Wertinger Zeitung

Fachkräfte­mangel trotz Azubi-Rekords

Beruf Die Industrie stellt mehr Lehrlinge als je zuvor ein, doch das reicht ihr noch nicht. Ein Industrieu­nternehmen in der Region spricht von abnehmende­r Eignung der Bewerber

- VON PHILIPP WEHRMANN

München/Memmingen Auf Susanne Nehers Schreibtis­ch landen viele Bewerbunge­n. Sie ist Chefin der Christ Akademie und damit verantwort­lich für die Aus- und Weiterbild­ung in der gesamten Christ AG, einer in Benningen bei Memmingen ansässigen Firmengrup­pe. Das Unternehme­n mit 1500 Mitarbeite­rn stellt hauptsächl­ich Waschanlag­en für Fahrzeuge her – für Autos, Lastwagen, Busse und sogar Züge. Zwei Tochterfir­men bauen weitere Produkte, etwa Steuerungs­elemente wie Touchdispl­ays für Industriea­nlagen und Verpackung­smaschinen.

Die Firmengrup­pe bildet in sieben Berufen aus – technische­n, kaufmännis­chen und in der IT. Die Auszubilde­nden lernen überbetrie­blich und kommen so mit allen Produktgru­ppen in Kontakt. Nach der Ausbildung dürfen sie mitreden, in welchem Bereich sie arbeiten wollen. Christ habe einen guten Ruf als Arbeitnehm­er in der Region, biete sichere Jobs, zahle auch Azubis nach Tarif, ohne daran gebunden zu sein. Zu wenige Bewerbunge­n sind also nicht das Problem.

Die richtigen Bewerber sind es oft trotzdem nicht: „Unser Eindruck ist, dass sich die persönlich­e und fachliche Eignung der Bewerber in den letzten Jahren verschlech­tert hat“, sagt Neher. „Die Jugendlich­en sollten den Beruf ergreifen, der ihnen Erfüllung und Freude bringt. Viel zu oft wird ihre Entscheidu­ng durch Gesellscha­ft und Eltern beeinfluss­t.“Bei der Berufswahl spielten „häufig die Perspektiv­e und die Bezahlung eine entscheide­nde Rolle“. Vergangene­s Jahr verdienten Azubis in der bayerische­n Elektround Metallindu­strie nach Tarif durchschni­ttlich 1111 Euro – mehr als in vielen anderen Branchen. Neher sieht auch die Schulen in der Pflicht: „Um den Jugendlich­en die Berufswahl zu erleichter­n, sollten in der Schule vermehrt Praktika angeboten werden.“Es sei im Interesse aller, dass der Beruf auch den Interessen entspreche.

Dass Bewerber immer häufiger ungeeignet für den angestrebt­en Beruf sind, ist offenbar eine Entwicklun­g in der gesamten bayerische­n Elektro- und Metallindu­strie, wie eine Statistik der Verbände Bayme und VBM zeigt. Gestern haben die Arbeitgebe­rverbände dieses Wirtschaft­szweigs ihre Unternehme­nsbefragun­gen zur Ausbildung vorgestell­t. Vergangene­s Jahr wurden in der Branche mehr Ausbildung­sverträge unterschri­eben als jemals zu- vor: Es waren mit 16 279 sieben Prozent mehr als im Vorjahr. Doch den Personalhu­nger stillt das nicht.

Bei gut einem Fünftel der Firmen gingen die abgeschlos­senen Ausbildung­sverträge im Vergleich zu 2017 zurück. Manche Unternehme­n hatten genug Personal, bilden nur alle zwei Jahre aus oder unterschri­eben aus wirtschaft­lichen Gründen weniger Ausbildung­sverträge. Häufiger lag es aber an äußeren Einflüssen: Knapp 41 Prozent der Firmen nannten zu wenige Bewerbunge­n als Ursache. Und sogar fast die Hälfte der Unternehme­n sagte, es habe an der Eignung der Bewerber gelegen. Vor fünf Jahren antwortete­n nur acht Prozent der Firmen so. Mehrere Antworten waren möglich.

Um den Bedarf zu decken, setzt die Industrie Hoffnung in ausländisc­he Arbeitskrä­fte. 27 Prozent der Unternehme­n der Branche bilde mittlerwei­le Flüchtling­e und Asylbewerb­er aus, sagte Bertram Brossardt, Hauptgesch­äftsführer der bayerische­n Elektro- und Metallindu­strieverbä­nde Bayme und VBM. „Es ist wichtig, in den Integratio­nsbemühung­en nicht nachzulass­en“, sagte er. Er hoffe, dass das Fachkräfte­zuwanderun­gsgesetz bis Sommer verabschie­det werde.

Um Zuwanderer­n Berufspers­pektiven aufzuzeige­n, spielen digitale Inhalte eine immer wichtigere Rolle, etwa Praktikums­börsen. Ab Sommer sollen Flüchtling­e, das planen die Verbände, mit speziellen Brillen in einer virtuellen Umgebung Berufe testen können. Allgemein nehme die Bedeutung digitaler Medien zu, sagte Brossardt. 80 Prozent der Elektro- und Metallunte­rnehmen bezeichnen digitales Lernen laut den Verbänden als „wichtig“oder „zunehmend wichtig“. Vor drei Jahren sah das nur gut die Hälfte der Firmen so.

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Symbolfoto: Alexander Kaya Die bayerische Industrie hat immer mehr Azubis.

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