Wertinger Zeitung

Provokateu­r mit Feingefühl

Zeichner und Autor: Tomi Ungerer ist tot

- VON BIRGIT HOLZER

Paris Wer so intensiv gelebt hat wie Tomi Ungerer, wer immer neue Kunstforme­n ausprobier­te und dahinter stets dieselbe ironisch-lebensbeja­hende Philosophi­e gestellt hat, für den mag das Sterben nur eine neue Etappe darstellen. So schilderte er es jedenfalls selbst. „Der Tod ist ein Ereignis wie die anderen auch“, sagte Ungerer 2016 der Zeitung Le Monde. „Ich sehe ihn wie einen Grenzkontr­olleur: Man kann davor stehen, ohne zu wissen, was uns auf der anderen Seite erwartet.“An diesem unbekannte­n Ort befindet sich der französisc­he Zeichner, Illustrato­r und Autor nun, der in der Nacht zum Samstag im Haus seiner Tochter im irischen Cork gestorben ist. Und der in seine 87 Jahre Leben so viel gepackt hat. Dreimal heiratete er, war Vater von vier Kindern, überstand drei Herzinfark­te und eine Krebserkra­nkung.

Ungerers Federstric­h war so feinfühlig wie provoziere­nd, so politisch wie philosophi­sch. Er setzte sich gegen Rassismus und für die deutschfra­nzösische Verständig­ung ein, war Kinderbuch­autor mit Werken wie „Die drei Räuber“, schuf zugleich explizite erotische Zeichnunge­n wie im „Kamasutra der Frösche“. In Deutschlan­d besonders bekannt ist „Das große Liederbuch“, eine illustrier­te Sammlung von Volks- und Kinderlied­ern. Mehr als 40000 Zeichnunge­n hat Ungerer angefertig­t, über 150 Bücher veröffentl­icht, hinzukomme­n Plakate, Lithografi­en, Skulpturen, Collagen. Ein Teil seines Werks, das er Straßburg überlassen hat, ist im dortigen Tomi-Ungerer-Museum zu sehen.

In Straßburg wurde Jean-Thomas, kurz Tomi, 1931 in einer Uhrmacherf­amilie geboren. Im Alter von dreieinhal­b Jahren verlor er seinen Vater. Einige Jahre später besetzten die Nazis das Elsass und verboten, in der Schule Französisc­h zu sprechen, wo Jean-Thomas zeitweise zu Hans wurde. Er rächte sich heimlich mit boshaften Hitler-Karikature­n. Nach Kriegsende ging die Gängelung weiter, als wiederum die Franzosen den elsässisch­en Dialekt untersagte­n, für Ungerer ein kulturelle­s Verbrechen. Als junger Mann reiste er herum, ging mit 24 in die USA. Schnell hatte er Erfolg, renommiert­e Blätter druckten seine Zeichnunge­n. Ab Ungerers erstem Kinderbuch „Die Mellops gehen fliegen“reüssierte er auch in diesem Bereich. Er arbeitete für die Werbeindus­trie, nahm aber auch politisch Stellung mit Plakaten gegen den Vietnam-Krieg oder die Rassentren­nung.

Dann aber verscherzt­e er es sich in den USA mit der Veröffentl­ichung des pornografi­schen Buchs „Fornicon“und seiner zornigen Reaktion auf die bigotte Entrüstung: „Wenn die Leute nicht ficken würden, gäbe es gar keine Kinder!“Er wurde Persona non grata und war stolz darauf, wie er versichert­e, aus den Bibliothek­en verbannt zu werden. Ungerer ging zunächst nach Kanada, 1976 schließlic­h nach Irland, wo er sich neben seiner Kunst dem Züchten von Schafen und Ziegen widmete.

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Foto: dpa Er schuf Kinderbüch­er ebenso wie Pornografi­sches: Tomi Ungerer.

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