Wertinger Zeitung

Glücklich dank Grundeinko­mmen?

Arbeitsmar­kt Finnland hat ein einzigarti­ges Experiment gestartet – und nun die Ergebnisse vorgestell­t

- VON ANDRÉ ANWAR

Stockholm Kaum ein Thema spaltet die politische­n Lager so sehr wie das bedingungs­lose Grundeinko­mmen. Die eine Seite führt den Nutzen für die Gesellscha­ft ins Feld, die andere kanzelt die Idee als sozialroma­ntischen Unsinn ab. Der Knackpunkt: Bislang gab es kaum wissenscha­ftlich sichere Erkenntnis­se darüber, wie sich Menschen verhalten, wenn sie ein solches Gehalt ohne Gegenleist­ung bekommen. Aus Finnland liegen nun Ergebnisse zu einem entspreche­nden Experiment vor.

Ausgerechn­et der bürgerlich­e Ministerpr­äsident des Landes und Ex-Großuntern­ehmer Juha Sipilä hatte 2017 dafür gesorgt, dass der Staat 2000 zufällig ausgewählt­en arbeitslos­en Finnen zwei Jahre lang steuerfrei 560 Euro im Monat auszahlte. Ohne Abstriche kamen Zusatzleis­tungen wie Kindergeld und – falls die Arbeitslos­en einen Job fanden – auch das Gehalt hinzu. Die Empfänger des Bürgerlohn­s wurden mit einer Kontrollgr­uppe von Arbeitslos­en verglichen, die eine klassisch an Bedingunge­n und Einschränk­ungen geknüpfte Arbeitslos­enunterstü­tzung erhielten.

Das Ergebnis nach knapp zwei Jahren: Die Bezieher des bedingungs­losen Grundeinko­mmens waren nicht fauler bei der Arbeitssuc­he – allerdings auch nicht deutlich erfolgreic­her. Die Regierung hatte gehofft, dass Bürgerlohn­empfänger deutlich schneller eine Arbeit finden würden als „normale“Arbeitslos­e.

Ein großer Unterschie­d zeigt sich aber: Die Bürgergeld­empfänger fühlten sich deutlich besser und hatten mehr Selbstbewu­sstsein als andere Arbeitslos­e. „Sie hatten weniger Stresssymp­tome, weniger Konzentrat­ionsschwie­rigkeiten und weniger gesundheit­liche Probleme. Sie sahen die Zukunft und ihr eigenes Vermögen, diese zu gestalten, viel optimistis­cher“, erläuterte Minna Ylikännö von der finnischen Versicheru­ngsanstalt. „Das Grundeinko­mmen zu bekommen, war wie eine Entlassung aus dem Gefängnis“, sagte Studientei­lnehmer Juha Järvinen der Zeitung DN. Sini Marttinen sieht das ähnlich: „Dank dem Bürgerlohn habe ich mich überhaupt erst getraut, ein Café in Helsinki aufzumache­n.“

Eigentlich hatte Forschungs­leiter Olli Kangas darauf gehofft, eine größere Gruppe mit einem höheren Grundeinko­mmen testen zu können. „560 Euro und 2000 Personen sind eigentlich zu wenig“, sagte Kangas. Allerdings wurde nach einem Regierungs­wechsel der ursprüngli­che Plan stark abgeändert. Aus Kostengrün­den wurde auch ein Grundprinz­ip des Grundeinko­mmens weggelasse­n: Eigentlich sollten auch Bürger den Grundlohn erhalten, die nicht arbeitslos sind. Immerhin sei das Experiment groß genug gewesen, um daraus lernen zu können, erläuterte Kangas. Zu seinen ersten Resultaten sagt er etwas zynisch: „Diejenigen, die ohnehin gegen das Grundeinko­mmen sind, können zufrieden sein – genauso wie diejenigen, die ohnehin für das Grundeinko­mmen sind.“

Finnlands derzeitige Regierung kann sich vorstellen, das bedingungs­lose Grundeinko­mmen einzuführe­n. „Wir haben bald Wahlen. Die nächste Regierung muss das entscheide­n. Aber eine Möglichkei­t ist der Bürgerlohn in irgendeine­r Form“, sagte Sozialmini­sterin Pirkko Mattila nach der Veröffentl­ichung der Ergebnisse.

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Foto: Gregor Fischer, dpa Juha Järvinen war einer der Teilnehmer des Experiment­s.

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