Bis dass die Kirche euch scheidet
Ehe-Annullierung Als eine evangelische Frau aus Nördlingen erfährt, dass ihr Ex-Mann kirchlich heiraten möchte, beginnt für sie eine Leidenszeit. Denn sie gerät in die Mühlen eines katholischen Kirchengerichts. Heute spricht sie von „Inquisition“
Nördlingen Der Grund für ihre Verärgerung füllt einen Aktenordner. Wenn Sibylle Eberle darin liest, wird sie wütend und zugleich traurig. Knapp zweieinhalb Jahre hat sich das sogenannte Ehenichtigkeitsverfahren hingezogen, in dem die 53-jährige Altenpflegerin aus Nördlingen steckte. Als es Ende 2016 begann, dachte sie noch an einen schlechten Scherz. „Je länger es ging, desto mehr machte es mich fertig“, sagt sie. „Auf mich wurde eine Hexenjagd eröffnet wie im Mittelalter. Ich wurde mit Schmutz beworfen, im Namen der katholischen Kirche.“
Sibylle Eberle ist in die Mühlen der katholischen Kirchengerichtsbarkeit geraten – als Protestantin.
Denn ihr Ex-Mann will seine neue Partnerin, eine Katholikin, kirchlich heiraten. Und das geht nur, wenn die Richter des Bischöflichen Konsistoriums Augsburg, des Kirchengerichts, zu dem Schluss kommen, dass seine Ehe mit Eberle aus Sicht der katholischen Kirche nicht gültig geschlossen wurde.
Sibylle Eberle und ihr Mann – einst evangelisch, 1998 zur katholischen Kirche übergetreten – hatten 1992 auf dem Nördlinger Standesamt geheiratet. 2006 ließ sie sich von ihm scheiden. Danach hatte sie, sagt sie, keinen Kontakt mehr zu ihm. Bis sie von dem Ehenichtigkeitsverfahren erfahren habe, das er anstrengte.
Dass sich die katholische Kirche mit einer lediglich zivilrechtlich geschlossenen Ehe von Nicht-Katholiken, die vor Jahren geschieden wurde, befasst, versteht Eberle bis heute nicht. Auf der Internetseite des Bistums Augsburg wird es ausführlich erklärt, etwa anhand dieses Beispielfalles: „Heiraten zwei evangelische Christen auf dem Standesamt, betrachtet die katholische Kirche diese Ehe als unauflöslich, da sie nach der evangelischen Auffassung der Ehe gültig ist. Sollte nun einer der beiden, nachdem diese Ehe geschieden wurde, einen Katholiken kirchlich heiraten wollen, ist dies nur möglich, wenn die Vorehe der beiden evangelischen Christen als ungültig nachgewiesen ist.“Selbst die Ehe zwischen zwei Ungetauften sei ein unauflöslicher Bund.
Sibylle Eberles Ex-Mann gab als „Ehenichtigkeitsgrund“einen der in derartigen Verfahren wohl am meisten verbreiteten Gründe an – den „Ausschluss der Unauflöslichkeit der Ehe“seinerseits. In Eberles Worten: „Zum Zeitpunkt der Eheschließung hat er zwar Ja gesagt, aber angeblich Nein gedacht.“Ihr Ex-Mann habe angegeben – und das geht auch aus den Akten hervor –, sie habe ihn mit ihrer Schwangerschaft unter Druck gesetzt, sie zu heiraten, und er habe schon vor und während der Trauung an eine mögliche Scheidung gedacht. „Wie will man das denn beweisen? Das ist doch irre“, sagt sie.
In einem Ehenichtigkeitsverfahren geht es allerdings genau um diese Frage: Ist eine Ehe im katholischen Sinne gültig geschlossen wor- den? Dies wird mithilfe von Zeugen zu belegen oder zu widerlegen versucht. Auch Sibylle Eberle wurde vom Kirchengericht vernommen. Sie nennt es „Inquisition“. Die Fragen, die ihr gestellt worden seien, seien tief unter die Gürtellinie gegangen; Fragen, die für sie wie Vorwürfe, Unterstellungen und Anschuldigungen geklungen hätten.
„Das war unglaublich verletzend“, sagt sie. „Leider habe ich es nicht fertiggebracht, aufzustehen und zu gehen.“Im Nachhinein habe sie das bereut. Andererseits: Hätte sie sich nicht am Verfahren beteiligt, hätte sie später keine Akteneinsicht erhalten – und so erfahren, wie ihr Ex-Mann über sie spricht. Vor allem aber: „Ich habe einmal aus Liebe geheiratet, wir waren insgesamt 14 Jahre zusammen, haben drei Kinder. Das wollte ich einfach nicht für null und nichtig erklären lassen“, sagt sie.
Sibylle Eberles Verfahren ist eines von vielen. Nach Angaben der Deutschen Bischofskonferenz waren zum Ende des Jahres 2017 die insgesamt 22 Kirchengerichte der 27 Diözesen mit 1134 Ehenichtigkeitssachen befasst. Aktuellere Zahlen hat das Bistum Augsburg. Zum 31. Dezember 2018 waren dort am Bischöflichen Konsistorium 42 Ehenichtigkeitsverfahren anhängig.
Einen auf solch ein Verfahren spezialisierten kirchlichen Anwalt habe sie sich nicht leisten können, sagt Eberle. Sie habe sich alleingelassen gefühlt – auch von der evangelischen Kirche. Von der habe sie sich Beistand und Rat erhofft, jedoch nicht erhalten. Vielleicht habe sie aber auch nur die Falschen gefragt, sagt sie. Eberle arbeitete unter anderem als Hospizkoordinatorin und war und ist nach wie vor in Einrichtungen der Diakonie, dem Wohlfahrtsverband der evangelischen Kirche, beschäftigt. „Früher hätte ich mich durchaus als gläubige Protestantin bezeichnet“, sagt sie. „Aber all das hat mit meinem Glauben an Gott nichts mehr zu tun.“Aus der evangelischen Kirche sei sie im Mai 2017 ausgetreten.
Mehr als ein Jahr später habe sie dann aufgegeben, wie sie sagt. Sie teilte dem Kirchengericht der katholischen Diözese Augsburg mit, dass sie nun ebenfalls die Annullierung der Ehe wünsche. Wie ihr ExMann. Sie wollte, dass das Ehenichtigkeitsverfahren endlich vorbei ist. Doch solch ein Verfahren lässt sich nicht einfach auf diese Weise beenden. Es ging weiter, bis zum Urteil.
Seit Mitte März hat es Sibylle Eberle schriftlich: Ihre längst geschiedene Ehe wurde von den Richtern des Bischöflichen Konsistoriums Augsburg nicht für ungültig erklärt. Wie sie es ursprünglich wollte. Ihr Ex-Mann kann somit also nicht kirchlich heiraten. Ob er in den vergangenen Tagen gegen das Urteil in Berufung gegangen ist, will er im Gespräch mit unserer Redaktion nicht sagen. Er sagt aber: „Mir tut es aufrichtig leid, dass meine ExFrau durch das Verfahren verletzt wurde und dass alte Wunden aufgerissen worden sind.“
Auch Alessandro Perego äußert sich. Er ist Offizial des Bischöflichen Konsistoriums Augsburg, das heißt dessen Vorsteher. Er erklärt zu Eberles Vorwürfen, insbesondere zu denen über ihre Vernehmung: „Es handelt sich bei einer solchen Vernehmung um einen standardisierten Ablauf im kirchlichen Eheprozessrecht. Im konkreten Fall ist es bedauerlich, dass die Vernehmung bei ihr einen solchen subjektiven Eindruck hinterlassen hat.“In der Regel, so Perego, verliefen solche Vernehmungen „reibungslos und ohne Beschwerden vonseiten der Vernommenen“. Und weiter: „Manche drücken sogar ihre Dankbarkeit aus, dass sie durch die Beteiligung am Ehenichtigkeitsverfahren die Möglichkeit hatten, ihre gescheiterte Ehegeschichte positiv aufarbeiten zu können.“