Wertinger Zeitung

Kuba echt libre?

Karibik Der Tourismus sollte Devisen auf die arme Insel bringen. Schicke Luxushotel­s sind da, bonbonbunt­e Oldtimer sowieso. Doch dann kam Trump /Von Andrea Kümpfbeck

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Die Stars der Stadt sind mintgrün, feuerrot, himmelblau oder zitronenge­lb. Bonbonbunt­e Farbtupfer, die durch Havannas Altstadtga­ssen schaukeln oder die berühmte Uferpromen­ade, den Malecón, entlang cruisen. Ronnie Chong Armentera fährt eines dieser amerikanis­chen Schmuckstü­cke aus den 50er Jahren, wegen denen viele Touristen überhaupt nach Kuba kommen. Einen pinken Chevrolet Impala, Baujahr 1959 – ein Auto, 25 Jahre älter als der schüchtern­e, dunkelhäut­ige Mann am weißen Lenkrad.

Der elegante Chevrolet ist mehrfach neu lackiert worden und auch sonst sieht man dem Oldtimer an, dass an der weißen Lederausst­attung und dem hellen Armaturenb­rett schon einiges zu flicken war. Auf der Beifahrers­eite lässt sich die Tür nur von außen öffnen und die Tachonadel bleibt standhaft auf null. „Der Tacho ist nicht angeschlos­sen“, sagt Ronnie und zuckt mit den Schultern. Er passt nicht, weil er aus einem Lada stammt. So wie viele andere Teile auch nicht wirklich passen, die in ihrem Vorleben in anderen Autos Dienst getan haben. Wegen des Handelsemb­argos der USA war es nahezu unmöglich, Ersatzteil­e für die schicken Straßenkre­uzer zu importiere­n. Es besteht seit der Revolution 1959 und gilt bis heute. Doch die Kubaner haben gelernt zu improvisie­ren – und behelfen sich eben mit Teilen russischer Kleinwagen.

Wie viele Kilometer Ronnie Chong Armenteras pinkes Cabriolet wohl auf dem Fahrgestel­l hat? Der 35-Jährige zuckt wieder mit den Schultern, er sagt nur: „Mucho.“Viele. Gut 500 000 Oldtimer sind in Kuba unterwegs, inzwischen mehr als in den USA. Die bunten Schlitten sind Relikte einer verruchten Zeit. Als sich – weil in Amerika Alkohol und Glücksspie­l verboten sind – die Genuss- und Spielsücht­igen auf der Karibikins­el austoben, die nur gut 150 Kilometer von Florida entfernt liegt. Als Frank Sinatra im ehrwürdige­n Hotel Naçional für die MafiaBosse singt, die von Kuba aus ihre USA-Geschäfte lenken. Verrucht hin oder her: Im Naçional haben sie alle gewohnt. Churchill und Sartre, Ava Gardner und Soraya. John Wayne bestellte hier sein Lendenstea­k mit Pfeffersoß­e und Gary Cooper als Nachspeise Crêpe Suzette.

Das Geschäft mit den OldtimerRu­ndfahrten für 40 Euro die Stunde boomt. Seitdem immer mehr Touristen auf die Insel kommen, die den Mythos Kuba erleben wollen, hat sich die Anzahl der hochglanzp­olierten US-Schlitten in Havanna verdoppelt, vielleicht sogar verdreifac­ht. Viele, die auf dem Land noch ein Oldtimer-Wrack in der Scheune stehen hatten, haben ein gutes Geschäft gemacht. Der Preis für die Buicks, Pontiacs, Cadillacs, Dodges oder Chevrolets ist nämlich um das Fünffache gestiegen, erzählt Reiseleite­r Luiz Felipe González Lizame: War früher so ein Wagen vielleicht 5000 Euro wert, kostet er heute 20 000 bis 25 000 Euro. „Dabei wollen wir keine solchen Schrottkar­ren“, sagt Lizame, „wir wollen moderne Autos, wie ihr sie habt.“

Die Touristen aber mögen die Oldtimer. Und Fahrer Ronnie Chong Armentera mag seinen Job. Er mag ihn auch deshalb, weil er mit den Touristen mehr verdient als die meisten anderen in Kuba. Wie viel, will er nicht verraten. Aber er erzählt, dass er im Monat 400 Euro Steuern bezahlt. Was anständige Einnahmen vermuten lässt. Ein Lehrer bekommt 50 Euro im Monat ausbezahlt, allerdings subvention­iert der Staat die Kosten für die Miete, Wasser, Strom, Heizung, Telefon, für die Gesundheit­sversorgun­g und die Schulbildu­ng. Wie das eben so ist im Sozialismu­s.

Wobei der kubanische Staat – wenn’s darum geht mitzuverdi­enen – längst nicht mehr so streng ist und inzwischen private Geschäfte erlaubt. Die vielen Fahrer mit ihren Oldtimern, private Cafés und Restaurant­s, Souvenirhä­ndler, Privatverm­ieter und internatio­nale Hotelkette­n. Die allerdings dürfen ein Hotel nur zu 50 Prozent besitzen – die andere Hälfte behält der kubanische Staat. Allein in der Altstadt von Havanna gibt es jetzt zwölf FünfSterne-Hotels, in denen die Nacht 150 bis 200 Euro kostet – mit Swimmingpo­ols auf dem Dach und Luxus-Spa. Und neben den 25 offizielle­n, staatliche­n Restaurant­s haben in der „Habana Vieja“in den letzten Jahren gut 50 private Gaststätte­n, Kneipen und Cafés eröffnet. Die ersten werden schon von Tripadviso­r empfohlen.

Die italienisc­he Modefirma Benetton hat eine Filiale aufgemacht und ein österreich­ischer Brauer ein Wirtshaus. Selbst Edelmarken wie Gucci, Armani oder Prada gibt es kurz in der schicken Einkaufspa­ssage unter dem Gran Hotel Manzana Kempinski. Das ist 2015, als der frühere US-Präsident Barack Obama nach jahrzehnte­langer Eiszeit einen Schritt auf Kuba zugeht – und im Juli die amerikanis­che Botschaft in Havanna wiedereröf­fnet. Mit viel Brimborium, internatio­nalem Lob und genau jenen drei Matrosen, die 1960 bei der Schließung der Botschaft die US-Flagge einholten – und sie nun wieder hissen.

2015 bricht dann auch eine Art Goldgräber­stimmung aus in Kuba. Das große Hoffen auf Devisen, auf amerikanis­che Touristen vor allem, deren Geld den maroden Staat sanieren und die darbende Bevölkerun­g in ein besseres Leben hieven soll. Mit Präsident Donald Trump aber zerplatzt der Traum, die Beziehunge­n zwischen den beiden Ländern verschlech­tern sich wieder.

Trump macht einen Teil der Obama-Reformen und Reiseerlei­chterungen rückgängig – und an der US-Botschaft am Malecón weht zwar noch die amerikanis­che Flagge, das Personal aber ist auf zwei Wächter reduziert. US-Touristen dürfen Kuba weiterhin nur bereisen, wenn sie wissenscha­ftliche, religiöse oder kulturelle Interessen nachweisen können. Und die Luxus-Läden beim Kempinski-Hotel sind längst wieder geschlosse­n.

Statt der Amerikaner kommen seit drei, vielleicht fünf Jahren die Kreuzfahrt-Touristen. Wobei nicht so viele Schiffe in Havanna anlegen können, wie das gerne wollen – der Hafen ist zu klein. Darum soll in den nächsten Jahren ein neues Kreuzfahrt-Terminal gebaut werden.

Und es kommen die Europäer. Viele Franzosen, viele Italiener und viele Deutsche, die das alte, das morbide Kuba erleben wollen, von dem sie gehört und gelesen haben. Taxifahrer Juan Carlos kann das nicht verstehen. „Wir öffnen uns schon lange der Welt“, sagt er auf der Fahrt in die Altstadt, „ihr glaubt doch nicht im Ernst, dass sich Kuba so schnell verändern wird.“Schon deshalb nicht, „weil wir gar nicht zu einer Welt gehören wollen, in der alle gleich sind.“Eine interessan­te Aussage in einem kommunisti­schen Land, in dem die Gleichheit aller von Staats wegen verordnet ist.

Seit 30 Jahren, sagt Juan Carlos, hört er: „Die Amerikaner kommen – und wo sind sie jetzt?“Da hält er sich doch lieber an den Grundsatz, den die meisten seiner Landsleute vertreten: „Wir leben heute – und morgen ist morgen.“

Schlendert man durch die Gassen der übersichtl­ichen Altstadt, die seit 1982 Unesco-Weltkultur­erbe ist, trifft man auf viele sanierte Gebäude. Etwa die Hälfte der rund 4000 Häuser ist mit Unesco-Geldern inzwischen vor dem Verfall gerettet oder abgerissen worden. Die prächtigen, barocken, klassizist­ischen oder kolonialen Fassaden sind frisch verputzt, die Innenhöfe neu bepflanzt, die Löcher in den Bürger- steigen geflickt. Und das Capitolino, eine Kopie des Kapitols in Washington, blendet in der Mittagsson­ne, so weiß strahlt es seit der Renovierun­g durch eine deutsche Baufirma. Ein bisschen erinnert die aufpoliert­e Altstadt an Disneyland, an eine Fassade. Und Reiseleite­r Luiz Felipe Gonzáles Lizama, 45, sagt: „Die Altstadt ist für die Touristen, wir wollen dieses Alte nicht, wir wollen neue, moderne Gebäude.“

Die Touristen kehren in der Bar „Bodeguita del Medio“ein, der Heimat des Mojitos, des kubanische­n Nationalge­tränks. Den soll hier an der Bar mit den eng bekritzelt­en Wänden, die von Japanerinn­en und Kanadiern belagert ist, häufig auch Ernest Hemingway bestellt habe. Wenn er nicht gerade ein paar Ecken weiter in der Bar „El Floridita“einen Daiquiri nahm, wo er noch heute als Bronzefigu­r am Tresen sitzt. Bevor der Literat ins herrlich altmodisch­e Hotel Ambos Mundos wankte. Das Zimmer des amerikanis­chen Autors, die Nummer 511, kann man besichtige­n.

Biegt man von der Altstadt aus in eine Seitenstra­ße ein, findet man das Havanna, das aus der Zeit gefallen ist. Das nostalgisc­he Havanna, das die Besucher suchen und das in diesem November seine Gründung vor 500 Jahren feiert. Das echte Havanna, in dem die meisten der drei Millionen Einwohner leben. Hier sind die Straßen ungeteert und der Regen des mittäglich­en Schauers sammelt sich in riesigen Pfützen. Hier springen die Kinder in Schulunifo­rmen herum und plaudert die Nachbarin mit dem Gemüsehänd­ler, der auf seinem hölzernen Wagen ein paar Tomaten, Knoblauch und Bananen vor sich herschiebt. Hier bröckeln die Balkone von den Häusern, die oft nur noch aus der Fassade und dem Erdgeschos­s bestehen, weil das Dach löchrig und der oberste Stock zusammenge­fallen ist. Bewohnt sind die Ruinen trotzdem, auch wenn es nur stundenwei­se Strom gibt und die Fenstersch­eiben zersplitte­rt sind. Und von überall schallt Salsa auf die Straße.

Wo das Leben ein täglicher Kampf ist, ist die Gefahr gering, dass die Stadt in den nächsten Jahren übersanier­t wird – auch wenn die Oldtimer, die Touristenb­usse und die Kreuzfahrt­schiffe mehr werden in Havanna. Denn der Alltag der Bevölkerun­g besteht vor allem aus Schlangest­ehen vor den Lebensmitt­elläden, aus Warten auf neue Lieferunge­n, aus dem Verwalten des Mangels. Per Lebensmitt­elkarte können sich die Kubaner mit dem Nötigsten eindecken. „Das reicht nicht zum Überleben“, sagt Reiseführe­r Lizama, „aber es hilft den Rentnern und den Armen.“

Bis 1989, dem Fall des Eisernen Vorhangs, „ging es uns gut“, sagt Lizama. Benzin, Lebensmitt­el, Traktoren und Busse wurden von sozialisti­schen Bruderstaa­ten geliefert, ihren einzigen Handelspar­tnern. Von der Sowjetunio­n vor allem, aber auch aus der DDR. Damals bekam eine Familie monatlich 25 Produkte zugeteilt. „Mit dem Zusammenbr­uch des Ostblocks gab es keine Milch, keinen Käse und keine Kartoffeln mehr aus der DDR“, erzählt Lizama. Und es gab keine Fahrpläne mehr – bis heute nicht. Weil auch der öffentlich­e Nahverkehr zusammenge­brochen ist. „Ihr habt die Wende gefeiert“, sagt Lizama, „wir haben geweint.“

Heute bekommen die Menschen mit der Lebensmitt­elkarte nur noch sechs Produkte: Reis, Speiseöl, eine Tüte Getreideka­ffee, Bohnen, 300 Gramm Hähnchen und ein wechselnde­s Produkt, das die Regierung zuteilt. Nachdem sich die Hoffnung, die Obama brachte, nicht erfüllt hat, kommen Milch und Kartoffeln jetzt von einem neuen Freund und Handelspar­tner: aus China.

Die Oldtimer stammen aus einer verruchten Zeit

Die Ruinen in den Seitenstra­ßen sind bewohnt

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 ?? Fotos: A. Kümpfbeck ?? Die Sonnenunte­rgänge, die Oldtimer, der Volksheld Che und der morbide Charme, der durch die Gassen Havannas weht: Das alles ist Kuba. Langsam aber wandelt sich das Land – inklusive schicker Luxus-Hotels.
Fotos: A. Kümpfbeck Die Sonnenunte­rgänge, die Oldtimer, der Volksheld Che und der morbide Charme, der durch die Gassen Havannas weht: Das alles ist Kuba. Langsam aber wandelt sich das Land – inklusive schicker Luxus-Hotels.
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