Wertinger Zeitung

„Die Raute steht für Stabilität“

Interview Große Gesten, strenge Mimik: Politiker setzen ihren Körper oft ganz gezielt ein. Der Experte Stefan Verra erklärt, was hinter der Körperspra­che von Angela Merkel, Donald Trump oder Sebastian Kurz steckt

- Interview: Sarah Schierack

Herr Verra, Politiker machen gerne große Gesten. Bundeskanz­lerin Angela Merkel dagegen hat nur ein einziges Markenzeic­hen: die Raute. Ist das die Körperspra­che einer mächtigen Frau – oder eher das Gegenteil davon? Stefan Verra: Angela Merkel steht mit ihren reduzierte­n Gesten für Stabilität. Sie haut niemals auf den Tisch, auch ihre Mimik ist sehr zurückhalt­end. Damit signalisie­rt sie, dass sie nicht leicht aus der Ruhe zu bringen ist. Ein konkretes Beispiel: Horst Seehofer hat sie beim CSUParteit­ag auf offener Bühne gekränkt. Und was macht Merkel? Sie steht ruhig und ungerührt da, mit stabiler Mimik und ihrer Raute.

Merkels Kritiker sagen, an ihr perlt alles ab wie an einer Pfanne mit Teflon-Beschichtu­ng ...

Verra: Das stimmt. Aber gerade ihre demonstrat­ive Ruhe macht sie zum Alphatier. Ganz anders Donald Trump: Wenn er beleidigt wird, flippt er aus. Er nimmt alles persönlich. Und deshalb tut er sich so schwer, als Alphatier akzeptiert zu werden. Und trotzdem haben ihn Millionen Amerikaner vor zwei Jahren gewählt. Wie viel hat seine Körperspra­che mit dem Erfolg zu tun?

Verra: Viel. Trump hat eine sehr offensicht­liche Körperspra­che, ist plump, drängelt sich vor, schnipst Emmanuel Macron Schuppen vom Sakko. Er trägt gewisserma­ßen seine Ungehobelt­heit nach außen. Das sind wir nicht gewohnt. Die Mächtigen – Angela Merkel, Sebastian Kurz, Macron – haben eine sehr zurückgeno­mmene Körperspra­che. Und dann kommt Trump, brüllt herum, schimpft ins Mikrofon und die Leute haben das Gefühl, da steht einer von ihnen auf der Bühne. Diese Körperspra­che verleiht ihm eine unglaublic­h hohe Glaubwürdi­gkeit.

Dabei nimmt ja ausgerechn­et er es oft mit der Wahrheit nicht so genau. Verra: Es hat nie etwas mit den Inhalten zu tun, sondern immer mit den Gefühlen, die der andere auslöst. Wir wählen unsere Alphatiere seit der Steinzeit nach den gleichen Prämissen aus: Wer spiegelt unsere Emotionen am besten wider? Wo wir uns verstanden? Bei wem glauben wir uns sicher? Wenn man das bedenkt, ist es auch keine Überraschu­ng mehr, dass in Österreich ein Sebastian Kurz mit 31 schon zum Kanzler gewählt wurde.

Was zeichnet seine Körperspra­che aus? Verra: Sebastian Kurz zeigt, wie man auch mit Anfang 30 ernst genommen wird. Dafür muss ich etwas ausholen: Es gibt zwei Ausprägung­en in der Körperspra­che, die Frequenz und die Amplitude. Je jünger ein Mensch ist, desto schneller und ausladende­r sind seine Bewegungen. Kinder reißen die Arme nach oben oder rennen wild umher. Aber je älter wir werden, desto langsamer werden wir auch. Das signalisie­rt Erfahrung, denken Sie nur an Helmut Schmidt. Und das ist das Paradoxon von Sebastian Kurz: Er ist der jüngste frei gewählte Regierungs­chef der Welt, gleichzeit­ig ist seine Körperspra­che sehr „alt“. Er zeigt – ähnlich wie Angela Merkel – eine unheimlich geringe Frequenz und Amplitude. Das heißt: Einerseits hat man das Gefühl, er ist jung und dy- namisch. Anderersei­ts strahlt er Erfahrung und Stabilität aus. Aber seine Körperspra­che wird ihm irgendwann auf die Füße fallen.

Warum?

Verra: Ihm fehlt das Direkte. Wenn man sich Kurz anschaut, denkt man, er wägt nicht nur jedes einzelne Wort ab, sondern sogar seine Gesten. Das beobachte ich auch immer öfter in Deutschlan­d. Politiker werden auf ihrem Karrierewe­g wahnsinnig glattgebüg­elt. Die Parteien lassen die nach oben kommen, die sich am unauffälli­gsten verhalten und am besten eine Körperspra­che wie Adenauer haben. Wer nur ein wenig aus der Reihe fällt und sich anders präsentier­t, wird schon in frühen Jahren rausgeekel­t. Aber das geht eigentlich nicht mehr, wir leben heute in einer Youtube-Gesellscha­ft ...

... wie sich Politiker bei Reden und Debatten präsentier­en, wird immer wichtiger ...

Verra: Ja. Und ich glaube, die Parteien übersehen das. Die Wähler wünfühlen schen sich einen Politiker, der mit der Zeit geht. Das muss gar nicht unbedingt einer sein, der auf den Tisch haut. Da reicht schon ein Macron oder ein Christian Lindner, der übrigens ein Körperspra­che-Talent ist. Stattdesse­n bleibt in den großen Parteien aber jemand wie Annegret Kramp-Karrenbaue­r übrig, die nun eher nicht massentaug­lich ist. Die Gefahr daran ist, dass plötzlich von Rechts oder Links ein charismati­scher Politiker kommt, der die Menschen hinter sich versammelt. Denn bei den Randpartei­en ist der Aufstieg für ausdruckss­tarke Menschen immer leichter.

 ?? Fotos: Ulrich Wagner ?? Eine Geste, sagt Stefan Verra, kennen die Zuschauer seiner Vorträge auf der ganzen Welt: die Merkel-Raute (Mitte). Sie ist das Markenzeic­hen der deutschen Bundeskanz­lerin. Auch US-Präsident Donald Trump hat eine charakteri­stische Körperspra­che. Dazu gehören unter anderem die abgespreiz­ten Finger und der Kussmund.
Fotos: Ulrich Wagner Eine Geste, sagt Stefan Verra, kennen die Zuschauer seiner Vorträge auf der ganzen Welt: die Merkel-Raute (Mitte). Sie ist das Markenzeic­hen der deutschen Bundeskanz­lerin. Auch US-Präsident Donald Trump hat eine charakteri­stische Körperspra­che. Dazu gehören unter anderem die abgespreiz­ten Finger und der Kussmund.
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