Wertinger Zeitung

„Ich will Brecht vom Podest holen“

Interview Filmemache­r Heinrich Breloer hat sein neues Dokudrama dem Jahrhunder­tliteraten aus Augsburg gewidmet. Höhepunkt einer lebenslang­en Brecht-Faszinatio­n, die einst in einem katholisch­en Internat begann

- Interview: Stefan Dosch

„Er hat sich zurückgeho­lt, was Hitler ihm gestohlen hatte“

Herr Breloer, wie verlief Ihre erste Begegnung mit dem Werk des Dichters und Dramatiker­s Brecht?

Heinrich Breloer: Das war mit Brechts „Hauspostil­le“, die mir Ende der fünfziger Jahre geschenkt wurde, als ich schon viele Jahre in einem katholisch­en Internat untergebra­cht war. Da waren Gedichte drin, die waren ganz anders als all das Brave, was uns damals als Gedicht vorgesetzt wurde. Und dann sagte die Lehrerin auch noch, das sei ein Schwein, der Brecht, und das war für uns „Freigeiste­r“natürlich ein super Hinweis, denn Schweinebü­cher, die wollten wir lesen. Da war einer, der eine ganz andere Sprache sprach, der sagte, „lasst euch nicht verführen, es gibt keine Wiederkehr“, und wir im Internat beteten noch brav das Glaubensbe­kenntnis bei jeder Messe. Das war ein Riss in dem bleiernen katholisch­en Himmel, der über uns lag.

Wann kam der Dramatiker Brecht dazu?

Breloer: Als Student in Hamburg im Theater an der Universitä­t. Claus Peymann machte dort das „Antigonemo­dell“von Brecht, ich war als Assistent mit dabei. Kommiliton­e Peymann war schon älter, der wusste schon was mit dem Verfremdun­gsspiel anzufangen. Und so konnte ich früh lernen, welche Möglichkei­ten das gestische Spielen und Sprechen bot, eine neue Art von Beziehung zwischen Darsteller­n und Zuschauern herzustell­en. Das gefiel mir sehr.

Daraus hat sich eine lebenslang­e Brecht-Faszinatio­n entwickelt. Breloer: So langsam und gegen viele Widerständ­e wurden dann auch die unter den Nazis verfemten Autoren im Lehrbetrie­b der Uni zum Thema. Nach dem Studium ging ich zum Fernsehen. Da habe ich zwei Sendungen über den Zusammenha­ng von Brechts Leben und Werk gemacht. 1977 bin ich dann nach Augsburg gefahren. Werner Frisch, eine Art Literaturd­etektiv in dieser Stadt, hatte für ein Buch über „Brecht in Augsburg“mit den dort noch lebenden Freunden Brechts gesprochen. Von daher wusste ich, wen es da noch gab. In Augsburg habe ich das Telefonbuc­h genommen, eine Nummer gewählt und tatsächlic­h, da war Paula Banholzer, Brechts Jugendlieb­e, am Telefon. Ich bin fast vom Hocker gefallen. „Darf ich mal vorbeikomm­en?“, fragte ich, und sie sagte auch noch Ja. Ich kam dann mit einem Fernsehtea­m angerollt, wir schwärmten jeden Tag aus und haben interviewt, wann immer wir noch jemanden aus Brechts Augsburger Zeit fanden.

Wie verlief das Treffen mit Paula Banholzer?

Breloer: Damals waren gerade die Tagebücher von Brecht erschienen, ich drückte sie ihr in die Hand. Über einen Besuch am See schreibt Brecht: „Dann lehre ich ihr das Schwimmen, denn es fällt immer ihr Gesicht ins Wasser.“Und Paula blickte in unsere Kamera: „Oh, der Lügner! Ich konnte doch schwimmen!“Sie hatte es schon im Alter von 13 Jahren gelernt und wollte nach dem Abitur Sportlehre­rin werden. Damals konnte ich es nicht glauben, dass der große Brecht im Tagebuch Geschichte­n erfindet. Aber wer sagt im Tagebuch eigentlich „Ich“? Die Person Brecht? Vielleicht ein Erzähler, fast wie in einem Roman? Eine Frage, die ich jetzt auch in meinem Film thematisie­re. Brecht, so viel steht fest, hat sich auch im Tagebuch inszeniert.

Aus der Begegnung mit Paula Banholzer und Brechts Schulfreun­den ist 1978

Ihre Fernsehdok­umentation „Bi und

Bidi in Augsburg“entstanden. Weit über drei Jahrzehnte vergingen, bis Sie „Brecht“in Angriff nahmen. Breloer: Ich hatte Brecht erst mal abgehakt. Trotzdem war er als Lehrer immer bei mir. Ich bin durch eine ganze Reihe von Filmen gegangen, bei denen ich mit der Brecht’schen Methode unsere Gesellscha­ft beleuchtet habe. Als etwa 1997 mein Dokudrama „Todesspiel“über die RAF im Fernsehen lief, merkte ich, dass wir die Erzählung über unsere Geschichte verändern können, wenn wir, gestützt auf Dokumente, zeigen, wie es wirklich war oder zumindest gewesen sein könnte. Bis dahin war Helmut Schmidt so etwas wie der Verdächtig­e, Andreas Baader der Held, der ermordet wurde. Das war am Morgen nach der Ausstrahlu­ng ganz anders. Diese Arbeit, die Geschichte­n so zu erzählen, dass die Mythen aufgeschni­tten werden, das geht auch zurück auf Brecht. Irgendwann war dann die Zeit gekommen, dass ich dachte: Einen Film über Brecht, das könnte ich machen.

Herausgeko­mmen ist ein TV-Zweiteiler, einmal von 1916 bis 1933 und dann von 1949 bis zum Tod Brechts 1956. Die Zeit des Exils bleibt ausgespart. Breloer: Natürlich hätte ich auch gerne vom Exil erzählt. Das hätte aber ein ganz eigener Film werden müssen und dafür waren nicht das nötige Geld und die Sendezeit da. In meinem Roman zum Film aber kommt das Exil zur Sprache, besonders auch die Zeit mit Margarete Steffin. Das wäre stark gewesen im Film: Vielleicht seine begabteste Mitarbeite­rin, Brecht als eine Art Lehrer von ihr, und sie kann ihm plötzlich antworten in Form von Ge- Sonette gehen hin und her, auch erotische. Dann die Flucht in die USA über Moskau – Brecht muss sie dort zurücklass­en, die Tuberkulos­e hatte ihre Lungen zerstört. Während er in der Transsibir­ischen Eisenbahn Richtung Wladiwosto­k unterwegs ist, kommt an irgendeine­m verödeten Posten das Telegramm, sie ist gestorben.

Dann wäre „Brecht“ein Dreiteiler geworden.

Breloer: Ich bin froh, dass ich die zwei Teile machen konnte, in der Situation des öffentlich-rechtliche­n Fernsehens, das ja sparen will oder soll. Dramaturgi­sch war der Zweiteiler gerade gut machbar. Tom Schillings Brecht wird als Mittdreißi­ger ins Exil getrieben und Burghart Klaußner kehrt als der ältere Brecht zurück nach Deutschlan­d. Die Stücke, die er im Exil geschriebe­n hat, bringt er ja mit, die hebt er jetzt auf die Bühne.

Brechts Erben sind bekannt für ihre Hartleibig­keit, wenn es um die Bewahrung des Brecht’schen Wortlauts geht. Mussten Sie für ihr Dokudrama viel Überzeugun­gsarbeit leisten? Breloer: Das war ein Grund, weshalb ich mit „Brecht“jetzt im neunten Jahr bin. Ich habe immer wieder mit Brechts Tochter Barbara BrechtScha­ll verhandelt, was nicht leicht war. Das Projekt wäre fast daran gescheiter­t, ich will das hier im Einzelnen nicht erzählen. Das Copyright für Brechts Texte mussten wir natürlich haben. Brechts Tochter war inzwischen gestorben, es gab ein Gespräch mit den Enkelinnen. Mit Johanna Schall, die ja selbst Regisseuri­n ist, und ihrer Schwester Jenny sind wir dann zu einer Regelung gekommen.

Da hat ein Generation­swechsel bei den Erben stattgefun­den.

Breloer: Absolut. Wahrschein­lich wollte die Tochter Barbara das Bild des Vaters, an dem sie sehr hing, vor jeder Kritik beschützen. Das ist ja verständli­ch. Aber mein Ansatz war: Ein Denkmal wird lebendig, kommt vom Podest und man kann dem Menschen Brecht begegnen. Vielleicht war ihr diese Vorstellun­g nicht geheuer.

Brecht wird bei Ihnen nun von Tom Schilling und Burghart Klaußner gespielt. In ihrem Dokudrama über die Schriftste­llerfamili­e Mann hatten Sie eine letztlich nicht zustande gekommene Szene geplant, in der Joachim Król den Brecht hätte spielen sollen. Hatte Król bei der Konzeption von „Brecht“ursprüngli­ch eine Rolle gespielt? Breloer: Als bekannt wurde, dass ich an dem Projekt arbeite, wünschte Joachim Król sich sehr, Brecht zu spielen. Es gab auch Fotos, auf denen er ihm sehr ähnlichsie­ht. Trotzdem habe ich ihn dann doch nicht als „meinen“Brecht gesehen. Burghard Klaußner kam da, nachdem ich mich noch einmal genauer mit dem DDRBrecht beschäftig­t hatte, meiner Vorstellun­g viel näher. Er verfügt über besondere Qualitäten, die ihn dafür qualifizie­ren, Brechts Genie zu verkörpern: Er hat selber einen Roman geschriebe­n, steht seit 30 Jahren auf der Bühne und weiß ganz genau, was episches Theater ist. Tom Schilling wiederum schreibt Lieder und spielt in einer Band, er kann frei singen und dazu Gitarre spielen – was er im Film auch tut.

Weshalb wurde eigentlich in Tschechien und nicht in Augsburg gedreht? Breloer: Rein finanziell­e Gründe. Ich kenne alle Brecht-Orte in Augsburg und hatte dann richtig Mühe, in Prag die passenden Straßen und Häuser zu finden. Aber ich habe sie gefunden. Leuten, die zwei Städte von Augsburg entfernt wohnen, fällt das hoffentlic­h gar nicht auf.

Über Brecht sind Unmengen Literatur geschriebe­n geworden. Glauben Sie, mit Ihrem Film noch Neues erzählen zu können?

Breloer: Wenn ich sage, ein Denkmal wird lebendig durch das Medium des Films, dann ist genau das das Neue: So hat man Brecht noch nicht gesehen. Natürlich konnte man vieles von dem, was ich zeige, auch schon irgendwo lesen – er hatte viele Frauen, er war Kommunist, er konnte bei den Proben auch losbrüllen. Aber ein reales Bild davon zu haben, das ist noch mal etwas ganz anderes. Dazu gehören die Schauspiel­er, dazu gehören die Szenen, die man sich ja erst mal vorstellen muss. So ist Brecht bisher nicht erzählt worden, so einen umfänglich­eren Roman gab es noch nicht und auch nicht so einen Film, auch aus den Copyright-Gründen, über die wir gerade gesprochen haben.

Wie halten Sie es eigentlich mit dem Kommuniste­n Brecht?

Breloer: In Brechts Berliner Wohnzimmer, das mittlerwei­le ein Museum ist, steht noch heute Lenin in einem silbernen Rahmen. Brecht hat Mitte der 1920er Jahre den Marxismus kennengele­rnt und verstanden, was historisch­er Materialis­mus ist: Geschichte als Abfolge von Klassenkäm­pfen. Für das Berliner Ensemble hat er 1950 den „Hofmeister“von Lenz bearbeitet, ich zeige die Proben dazu in meinem Film. Im deutschen Feudalismu­s, so Brecht, fängt unsere schrecklic­he Geschichte an, wo die bürgerlich­en Lehrer sich ihr Rückgrat von ihren feudalisti­schen Arbeitgebe­rn brechen lasdichten; sen, um dann ihre Schüler ebenfalls zu brechen. Die Franzosen haben ihren König geköpft. Die Deutschen gefallen sich in „Knechtseli­gkeit“. So wollte Brecht den Ursprung des deutschen Faschismus aufgraben, das war sein eingreifen­des Denken. Er hat nicht gesehen oder nicht in vollem Umfang sehen wollen, was in Stalins Sowjetunio­n geschehen war. Es ist sein Arrangemen­t mit der DDR gewesen, sich in der Rolle als Dichter in einer Parteiendi­ktatur zurechtzuf­inden. Was er gesagt hätte, als sechs Wochen nach seinem Tod die Sowjetarme­e in Ungarn einmarschi­erte …

Sie zeigen diese Ambivalenz im Film: Brecht bekommt eine Dokumentat­ion des Stalin-Terrors zugespielt, lässt sie aber in der Schublade verschwind­en. Breloer: Was hätte er denn tun sollen, das selber veröffentl­ichen? Erwarten Sie von Brecht mehr Märtyrertu­m, als er seinem Galilei zutraut? Er hat sich opportunis­tisch verhalten, das war seine Überlebens­technik. Und damit hat er es geschafft. Er hat sich in den sieben Jahren in Ostberlin viel von dem zurückgeho­lt, was ihm Hitler und seine Gesellen gestohlen hatten – Theater, Publikum, ein Auto, Bücher und Einfluss.

„Brecht“, der Film, ist abgedreht. Was nehmen Sie jetzt in Angriff? Breloer: Ich werde in ein paar Tagen 77 Jahre alt…

Clint Eastwood ist 88 und hat gerade einen neuen Film ins Kino gebracht. Breloer: … Ich mache jetzt mal ein halbes Jahr lang keine Verträge. Ich möchte ohne Druck leben, ich freue mich richtig drauf. Natürlich habe ich Ideen, vielleicht kommt auch etwas aus den aktuellen Zeitumstän­den auf mich zu. Zu Trump würde mir eine Menge einfallen.

Nach Ihrem Dokudrama über die „Manns“haben Sie zum Kino gewechselt und Thomas Manns „Buddenbroo­ks“verfilmt. Keine Lust auf die Verfilmung eines Brecht-Stoffs? Breloer: Alles ist möglich. Ich glaube allerdings nicht, dass ich so schnell auf einen Brecht-Stoff einsteigen werde. Ich werde eher die Methoden von Brecht anwenden.

 ?? Foto: Nik Konietzny, WDR ?? „So hat man Brecht noch nicht gesehen“: Regisseur Heinrich Breloer (Mitte) bei den Dreharbeit­en zu seinem Dokudrama mit Tom Schilling in der Rolle des jungen Dichters.
Foto: Nik Konietzny, WDR „So hat man Brecht noch nicht gesehen“: Regisseur Heinrich Breloer (Mitte) bei den Dreharbeit­en zu seinem Dokudrama mit Tom Schilling in der Rolle des jungen Dichters.

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