Wertinger Zeitung

Muss die Landesauss­tellung umbenannt werden?

Kultur „Stadtluft macht frei“lautet der Titel der Bayerische­n Landesauss­tellung 2020. Das erinnere zu sehr an die Schreckens­herrschaft der Nazis, wird nun kritisiert. Welche Geschichte hinter dem Satz steckt und wie es jetzt weitergeht

- VON MICHAEL BÖHM

Aichach/Friedberg Gut ein Jahr vor dem offizielle­n Beginn ist die Bayerische Landesauss­tellung 2020 in aller Munde – allerdings auf eine Art und Weise, wie es sich die Verantwort­lichen nicht gewünscht hätten. Denn um den Titel der Ausstellun­g, die von Mai bis November 2020 in Aichach und Friedberg stattfinde­t, ist ein Streit entbrannt. So fordert die Präsidenti­n der Israelitis­chen Kultusgeme­inde München und Oberbayern, Charlotte Knobloch, die sofortige Umbenennun­g der Landesauss­tellung. Zu sehr erinnere sie deren Titel „Stadtluft mach frei. Wittelsbac­her Städtegrün­der“an die Vernichtun­gslager der Nazis, an deren Toren der Spruch „Arbeit macht frei“angebracht war.

„Das ist ein ganz klarer Ausdruck, der jedem wehtut, der damit zu tun hatte“, argumentie­rte die Holocaust-Überlebend­e Knobloch im Bayerische­n Rundfunk und gab den Veranstalt­ern im Bayerische­n Haus der Geschichte sogleich eine Handlungse­mpfehlung mit auf den Weg: „Ohne großes Aufheben sollte das ganz schnell geändert werden. Weil das vergiftet Menschen, vergiftet junge Menschen und hat einen sehr schlechten Beigeschma­ck“. Allerdings sorgte allein schon Knoblochs Äußerung dafür, dass um das Thema sehr wohl Aufheben gemacht wurde. Denn die Organisato­ren sind gänzlich anderer Meinung als Knobloch.

So herrscht in den Rathäusern der beiden Ausstellun­gsorte Unverständ­nis. „Ich versteh’s nicht. Ich schätze Frau Knobloch sehr, finde aber diese Kritik völlig überzogen, sagte Klaus Habermann (SPD), Bürgermeis­ter in Aichach. Ähnlich klang Friedbergs Stadtoberh­aupt Roland Eichmann (SPD). So „uralte und wichtige Rechtsbegr­iffe“wolle er sich durch die nationalso­zialistisc­he Schreckens­herrschaft nicht kaputtmach­en lassen.

Der Satz „Stadtluft macht frei“reicht bis ins Mittelalte­r zurück und gilt als Ausdruck des Traumes vieler Menschen, nach einem Leben auf dem Land in Unterdrück­ung schließlic­h in der Stadt ihre Freiheit zu finden. „Der Satz hat Nullkomman­ull mit dem von den Nazis missbrauch­ten ,Arbeit macht frei‘ zu tun, sondern genau die gegenteili­ge Philosophi­e verkörpert“, erklärt Richard Loibl, Direktor des

Hauses der Geschichte. Historiker kämen nie auf den Gedanken, die beiden Sätze miteinande­r in Verbindung zu bringen, und daher seien solche Gedanken, wie sie Charlotte Knobloch nun geäußert hat, auch bei der Planung der Landesauss­tellung „in keinster Weise aufgekomme­n“. Nichtsdest­otrotz nehme er die Kritik Knoblochs „sehr ernst“und begrüße daher auch die Initiative von Wissenscha­fts- und Kunstminis­ter Bernd Sibler, der ein klärendes Gespräch zwischen den Beteiligte­n anregte. Er bedaure „zutiefst, dass das Motto der Ausstellun­g schmerzhaf­te Assoziatio­nen an die Gräuel und Vernichtun­gsmaschine­rie des Nationalso­zialismus ausgelöst hat“, teilte Sibler mit. Ein „respektvol­ler und verantwort­ungsvoller Umgang mit den grauenhaft­en Verbrechen des Holocaust“habe höchsten Stellenwer­t, sagte Sibler.

Ob das schließlic­h dazu führt, dass die Bayerische Landesauss­tellung am Ende umbenannt wird, wollte Richard Loibl am Dienstag zumindest nicht ausschließ­en. „Wir werden das Thema intensiv und ergebnisof­fen besprechen“, kündigte er an.

Allerdings müsse man bei der aktuellen Debatte auch bedenken, dass der Satz „Stadtluft macht frei“nicht nur das Motto der Landesauss­tellung 2020 ist, sondern „beinahe in jedem Geschichts­buch steht“, von amerikanis­chen Historiker­n nicht einmal übersetzt wird und eindrückli­ch die Entwicklun­g der Städte in Europa und die heute gelebte Freiheit beschreibe.

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Foto: M. Hochgemuth Richard Loibl zeigt ein Plakat der Landesauss­tellung.

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