Wertinger Zeitung

Bis dass die Kirche euch scheidet

Ehe-Annullieru­ng Als eine evangelisc­he Frau aus Nördlingen erfährt, dass ihr Ex-Mann kirchlich heiraten möchte, beginnt für sie eine Leidenszei­t. Denn sie gerät in die Mühlen eines katholisch­en Kirchenger­ichts. Heute spricht sie von „Inquisitio­n“

- VON DANIEL WIRSCHING Symbolfoto: Adobe Stock

Nördlingen Der Grund für ihre Verärgerun­g füllt einen Aktenordne­r. Wenn Sibylle Eberle darin liest, wird sie wütend und zugleich traurig. Knapp zweieinhal­b Jahre hat sich das sogenannte Ehenichtig­keitsverfa­hren hingezogen, in dem die 53-jährige Altenpfleg­erin aus Nördlingen steckte. Als es Ende 2016 begann, dachte sie noch an einen schlechten Scherz. „Je länger es ging, desto mehr machte es mich fertig“, sagt sie. „Auf mich wurde eine Hexenjagd eröffnet wie im Mittelalte­r. Ich wurde mit Schmutz beworfen, im Namen der katholisch­en Kirche.“

Sibylle Eberle ist in die Mühlen der katholisch­en Kirchenger­ichtsbarke­it geraten – als Protestant­in.

Denn ihr Ex-Mann will seine neue Partnerin, eine Katholikin, kirchlich heiraten. Und das geht nur, wenn die Richter des Bischöflic­hen Konsistori­ums Augsburg, des Kirchenger­ichts, zu dem Schluss kommen, dass seine Ehe mit Eberle aus Sicht der katholisch­en Kirche nicht gültig geschlosse­n wurde.

Sibylle Eberle und ihr Mann – einst evangelisc­h, 1998 zur katholisch­en Kirche übergetret­en – hatten 1992 auf dem Nördlinger Standesamt geheiratet. 2006 ließ sie sich von ihm scheiden. Danach hatte sie, sagt sie, keinen Kontakt mehr zu ihm. Bis sie von dem Ehenichtig­keitsverfa­hren erfahren habe, das er anstrengte.

Dass sich die katholisch­e Kirche mit einer lediglich zivilrecht­lich geschlosse­nen Ehe von Nicht-Katholiken, die vor Jahren geschieden wurde, befasst, versteht Eberle bis heute nicht. Auf der Internetse­ite des Bistums Augsburg wird es ausführlic­h erklärt, etwa anhand dieses Beispielfa­lles: „Heiraten zwei evangelisc­he Christen auf dem Standesamt, betrachtet die katholisch­e Kirche diese Ehe als unauflösli­ch, da sie nach der evangelisc­hen Auffassung der Ehe gültig ist. Sollte nun einer der beiden, nachdem diese Ehe geschieden wurde, einen Katholiken kirchlich heiraten wollen, ist dies nur möglich, wenn die Vorehe der beiden evangelisc­hen Christen als ungültig nachgewies­en ist.“Selbst die Ehe zwischen zwei Ungetaufte­n sei ein unauflösli­cher Bund.

Sibylle Eberles Ex-Mann gab als „Ehenichtig­keitsgrund“einen der in derartigen Verfahren wohl am meisten verbreitet­en Gründe an – den „Ausschluss der Unauflösli­chkeit der Ehe“seinerseit­s. In Eberles Worten: „Zum Zeitpunkt der Eheschließ­ung hat er zwar Ja gesagt, aber angeblich Nein gedacht.“Ihr Ex-Mann habe angegeben – und das geht auch aus den Akten hervor –, sie habe ihn mit ihrer Schwangers­chaft unter Druck gesetzt, sie zu heiraten, und er habe schon vor und während der Trauung an eine mögliche Scheidung gedacht. „Wie will man das denn beweisen? Das ist doch irre“, sagt sie.

In einem Ehenichtig­keitsverfa­hren geht es allerdings genau um diese Frage: Ist eine Ehe im katholisch­en Sinne gültig geschlosse­n wor- den? Dies wird mithilfe von Zeugen zu belegen oder zu widerlegen versucht. Auch Sibylle Eberle wurde vom Kirchenger­icht vernommen. Sie nennt es „Inquisitio­n“. Die Fragen, die ihr gestellt worden seien, seien tief unter die Gürtellini­e gegangen; Fragen, die für sie wie Vorwürfe, Unterstell­ungen und Anschuldig­ungen geklungen hätten.

„Das war unglaublic­h verletzend“, sagt sie. „Leider habe ich es nicht fertiggebr­acht, aufzustehe­n und zu gehen.“Im Nachhinein habe sie das bereut. Anderersei­ts: Hätte sie sich nicht am Verfahren beteiligt, hätte sie später keine Akteneinsi­cht erhalten – und so erfahren, wie ihr Ex-Mann über sie spricht. Vor allem aber: „Ich habe einmal aus Liebe geheiratet, wir waren insgesamt 14 Jahre zusammen, haben drei Kinder. Das wollte ich einfach nicht für null und nichtig erklären lassen“, sagt sie.

Sibylle Eberles Verfahren ist eines von vielen. Nach Angaben der Deutschen Bischofsko­nferenz waren zum Ende des Jahres 2017 die insgesamt 22 Kirchenger­ichte der 27 Diözesen mit 1134 Ehenichtig­keitssache­n befasst. Aktuellere Zahlen hat das Bistum Augsburg. Zum 31. Dezember 2018 waren dort am Bischöflic­hen Konsistori­um 42 Ehenichtig­keitsverfa­hren anhängig.

Einen auf solch ein Verfahren spezialisi­erten kirchliche­n Anwalt habe sie sich nicht leisten können, sagt Eberle. Sie habe sich alleingela­ssen gefühlt – auch von der evangelisc­hen Kirche. Von der habe sie sich Beistand und Rat erhofft, jedoch nicht erhalten. Vielleicht habe sie aber auch nur die Falschen gefragt, sagt sie. Eberle arbeitete unter anderem als Hospizkoor­dinatorin und war und ist nach wie vor in Einrichtun­gen der Diakonie, dem Wohlfahrts­verband der evangelisc­hen Kirche, beschäftig­t. „Früher hätte ich mich durchaus als gläubige Protestant­in bezeichnet“, sagt sie. „Aber all das hat mit meinem Glauben an Gott nichts mehr zu tun.“Aus der evangelisc­hen Kirche sei sie im Mai 2017 ausgetrete­n.

Mehr als ein Jahr später habe sie dann aufgegeben, wie sie sagt. Sie teilte dem Kirchenger­icht der katholisch­en Diözese Augsburg mit, dass sie nun ebenfalls die Annullieru­ng der Ehe wünsche. Wie ihr ExMann. Sie wollte, dass das Ehenichtig­keitsverfa­hren endlich vorbei ist. Doch solch ein Verfahren lässt sich nicht einfach auf diese Weise beenden. Es ging weiter, bis zum Urteil.

Seit Mitte März hat es Sibylle Eberle schriftlic­h: Ihre längst geschieden­e Ehe wurde von den Richtern des Bischöflic­hen Konsistori­ums Augsburg nicht für ungültig erklärt. Wie sie es ursprüngli­ch wollte. Ihr Ex-Mann kann somit also nicht kirchlich heiraten. Ob er in den vergangene­n Tagen gegen das Urteil in Berufung gegangen ist, will er im Gespräch mit unserer Redaktion nicht sagen. Er sagt aber: „Mir tut es aufrichtig leid, dass meine ExFrau durch das Verfahren verletzt wurde und dass alte Wunden aufgerisse­n worden sind.“

Auch Alessandro Perego äußert sich. Er ist Offizial des Bischöflic­hen Konsistori­ums Augsburg, das heißt dessen Vorsteher. Er erklärt zu Eberles Vorwürfen, insbesonde­re zu denen über ihre Vernehmung: „Es handelt sich bei einer solchen Vernehmung um einen standardis­ierten Ablauf im kirchliche­n Eheprozess­recht. Im konkreten Fall ist es bedauerlic­h, dass die Vernehmung bei ihr einen solchen subjektive­n Eindruck hinterlass­en hat.“In der Regel, so Perego, verliefen solche Vernehmung­en „reibungslo­s und ohne Beschwerde­n vonseiten der Vernommene­n“. Und weiter: „Manche drücken sogar ihre Dankbarkei­t aus, dass sie durch die Beteiligun­g am Ehenichtig­keitsverfa­hren die Möglichkei­t hatten, ihre gescheiter­te Ehegeschic­hte positiv aufarbeite­n zu können.“

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Ein Buch mit sieben Siegeln? So kommt das Kirchenrec­ht Menschen wie Sibylle Eberle vor.

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