Der Kiebitz braucht besondere Betreuung
Artenschutz Weil die Vögel, wie andere Wiesenbrüter, selten sind, setzt sich Annika Sezi als Gebietsbetreuerin für sie ein
Dinkelscherben Ganz gemächlich rollt Annika Sezi mit ihrem Auto über die Feldwege der Reischenau bei Dinkelscherben (Kreis Augsburg). Sie sucht einen seltenen Gast in dieser Region – den Kiebitz. Es ist früh am Morgen, die eben erst aufgegangene Sonne hat noch nicht die Kraft, zugefrorene Pfützen aufzubrechen und den eisigen Tau auf Äckern und Wiesen zu schmelzen. „Der Kiebitz fühlt sich bei Tagesanbruch am wohlsten“, erklärt Sezi. „Dann herrscht noch vergleichsweise viel Ruhe, die Vögel können ungestört balzen oder nach Nahrung suchen.“Die etwa taubengroßen Vögel mit grünschimmernden Flügeln und einer weiß-schwarzen Brust sind lärmempfindlich. Im März brüten die ersten Tiere bereits, andere sind noch mit der Balz beschäftigt. „Ich hoffe, wir sehen heute den Balzflug der Kiebitze“, sagt Sezi. Die 31-jährige Biologin arbeitet als Gebietsbetreuerin für den Naturpark Augsburg Westliche Wälder. Das Gebietsbetreuerprojekt existiert seit 2000, großteils finanziert durch den Bayerischen Naturschutzfonds.
„Der Kiebitz steht für einen Lebensraum, den es so kaum mehr gibt.“
Annika Sezi
Ein Gebietsbetreuer setzt sich durch vielfältige Projekte für den Kultur- und Naturschutz in Bayern ein. Sezi macht diesen Job seit Oktober 2018. In der Reischenau möchte sie nun ein weiteres Projekt beginnen.
„Ich war vor zwei oder drei Wochen das erste Mal hier draußen“, sagt die 31-Jährige und weist aus dem Autofenster auf die vielen Wiesen, Äcker und Waldgebiete der Gegend um Dinkelscherben. „Der Kiebitz und andere Wiesenbrüter stehen für einen Lebensraum, den es so kaum mehr gibt.“Er brauche Flachmulden, in denen sich Wasser sammle, außerdem feuchte und niedrige Wiesen. Heutzutage lasse er sich oftmals auf Maisfeldern nieder, erklärt die Biologin. Wenn die Tiere sich am Boden befinden, sind sie von Weitem kaum auszumachen, und wenn sich jemand nähert, fliegen sie rasch davon. Sezi setzt bei ihrer Suche nach den Vögeln daher auf Fernglas, Beobachtungsfernrohr – und ein weiteres Paar Augen. Evi Madalenko-Stuhler ist heute ehrenamtlich zur Unterstützung dabei. Ein Vortrag von Sezi machte Stuhler auf das Kiebitz-Projekt aufmerksam. Die Gebietsbetreuerin erklärt dazu: „Wenn wir Brutpaare finden, bespreche ich mit den betroffenen Landwirten das weitere Vorgehen, anschließend möchte ich die Nester markieren.“Sie schätzt, in diesem Teil der Reischenau gebe es fünf bis sechs Brutpaare. Zwei bis vier Junge können die Paare großziehen – aber dafür brauche es die Hilfe der Landwirte, sagt die 31-Jährige. Weil die Tiere oftmals auf landwirtschaftlichen Flächen brüten, übersehen Bauern während der Arbeit die Nester manchmal. Hinzu kommt, dass Kiebitznester nah beieinanderliegen, in Extremfällen trennen sie nur drei Meter. Sind die Nester markiert, kann der Landwirt sie umfahren. Der Bauer erhält für den Flächenverlust einen finanziellen Aus- Diese Kooperationen gibt es bayernweit. Laut Naturschutzbund Deutschland (Nabu) gibt es in Bayern zwischen 6000 und 9500 Brutpaare, hauptsächlich im Alpenraum. Unter optimalen Lebensbedingungen siedeln bis zu fünf Paare pro Quadratkilometer. Der Kiebitz gilt in Bayern als stark gefährdet.
„Seit den 80er Jahren haben die Kiebitz-Bestände in Bayern um rund 60 Prozent abgenommen“, erklärt Sezi. Während sie spricht, suchen sie und ihre Begleiterin mit Fernglas und Fernrohr Äcker und Wiesen nach dem seltenen Vogel ab. Und tatsächlich: Bald sind zwei Vögel auf einem Acker zu sehen, im Fernglas ist deutlich der lange Federschopf eines Männchens zu erkennen. „Der Federschopf am Kopf der Vögel heißt Holle“, erklärt die Gebietsbetreuerin, „er ist zur Brutzeit bei den Männchen länger als üblich.“Madalenko-Stuhler entdeckt nun ein weiteres Tier, welches über lange Zeit an einer Stelle im Boden verharrt. Dort könnte ein Nest sein, sagt Sezi – das müsse sie noch einmal in den kommenden Tagen prüfen. „Sitzt das Tier dann noch immer an dieser Stelle, sehe ich mir das aus der Nähe an.“Sollte es sich um einen Brutplatz des Kiebitzes handeln, kontaktiert die Biologin den Eigengleich. tümer des Ackers und dokumentiert den Nistplatz. Sie hoffe, so einen Beitrag zum Erhalt der seltenen Vögel leisten zu können.
Neben Kiebitzen kümmert sich Sezi noch um etliche andere Naturschutz-Projekte. Sie arbeitet im Schmuttertal zwischen Fischach und Täfertingen (Kreis Augsburg) an Biodiversitätsprojekten wie artenreichen Wiesen oder sorgt sich um seltene Vögel wie das Braunkehlchen. Dafür arbeitet die 31-Jährige nicht nur in der Natur. Sie kümmert sich um Koordination und Kooperation mit anderen Behörden, hält Vorträge zum Umweltschutz und für das Verständnis für diesen und führt Besucher durch ihre Gebiete. Beim Kiebitz müsse der Interessierte eines verstehen, sagt sie. „Weil die Tiere so empfindlich sind, geht eine Führung nur in Kleingruppen. Und prinzipiell sollten wir mehr Rücksicht auf die Tiere in unserer Landschaft nehmen.“
Der Kiebitz ist ein selten gewordener Bewohner Bayerns.