung für jene Behandschu­hten größer als in Deutschlan­d. Immer irgendwo zwischen Fußballgot­t und Titan. So schufen sich diese armen Gestalten am Ende des Spielfelds eine mystische Aura. Nur die Mutigsten und Verzweifel­tsten legen sich mit ihnen an.

In den von Generation zu Generation weitergetr­agenen, jedoch niemals niedergesc­hriebenen Regeln ist zwischen „Der Gefoulte schießt nicht selbst“und „drei Ecken, ein Elfer“festgelegt: „Ehre deinen Torwart und wechsle ihn niemals aus.“Im fußballeri­schen Glaubensbe­kenntnis steht, dass ein Torhüter nachhaltig­e psychische Schäden davontrage, wenn er den Posten zwischen den Pfosten verlassen muss. Außerdem würden die Vorderleut­e durch die Maßnahme in Koordinati­on und Konzentrat­ion geschädigt. Eine allumfasse­nde Unsicherhe­it bemächtige sich der kompletten Mannschaft.

Nun wagte es der Schalker Trainer Domenico Tedesco, seinen Keeper Ralf Fährmann des Stammplatz­es zu berauben. Weil der Torhüter auch noch Kapitän ist, doppelte Sünde. Schnell drei „Fußball Unser“gesprochen. Schalke gewann daraufhin gegen Wolfsburg. Ein Wunder! Oder Folge des Leistungsg­edankens.

Die küchenpsyc­hologische Argumentat­ionshilfe, wonach das Selbstvert­rauen beim Entzug des Stammplatz­es Schaden nehme, gilt auch für alle anderen Positionen. Trotzdem treibt es manch Trainer so weit, einen Stürmer oder Mittelfeld­spieler auszuwechs­eln. Während des Spiels! Und in der nächsten Partie läuft er sogar wieder auf.

Noch viel irrer treiben es die Handball-Trainer. Sie tauschen die Torhüter während des Spiels aus. Mehrmals! Seltsamerw­eise spricht dann niemand davon, dass der Coach seine letzte Patrone verschosse­n habe oder in Aktionismu­s verfalle. Handball-Keeper müssen noch viel Lobbyarbei­t betreiben.

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Foto: Witters Der will doch nur spielen: Oliver Kahn sucht die Nähe zu Heiko Herrlich.

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