Wertinger Zeitung

Zu viel Alkohol im Alter

Viele Risikofakt­oren für Abhängigke­it

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Irgendwann, sagt Kurt, habe der Alkohol ständig im Vordergrun­d gestanden. „Das hat viel Kraft gekostet“, sagt der Senior aus dem Raum Ravensburg, der seinen wirklichen Namen nicht nennen möchte. Kraft dafür, immer wieder Gründe zu finden, den Dienst bei der Arbeit zu verkürzen, um schnell in die Kneipe gehen zu können. Um die Sucht vor seinem Arbeitgebe­r zu verbergen.

Doch irgendwann ging es dann nicht mehr. Mit Anfang 60 landet Kurt auf der Intensivst­ation, er hat Krampfanfä­lle. Ihm wird klar: So geht es nicht weiter. Unterstütz­t von seiner Frau geht er in Therapie. Die Gespräche hätten ihm sehr geholfen, sagt Kurt. „Aber auch das hat sehr viel Kraft gekostet.“Seit zwei Jahren ist der 66-Jährige trocken. Über seine frühere Sucht zu reden fällt ihm noch immer sichtlich schwer. Es gebe auch heute noch schlechte Tage, sagt er. „Dann versuche ich einfach, mich abzulenken.“

Nach Angaben der Bundeszent­rale für gesundheit­liche Aufklärung sterben in Deutschlan­d jährlich etwa 40000 Menschen an den Folgen schädliche­n Alkoholkon­sums. Zahlen zu Senioren gibt es nicht. Die Gründe, aus denen ältere Menschen im Alter zur Flasche greifen, seien vielfältig, sagt Heinz Tränkle vom Kreuzbund, einem Fachverban­d des Deutschen Caritas-Verbandes, der Hilfe für Alkohol- und Medikament­enabhängig­e anbietet.

Einsamkeit könne eine Rolle spielen, etwa nach Verlust des Partners. Andere müssten Angehörige pflegen und seien damit überforder­t. „Und bei manchen entsteht eine Art Leere, wenn sie in den Ruhestand gehen“, sagt Tränkle. Zudem falle ein gewisser Druck weg, man müsse im Betrieb nicht mehr funktionie­ren. Tränkle sieht eine Zunahme von Alkoholpro­blemen bei älteren Menschen – allein schon deshalb, weil die Zahl der Senioren steige. „Da kommt noch eine Menge auf uns zu.“Vielen Betroffene­n falle es schwer, sich die Sucht überhaupt einzugeste­hen. „Das ist mit Scham verbunden und fällt einem älteren Menschen vielleicht auch schwerer als jemandem mit 40.“Viele Senioren mit Alkoholpro­blemen sind bereits seit Jahrzehnte­n abhängig.

Auch Kurt: Nach der Schule ging er bei einem Bierbrauer in die Lehre. „Da gab’s viele Feste, wir sind zusammenge­hockt und haben auch ein paar Gläser getrunken. Und irgendwann gewöhnt man sich dran und verträgt immer mehr“, sagt er. Später aber merkte Kurt, dass der Körper schwitzte und die Hände zitterten, dass der Gedanke an Alkohol allgegenwä­rtig wurde. „Ich hab’ getrunken, um wieder funktionie­ren zu können.“Heute ist er überzeugt: „Wenn man seinen inneren Schweinehu­nd überlistet, kann es jeder schaffen.“Das sei vor allem eine Frage der Eigenkontr­olle, sagt der 66-Jährige. Um sich zu schützen, hat er sein Umfeld darüber aufgeklärt, dass er keinen Alkohol mehr trinken darf. Nur die engsten Freunde wissen, was der eigentlich­e Grund dafür ist. „Im Wirtshaus hab ich einfach gesagt, ich hab’s mit dem Herzen.“Kathrin Drinkuth, dpa

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Foto: Hendrik Schmid, dpa Ein gesellscha­ftliches Problem: Alkoholsuc­ht im Alter.

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